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Einkauf, Marketing und Marken > Verkaufspläne für Niederlassungen

Mercedes-Verkäufer gehen auf die Barrikaden

Mercedes will deutsche Niederlassungen verkaufen. Betriebsrat und IG Metall sind empört. Ein explosiver Konflikt um 8000 Jobs entbrennt.

„Die Stimmung ist explosiv!“ Jutta Knapp ist seit 42 Jahren bei Mercedes und heute Betriebsratschefin der Niederlassung in Heidelberg. Aus etwa 80 deutschen Verkaufs- und Servicepunkten des Autokonzerns haben rund 8000 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt, um gegen die Verkaufspläne des Vorstands zu protestieren. Unterstützt werden sie von den Werkern aus den Mercedes-Fabriken. Während der Kundgebungen in Stuttgart-Untertürkheim, Berlin, Bremen, Düsseldorf und Rastatt steht die Fertigung für gut eineinhalb Stunden still. So auch in Sindelfingen, wo unter anderem die Produktion der E- und S-Klasse unterbrochen wird. Die IG Metall zählt bundesweit insgesamt 25.000 Protestierende.

Im Januar hat der Vorstand seine Verkaufspläne verkündet. „Ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten“, urteilt Mercedes-Gesamtbetriebsratschef Ergun Lümali. Er erinnert daran, dass 2014 bereits 63 Niederlassungen mit 4500 Beschäftigten verkauft wurden. In den restlichen Häusern mussten die Beschäftigten erhebliche Zugeständnisse bei Gehalt, Arbeitszeit und Ergebnisbeteiligung machen, um im Konzern zu bleiben. Jetzt also doch der Verkauf. „Engagement lohnt sich offenbar nicht“, stellt Lümali verbittert fest. Auf den 8000 Betroffenen lastet die Ungewissheit, wie ein Teilnehmer aus Augsburg bestätigt. „Bis heute wurde uns nichts kommuniziert“, so der Mittdreißiger und greift noch fester an das Spruchband mit der Aufschrift „Wir lassen uns nicht ab-Seegern“. Gemeint ist Vertriebschefin Britta Seeger, die für die Niederlassungen zuständig ist.

Mercedes-Benz betreibt in Deutschland noch 20 eigene Niederlassungen mit rund 80 angeschlossenen Werkstätten. Dort sind insgesamt rund 8000 Mitarbeiter beschäftigt. Der betriebseigene Vertrieb gilt als nicht sonderlich lukrativ. Darum hat der Stuttgarter Konzern bereits die Häuser im Ausland in den vergangenen Jahren abgestoßen. Ausnahme bilden pompöse Niederlassungen wie beispielweise in Dubai oder Peking. Diese Form der Repräsentanz will der Konzern noch ausbauen. Das gilt auch für den Onlinehandel, mit dem der Konzern dem stationären Handel zunehmend Konkurrenz macht. Vertriebschefin Seeger soll die Kosten in ihrem Bereich drücken. So hat Mercedes im Jahr 2022 pro Neuwagen um rund 1300 Euro mehr für den Vertrieb ausgegeben als BMW bei einem vergleichbaren Absatz von etwa 2,4 Millionen Fahrzeugen.

„Die Kollegen sind stinksauer“, beschreibt Lümali die Stimmung. Tatsächlich hat die Beschäftigten völlig überrascht, dass sie verstoßen werden sollen. Noch vor kurzem habe der Konzern im Vertrieb die Kampagne „Wir sind Mercedes“ gefahren, klagt Betriebsrätin Knapp in breitem kurpfälzisch und hält auf der Bühne demonstrativ einen Stern der Marke hoch. Allerdings klingt in allen Beiträgen durch, dass niemand damit rechnet, dass der Stuttgarter Autoriese von eingeschlagenen Verkaufskurs noch einmal abweichen wird. „Die ziehen das durch“, glaubt auch der Teilnehmer aus Augsburg.

