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Miele-Schock: In der Industrie brennt es lichterloh

Von Bosch über BASF bis Miele - ein Industriekonzern nach dem andern kündigt Massenentlassungen an. Die deutsche Wirtschaft hat nicht bloß ein Konjunkturproblem - der gesamte Industriestandort ist in Gefahr.

Dem Miele Werk in Güterslohn geht es besonders schlecht: Die Produktion wird schrittweise nach Polen verlegt. Bildnachweis: picture alliance / Robert B. Fishman | Robert B. Fishman

BASF, Bosch, Volkswagen, Bayer, Conti - die besten Adressen der deutschen Industrie kündigen der Reihe nach Massenentlassungen an. Vor wenigen Tagen erst kam vom Erfolgskonzern ZF Friedrichshafen die Hiobsbotschaft - alleine bei diesem Autozulieferer sollen 12.000 Stellen wegfallen. Nun kommt der Hausgeräte-Hersteller Miele dazu: Das Traditionsunternehmen muss rund 2000 Arbeitsplätze streichen. Das Waschmaschinenwerk in Gütersloh ist besonders bedroht - die Produktion ist unter den schlechten Standortbedingungen in Deutschland kaum mehr möglich. Die Produktion wird schrittweise nach Polen verlagert.

Die Miele-Nachricht sorgt für Schlagzeilen, weil Miele als deutsches Vorzeigeunternehmen in Familienbesitz - von Staubsaugern über Kühlschränke bis Waschmaschinen ist die Marke weltweit bekannt - die bittere Entscheidung mitten im Jubiläumsjahr treffen muss. Gegründet wurde Miele vor genau 125 Jahren. Der Konzern hat weltweit rund 23.000 Beschäftigte, doch in Deutschland können die Arbeitsplätze kaum mehr gehalten werden. Der Fall Miele bekommt damit Symbolwert für die Deutschlandkrise der De-Industrialisierung.

Markus Miele ist geschäftsführender Gesellschafter in vierter Generation und findet klare Wort: „Wenn ein Standort in allem teurer ist, wird es schwierig“, mahnt der Unternehmer im Handelsblatt-Interview. Deutschland sei seit jeher ein Hochlohnland – aber jetzt seien auch die Energiekosten, die Abgaben, die Bürokratie am höchsten. Miele gibt der Politik einen dringenden Rat: Der Strompreis solle „für alle deutlich fallen. Dafür müsste der Staat die hohen Abgaben reduzieren.“

Aber auch beim Bürokratie-Abbau gebe es dringenden Handlungsbedarf: „Bürokratie ist ein großes Problem in Deutschland, da wüsste ich viele Punkte, bei denen man anfangen könnte. Photovoltaik ist so ein Beispiel: Wenn wir eine Anlage aufs Fabrikdach setzen möchten, dauert die Genehmigung länger als Beschaffung und Aufstellung. Es gibt viele Vorschriften, die das Wirtschaften schwierig machen und sich teils auch noch widersprechen. Das schränkt unsere Innovationskraft immer mehr ein.“

Markus Miele spricht der gesamten deutschen Industrie aus dem infarktbedrohten Herz. „Im produzierenden Gewerbe brennt es lichterloh. Es droht ein Flächenbrand“, warnen die Industrieverbände. Alleine die Chemieindustrie hat binnen zwei Jahren 23 Prozent ihrer Produktionsmenge verloren. Es droht in energieintensiven Branchen ein historischer Einbruch.

In einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz haben die vier Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft (DIHK, BDA, BDI und ZDH) vergangene Woche laut Alarm geschlagen: „"Der Frust und die Verunsicherung bei vielen Betrieben wachsen – und die Verlagerung von industrieller Produktion ins Ausland nimmt zu.“ In dem ungewöhnlichen Brandbrief wird die Bundesregierung zum Handeln aufgerufen: „Wir appellieren dringend an Sie und die gesamte Bundesregierung, jetzt Maßnahmen zu ergreifen.“

Auch mehrere Wirtschaftsforscher warnen vor einer „De-Industrialisierung Deutschlands“, weil die Politik die Standortbedingungen immer weiter verschlechtere. Jens Südekum, Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf warnt:  „Die neusten Zahlen über die Entwicklung der Industrieproduktion in Deutschland machen mir Sorgen.“

Das Institut der deutschen Wirtschaft hat errechnet, dass bereits 2022 rund 132 Milliarden Dollar mehr Direktinvestitionen aus Deutschland abgeflossen, als im gleichen Zeitraum in die Bundesrepublik investiert wurden. Das sind nicht nur die höchsten Netto-Abflüsse, die jemals in Deutschland verzeichnet wurden. Deutschland erleidet damit den höchsten Kapitalabfluss aller OECD-Staaten. Für 2023 und 2024 wird keine Besserung erwartet - „Deutschland blutet regelrecht aus“, raunen Analysten.

