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Metzgersterben in Deutschland: Warum Traditionsbetriebe ums Überleben kämpfen – und wer es schafft

Metzgerhandwerk im Wandel: Überlebt die Tradition? Die Zahl der Metzgereien sinkt drastisch. Nachwuchsmangel & Supermarkt-Konkurrenz bedrohen das Handwerk.

Wer als Metzger überleben will, braucht mehr als gutes Fleisch – Innovation, Spezialisierung und Qualität entscheiden über die Zukunft. (Bildquelle: shutterstock)

Das deutsche Metzgerhandwerk befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch. Erstmals ist die Anzahl der fleischerhandwerklichen Unternehmen unter die Marke von 10.000 gesunken. Der Deutsche Fleischer-Verband (DFV) zählt für das vergangene Jahr insgesamt 9.872 Betriebe - ein Rückgang von 2,94 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Diese Entwicklung spiegelt die Herausforderungen wider, mit denen sich traditionelle Metzgereien konfrontiert sehen.

Strukturwandel im Metzgerhandwerk

Die Konsolidierung der Branche ist seit Jahrzehnten zu beobachten. Neben dem Rückgang der Betriebe verringerte sich auch die Anzahl der Filialen im Fleischerhandwerk um 274 auf 5.937. DFV-Hauptgeschäftsführer Martin Fuchs erklärt, dass sich die Unternehmen am Markt vor allem durch individuelle Qualität, kurze und nachvollziehbare Vermarktungswege, ein breites Serviceangebot und einen hohen Grad von Veredelung behaupten.

Die Gründe für den Strukturwandel sind vielfältig. Einerseits macht den Metzgereien die Konkurrenz durch Supermärkte und Discounter zu schaffen. Philipp Burkhardt, 32-jähriger Metzgermeister aus Mannheim, bestätigt: "Natürlich können wir mit den Preisen nicht mithalten." Andererseits erfordert die Eröffnung oder Übernahme einer handwerklichen Fleischerei hohe Investitionen, die sich laut Fuchs "schnell im höheren sechsstelligen Bereich" bewegen. Dies stellt für junge Menschen mit Meisterprüfung oft eine kaum zu überwindende Hürde dar.

Nachwuchsproblematik und Fachkräftemangel

Ein zentrales Problem der Branche ist der eklatante Nachwuchsmangel. Die Zahl der Auszubildenden im deutschen Fleischerhandwerk ist dramatisch gesunken - von 9.537 im Jahr 2000 auf nur noch 2.309 im Jahr 2023. Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) blieben bei den Fleischern 40 Prozent der angebotenen Ausbildungsplätze im vergangenen Jahr unbesetzt.

Dieser Fachkräftemangel betrifft nicht nur traditionelle Metzgereien, sondern auch Lebensmittelmärkte. Selbst Edeka, die großen Wert auf Bedientheken legt, kann diese manchmal nicht während der gesamten Öffnungszeit besetzen. Einige Betriebe suchen kreative Lösungen: Der Landesinnungsmeister von Baden-Württemberg, Joachim Lederer, beschäftigt beispielsweise sechs junge Männer und Frauen aus Indien als Auszubildende.

Die vegane Welle

Die wachsende Sensibilität der Bevölkerung für Tierwohl, Klimaschutz und gesunde Ernährung setzt dem traditionellen Fleischerhandwerk weiter zu. Während früher Fleisch als unverzichtbarer Bestandteil der deutschen Esskultur galt, greifen heute immer mehr Konsumenten zu pflanzlichen Alternativen. Laut einer Umfrage des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft reduzierten im Jahr 2023 rund 44 Prozent der Deutschen ihren Fleischkonsum bewusst – Tendenz steigend. Gleichzeitig wird politischer Druck auf die Branche erhöht: Forderungen nach strengeren Tierhaltungsstandards und höheren Umweltauflagen verteuern die Produktion zusätzlich. Metzgermeister Philipp Burkhardt sieht darin eine doppelte Herausforderung: „Einerseits wollen die Kunden hochwertiges Fleisch aus artgerechter Haltung, andererseits sind sie oft nicht bereit, die höheren Preise dafür zu zahlen.“ Um mit dem Zeitgeist zu gehen, setzen einige Betriebe auf hybride Konzepte und bieten neben klassischem Fleisch auch pflanzliche Wurstalternativen an – eine Strategie, die überlebenswichtig werden könnte.

Bürokratie-Wahnsinn & Kreativität

Neben den wirtschaftlichen Herausforderungen macht den Handwerksmeistern auch die zunehmende Bürokratie zu schaffen. Laut Lederer vergeht kein halbes Jahr ohne eine neue Vorschrift. DFV-Hauptgeschäftsführer Fuchs konkretisiert dies am Beispiel der vielfältigen Kennzeichnungsvorschriften: "Preisauszeichnung, Allergenkennzeichnung, Zusatzstoffkennzeichnung, Herkunftskennzeichnung, Rindfleischetikettierung und demnächst noch Haltungsstufenkennzeichnung." Für jede dieser Vorschriften müssen umfangreiche Dokumentationen und Nachweise geführt werden, was einen erheblichen administrativen Aufwand bedeutet.

Um im Wettbewerb zu bestehen, setzen viele Metzgereien auf Spezialisierung und Qualität. Burkhardt beispielsweise hat mit seinen innovativen "Wursttorten" ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen. Diese Schichttorten mit Weißwurstgrundlage und verschiedenen Füllungen werden am Wochenende verkauft und erfreuen sich großer Beliebtheit.

Auch die Auszeichnung mit Qualitätspreisen kann ein Wettbewerbsvorteil sein. Burkhardt hat für seine Weißwurst aus Mannheim schon mehrfach Titel eingeheimst - 2023 wurde sie sogar zur besten Weißwurst Europas gekürt. Solche Erfolge unterstreichen die handwerkliche Expertise und können Kunden an den Betrieb binden.

Wer überlebt? Die Metzgereien der Zukunft

Trotz des anhaltenden Rückgangs gibt es Betriebe, die sich am Markt behaupten – aber nur, wenn sie sich anpassen. Die Zukunft gehört den Metzgern, die auf Spezialisierung, Innovation und Regionalität setzen. Erfolgreiche Konzepte zeigen sich in Dry-Aged-Fleisch-Delikatessen, kreativen neuen Wurstsorten mit exotischen Gewürzen oder Fleischalternativen aus Erbsenprotein und Pilzmyzel. 

Zudem setzen einige Metzgereien verstärkt auf Direktvermarktung und Online-Verkauf, um sich unabhängiger von lokalen Kundenströmen zu machen. Burkhardt sieht in einer kompromisslosen Qualitätsstrategie die einzige Chance: „Die Leute müssen den Unterschied schmecken – dann sind sie bereit, mehr zu zahlen.“ Klar ist: Die Metzgerei der Zukunft ist entweder hochspezialisiert oder gar nicht mehr da.

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