Betriebsrat und IG Metall räumen ein, dass die Pläne des Vorstands nicht Mitbestimmungspflichtig sind. „Allerdings wie der Übergang vollzogen werden soll“, erklärt Barbara Resch, Chefin der IG Metall in Baden-Württemberg. An diesem Hebel will die Arbeitnehmerseite jetzt ansetzen, oder wie es Knapp formuliert: „Ich war immer Mercedes und will es auch bleiben. Wenn ich aber gehen soll, muss der Rucksack für diesen Weg gut gefüllt sein.“ Vom Konzern wird ein Ausgleich zwischen den Bedingungen bei Mercedes und den Konditionen im KFZ-Handwerk verlangt. „Wir haben gut 300 Zusatzvereinbarungen, die ein Erwerber gar nicht übernehmen kann, weil es dort solche Systeme gar nicht gibt“, erklärt Michael Bettag aus Nürnberg und Vorsitzender des Betriebsrates der Niederlassungen.

Was Mercedes alles in den Rucksack packen soll, ist nur grob erkennbar. Die Rede ist von einem Paket mit der Formel „60 & 60“. Gemeint ist eine Prämie von 60.000 Euro und eine Abfindung von 60 Monatsgehältern. Damit soll unter anderem auch der Verlust der Beschäftigungssicherung kompensiert werden, die bei Mercedes bis Ende 2029 gilt. Die IG Metall will zudem durchsetzen, dass gewisse Konditionen in einen mit einem Tarifvertrag abgesichert werden, der für die Niederlassungen erstellt werden soll. Bettag sieht darin kein Problem für die Erwerber. Schon in der Vergangenheit seien die verkauften Niederlassungen als eigenständige Einheiten fortgeführt worden. Somit seien unterschiedliche Konditionen innerhalb einer Firmengruppe machbar.

Lümali will die „60&60“ nicht ausdrücklich bestätigen, betont aber: „Zukunftssicherung und die anderen Leistungen sind Werte, die wir erkämpft haben. Das muss kompensiert werden.“ Für den Gesamtbetriebsrat geht es über die Niederlassungen hinaus auch um die eigene Glaubwürdigkeit, wenn der Konzern an gemachte Zusagen rüttelt. Derzeit verhandelt Lümali über das nächste Sicherungspaket, das bis 2035 reichen soll. Wohl auch deshalb wurden die bundesweiten Aktionstage in die Werke verlegt. Zudem wirft die Tarifrunde im Herbst ihre ersten Schatten voraus. So haben Reschs Auftritt in Sindelfingen auch Abordnungen von Bosch verfolgt. Der Aktionstag bei Mercedes ist also auch ein erster Test des Mobilisierungspotentials in den wichtigen Hochburgen der IG Metall.

Wer bereits konkret an den Niederlassungen interessiert ist, sagen Betriebsrat und IG Metall nicht. Lümali lässt allenfalls durchblicken, dass man über Käufer aus China nicht sonderlich begeistert wäre. „Wir wollen uns nicht aus China erpressen lassen“, so so der mächtige Mercedes-Betriebsratschef. Für ihn wären Modelle von Mercedes und BYD im gleichen Showroom ein Graus. So unwahrscheinlich ist die Vorstellung nicht. In Ostdeutschland wurden bereits Niederlassungen von einem chinesischen Investor übernommen. Schon werden weitere Interessenten aus Fernost kolportiert, denn die dortigen Konzerne drängen auf den deutschen Markt, doch sie haben keine passende Vertriebsstruktur. Eigentlich wollte der Mercedes-Vorstand den Rahmen für den Verkauf der Niederlassungen noch vor den Sommerferien erstellt haben. Der Zeitplan dürfte nicht mehr zu halten sein. „Wir sind noch weit auseinander“, bestätigt Lümali. Auch für Bettag steht deshalb die Frage nach dem konkreten Käufer noch in weiter Ferne: „Bevor man sich mit uns nicht einigt, kann der Konzern auch keine Gespräche führen.“ So richten sich wohl beide Seiten auf einen noch langen Verhandlungspoker ein.

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