„Nachfolge ist das neue Gründen“ – Stimmt das?
Wohin mit der Geschäftsidee? Die Verwirklichung in Form einer Unternehmensgründung klingt reizvoll und naheliegend. Aber wäre es nicht noch naheliegender, in die Fußstapfen eines bereits etablierten Unternehmens zu treten? Gastbeitrag von Dr. Steffen Huth und Jürgen Zabel
Laut dem Institut für Mittelstandsforschung sind allein in den nächsten drei Jahren rund 190.000 Unternehmensnachfolgen zu regeln – Tendenz steigend! Demgegenüber stehen rund 400.000 Unternehmensgründungen pro Jahr, und gleichzeitig gibt es etliche Talente aus der Startup-Szene, die ihre Geschäftsideen mit weniger Risiken umsetzen möchten – Eine potenzielle Win-Win-Situation?
Zweifelsohne ist es verlockend, seine eigene Geschäftsidee ganz nach den individuellen Vorstellungen umzusetzen. Viele übersehen dabei, dass der Schritt in die Selbstständigkeit auch durch eine Unternehmensnachfolge möglich und vielleicht sogar geeigneter ist. Wer beispielsweise ein bestimmtes Produkt auf den Markt bringen möchte, hat bei der Übernahme eines gewachsenen Unternehmens mit passender Produktpalette den Vorteil, auf größere finanzielle Mittel sowie bestehendes Know-how zurückgreifen zu können.
Nachfolge oder Gründung? Eine individuelle Entscheidung
Für die Wahl zwischen Nachfolge und Gründung kann keine allgemeingültige Regel formuliert werden – dafür sind die Motive und Ziele der angehenden Unternehmer zu unterschiedlich. Maßgeblich ist jedoch die gewünschte Balance zwischen Gestaltungsfreiheit und unternehmerischem Risiko. Bei Nachfolgen werden mit den Unternehmen auch alle bereits vorhandenen Assets übernommen – darunter ein bewährtes Geschäftsmodell und funktionierende Prozesse. Zudem besteht eine gewachsene Kunden- und Lieferantenbeziehung, eine qualifizierte und erfahrene Belegschaft, geeignete Räumlichkeiten und Ausrüstungen sind ebenfalls bereits vorhanden und im Idealfall wird von Anfang an jeden Tag Gewinn erwirtschaftet.
Ein Startup hingegen braucht meist längere Zeit bis zum Erfolg und ist mit mehr Risiken, oft auch Fehlschlägen verbunden. Gleichzeitig kann dies auch die unmittelbar nach der Übernahme bestehende Entscheidungsfreiheit einschränken. Mitarbeitende und Geschäftspartner müssen von Veränderungen erst überzeugt und Strukturen dementsprechend schrittweise transformiert werden – Nachfolger brauchen Geduld. Da für Unternehmenskäufe viele spezielle Regeln, Vorschriften und Gestaltungsmöglichkeiten gelten, ist es ratsam, von Beginn an erfahrene Fachleute einzubeziehen. Insbesondere auch dann, wenn es darum geht, einen „emotionalen Kaufpreis“ zu vermeiden, mit dem sich der Verkäufer den Einsatz für sein Lebenswerk vergüten lässt.
Allerdings führt die wachsende Zahl zum Verkauf stehender Unternehmen dazu, dass die Palette an Auswahlmöglichkeiten wächst – auch hinsichtlich der Flexibilität der Unternehmensprozesse und des generellen „Fits“ von Unternehmen und Nachfolger. Hierbei können Beteiligungsgesellschaften einen klaren Mehrwert bieten: sie verfügen über das notwendige Knowhow im Akquisitionsprozess, das dringend benötigte Netzwerk und unterstützen bei der Suche nach Finanzierungsoptionen. Denn während Startups nur vergleichsweise wenig Startkapital erfordern, sind Nachfolgen – abhängig von der Unternehmensgröße – teils sehr kapitalintensiv.
Finanzierungsmöglichkeiten für Nachfolger
Wer wirklich an einer Nachfolge interessiert ist, wird in der Regel nicht an der Finanzierung scheitern. Eine gern genutzte Finanzierungsform stellt Beteiligungskapital dar. Dieses kann von Family Offices, Business Angels oder Beteiligungsgesellschaften stammen und sowohl in Form von stillen als auch Direktbeteiligungen gewährt werden. Während eine direkte bzw. offene Beteiligung als Eigenkapitalfinanzierung zu einer Veränderung der Gesellschafterstruktur führt, erhält der Kapitalgeber beispielsweise bei Mezzaninekapital lediglich eine Gewinnbeteiligung und keine Stimmrechte. Letztere Beteiligungsform ist auch im Rahmen eines sogenannten Verkäuferdarlehens möglich, wobei ein Teil des Kaufpreises als stille Beteiligung oder Nachrangdarlehen im Unternehmen verbleibt und so die finanzielle Last für den Nachfolger reduziert.
Daneben können sowohl typische Bank- als auch Förderkredite als Kapitalquelle herangezogen werden. Bei einem Bank- beziehungsweise Investitionskredit wird, wie bei der stillen Beteiligung auch, der Kapitaldienst aus den Gewinnen des übernommenen Unternehmens finanziert. Daher richtet sich die Kredithöhe primär nach der Ertragskraft des zu übernehmenden Unternehmens. Förderkredite können sowohl von EU, Bund, Ländern als auch von Kommunen vergeben werden, wobei der zu leistende Kapitaldienst stark variiert. So entfallen bei manchen Krediten Zinsleistungen, bei anderen die Kreditrückzahlung teilweise oder gänzlich. Ein bekannter Förderkredit ist hierbei der ERP-Förderkredit KMU der KfW. Die Kreditfinanzierung ist in aller Regel mit der Abgabe von Sicherheiten bzw. persönlichen Bürgschaften verbunden.
Fazit
Ist nun Nachfolge das neue Gründen? Jein – Es wäre falsch, dies als eine Regel zu formulieren. Entscheidend sind hierbei weiterhin die individuellen Präferenzen. Wer ein hohes Risiko scheut und es sich vorstellen kann, seine Ideen in einem bestehenden Unternehmen umzusetzen und dieses so in eine erfolgreiche Zukunft zu führen, für den ist Nachfolge eine sinnvolle Option. Die Verfügbarkeit von Kapital für die Gründung oder Übernahme bestimmt zudem die Entscheidung für eine der Varianten. Das gemeinsame Ziel sollte sein, das Bewusstsein für Nachfolge als greif- und finanzierbare Alternative in der Startup-Szene zu stärken – denn die Talente haben wir bereits!
Über die Autoren
Jürgen Zabel ist seit 2005 und Dr. Steffen Huth seit 2021 Geschäftsführer der BMH Beteiligungs-Managementgesellschaft Hessen mbH. Als 100-prozentige Tochtergesellschaft der Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale (Helaba) ist die BMH aktiv in die Wirtschaftsförderung des Landes Hessen eingebunden. Die mittelständische Beteiligungs- und Venture-Capital-Gesellschaft bündelt die öffentlichen Beteiligungsinteressen und Finanzierungsinstrumente für Frühphasen-, Wachstums- und Mittelstandsunternehmen in Hessen. BMH unterstützt kleine mittelständische Unternehmen (KMUs) und Start-ups bei der Finanzierung von Innovations-, Forschungs- und Wachstumsvorhaben, beim Unternehmenskauf- und -verkauf sowie bei der Umsetzung von Nachfolgeregelungen.