Nach einer Befragung von Deloitte und dem Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) verlagern aktuell bereits 67 Prozent der Unternehmen Produktionen ins Ausland - vor allem in den Schlüsselbranchen Maschinenbau/Industriegüter, Chemie und Automobil. „Die Deindustrialisierung findet bereits in erheblichem Umfang statt. Wenn die Rahmenbedingungen so bleiben, werden sehr wahrscheinlich mehr Unternehmen folgen und zunehmend wichtigere Teile der Wertschöpfung abwandern“, sagt Florian Ploner, Industrieanalyst und Partner bei Deloitte.

Die deutschen Industrienehmer fliehen dabei in alle Richtungen. Im Moment zieht es sie in etwa gleichen Teilen in andere EU-Länder, nach Asien und in die USA - wobei die USA deutlich an Attraktivität gewinnen, während China schwächelt. Sinnvolle Maßnahmen zur Stärkung der Standortattraktivität sind aus Sicht der Unternehmen vor allem die Reduzierung von Bürokratie und wettbewerbsfähige Energiepreise. 69 Prozent favorisieren dies. Ausgesprochen kritisch sehen die Befragten das Lieferkettengesetz. 63 Prozent der Firmen betrachten es als eine übermäßige Belastung im operativen Geschäft.

In den Chefetagen der deutschen Industrie verliert man zusehends das Vertrauen in die Politik, den Abwärtstrend zupackend zu stoppen. Die deutsche Investitionsquote gehört schon lange zu der niedrigsten aller Industrieländer. Und gerade die deutsche Politik hat wenig dazu getan, daran etwas zu ändern. Die unausgegorene und planwirtschaftliche Energiewende führt vielmehr dazu, dass Energie in Deutschland unverhältnismäßig teuer wird und Neu-Investitionen hierzulande massiv erschwert.

Auch das deutsche Banken-System ist dramatisch geschwächt. Schließlich sind die steuerlichen Belastungen für Unternehmer in Deutschland inzwischen so hoch – ihre Begleichung zudem kompliziert und aufwändig – dass neue Investoren lieber andere Standorte suchen. Und selbst die Infrastruktur hierzulande ist nicht mehr führend. Von maroden Autobahnen und Brücken bis zu langsamen Internet-Verbindungen reicht die Klage.

Im Flugverkehr verschieben sich Machtzentren aus Deutschland weg, und während Deutschland seine Flieger extra hoch besteuert, entstehen andernorts Verkehrswege und Infrastrukturen, der bald auch Handelsströme folgen werden. Die Chefvolkswirte der Konzerne resümieren: Deutschland hatte sich nach den Agenda-Reformen mühsam Wettbewerbsvorteile zurück erkämpft. Doch die Politik des letzten Jahrzehnts dreht diese Errungenschaften – von der Rentenpolitik bis zu Arbeitsmarkt-Regularien – Stück für Stück zurück. Der Ernst des globalen Wettbewerbs schlägt nun auf ein wettbewerbsgeschwächtes Deutschland zurück. 

Der Miele-Schock hat nun offenbar auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck aufgeschreckt. In der Sendung „RTL Direkt“ sagte Habeck am Montagabend: „Wir müssen Investitionen anreizen. Das sehen wir gemeinsam. Was wir noch nicht ganz geklärt haben, ist, wie wir es machen. Aber dazu ist ja erstmal notwendig, dass diskutiert wird.“  Einig sei man sich in der Ampelregierung, den Bürokratieabbau voranzubringen. „Wir haben noch immer eine zu hohe Bürokratielast bei den Unternehmen. Wir haben uns da in einem richtigen Dickicht verirrt. (…) Wir sind noch lange nicht gut genug, was Entscheidungsprozesse und Bürokratie angeht, wir müssen da besser werden und deutlich entlasten.“

Habeck gesteht zugleich aber ein, dass man in wesentlichen wirtschaftspolitischen Fragen kaum vorankomme. Sogar das bescheidene „Wachstumschancengesetz“ wackelt. Habeck warnt, dass die Länder das Entlastungsvolumen auf drei Milliarden Euro reduzieren könnten – was nach seinen Worten einer homöopathischen Wirkung gleichkomme. Homöopathische Standortverbesserungen aber werden den Arbeitern nicht helfen, die bei Miele, BASF, Volkswagen, Bosch oder ZF ihre Arbeitsplätze gerade verlieren.
 
 

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