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Einkauf, Marketing und Marken > Revolution der Garnelenzucht

Europas größte Garnelen-Farm: Frei von Chemie und nachhaltig

Gamba Zamba: Europas größte Garnelenfarm entsteht bis 2025 bei Hannover. Wie Aquapurna artgerecht und nachhaltig Garnelen züchtet, Umweltbelastungen reduziert und Prozesse mit innovativer Technologie optimiert.

Mitte Juni 2024 war Spatenstich unterhalb des Kalibergs bei Wunstorf-Bokeloh. Auf dem nah bei Hannover gelegenen Gelände des Salzbergbaukonzern K+S entsteht bis Mitte 2025 Europas größte Garnelenfarm. Diese soll zunächst 70 bis 100 Tonnen, später 700 bis 800 Tonnen Garnelen pro Jahr herstellen. Wo vor gut fünfeinhalb Jahren die symbolisch letzte Tonne Salz aus dem Werk Sigmundshall gefördert und anschließend die unterirdischen Hohlräume mit Sole gefüllt wurde, wachsen seit 2021 Garnelen heran: in der Forschungsanlage von Aquapurna.

Auf derzeit 1200 Quadratmetern erforschen David Gebhard und sein Mitgründer Florian Gösling, wie sie Garnelen nachhaltig, artgerecht, frei von Antibiotika und Chemie und dabei kosteneffizient züchten können – von der Larve bis zur ausgewachsenen Garnele ausschließlich aus Deutschland. „Für's gute Gewissen“, steht auf der Internetseite der 2022 eingetragenen Produktmarke Gamba Zamba.
 

 

Easy to peel

Es sind diese Riesengarnelen, deren Panzer man vor dem Verzehr Beinchen für Beinchen aufknacken muss. Etwas Besonderes, das manch einer aus dem Asienurlaub kennt – und „easy to peel“, verspricht Aquapurna. Hin und wieder stellt sich Mitgründer Gebhard in seiner dunkelblauen Schürze mit der Aufschrift Gamba Zamba dort vor die Frischetheke und brät Garnelen zum Probieren für die Kunden.

Wo es Gamba Zamba zum Kauf gibt, zeigen zwei Dutzend über eine Norddeutschlandkarte verteilte Logo-Blasen von Edeka oder der zu Edeka gehörenden WEZ-Verkaufsstelle sowie je ein Globus- und Rewe-Logo auf der Unternehmenswebseite. Auch einige Gastronomen sowie das Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung haben die Wunstorfer White-Tiger-Garnelen auf der Speisekarte. Diese gibt es derzeit in charakteristischen Kunststoffbechern zu kaufen, demnächst umweltfreundlicher in Kartons. Und bald auch in Kühlverpackung über einen eigenen Webshop. „Die drei bis fünf Tonnen Garnelen, die wir in unserer Forschungsanlage derzeit herstellen, fallen praktisch nebenbei an“, sagt Gebhard. „Das ist unser Proof of Concept.“

Die Anlauffinanzierung stemmten Gebhard und Gösling fast komplett mit Eigenkapital. Den Standort fanden sie über das Innovationszentrum Roothub, das K+S mitgegründet hat. Der Konzern investierte auch einen zweistelligen Millionenbetrag. Schon jetzt ist das Zuchtvorhaben von Aquapurna wegen des industriellen Anspruchs einzigartig, auch wenn hierzulande etwa sechs Landwirte jährlich schätzungsweise 50 bis 100 Tonnen Garnelen produzieren. Rund 50.000 Tonnen Garnelen werden importiert, ebenso die Larven für hiesige Garnelen.

Die Idee für das Start-up kam dem Maschinenbauingenieur Gösling auf einer Reise durch Indien, als er die Zustände bei der dortigen Garnelenzucht sah. „Mangrovenwälder werden abgeholzt, Teiche ausgehoben, dann kommen Meerwasser und ganz viele Garnelen dort rein“, schildert Gösling. Chemikalien und Antibiotika gegen die Krankheitserreger werden eingefüllt. „Und am Ende des Durchgangs kommt das belastete Wasser wieder ins Meer.“ Garnelen aus Wildfang sind auch nicht besser, erkennt er damals. Bis zu 90 Prozent Beifang wird nach Schätzung von Umweltschützern in der Regel tot ins Meer zurückgeschüttet. Viele Bestände sind überfischt.

Auch Larven für die deutsche Zucht aus den USA einzufliegen, sei nicht besser, sagt Mitgründer und Rechtsanwalt Gebhard. „Die Larven leiden beim rund 24 Stunden dauernden Transport unter massivem Stress.“ Ein großer Teil stirbt. „Unter Umweltgesichtspunkten ist auch nicht toll, welche große Menge Wasser dabei mitgeflogen werden muss“, sagt Gebhard. Die aus solchen Larven heranwachsenden Garnelen wachsen oft langsamer und sterben öfter. „Es gab keine Gambas, die Transparenz, Vertrauen und Urlaubsemotionen miteinander verbinden“, bilanziert Gebhard. Das will Aquapurna ändern.
 

Keine Umweltromantiker

Umweltromantiker sind Gösling und Gebhard nicht. „Wir sind ein Deep-Tech-Start-up“, stellt Gebhard klar, der 2017 das Fintech Deep Thought Capital, das künstliche Intelligenz nutzte, mitgründete und gut ein Jahr bei einem Investmentfonds arbeitete.

Seit 2019 entwickelt Aquapurna seine Technologielösung für umweltfreundliche und artgerecht gehaltene Garnelen und erprobt sie seit 2021 in der Forschungsanlage am K+S-Standort Sigmundshall. Gleich zu Beginn stellten die beiden Gründer zwei Biologen als Mitentwickler ein, die schon nachhaltige Aquakulturprojekte in Europa und Singapur aufgebaut hatten. Auch ging Aquapurna eine Technologiepartnerschaft mit Billund Aquaculture aus Dänemark ein, dem Weltmarktführer für landbasierte Aquakulturen. Er musste kürzlich allerdings Insolvenz anmelden.

Praktisch alles beim Anlagendesign drehte sich darum, die Technologie zu entwickeln, Strom zu sparen und Prozesse zu optimieren. „98 Prozent des Wassers werden durch biologische und mechanische Filter recycelt“, sagt Gebhard. Die Anlage nutzt die Schwerkraft, statt viel zu pumpen. „Die Becken sind bei uns auf einer Ebene, auch das spart Strom“, sagt Gebhard. „Wir haben langgestreckte Becken mit mehreren Generationen von Garnelen“, berichtet er. „Die haben immer genau so viel Wasser, wie sie brauchen.“ Hier war Tüfteln angesagt, weil sich Garnelen am liebsten bodennah aufhalten und vermehren.

Es gab keine Gambas, die Transparenz, Vertrauen und Urlaubsemotionen miteinander verbinden.

David Gebhard, Aquapurna

Königsblau schimmernde Tiere

Nach drei bis vier Monaten Aufzucht werden die dann königsblau schimmernden Tiere mit einem Gewicht von 25 bis 28 Gramm herausgefischt. Wie mit dem Amtstierarzt vereinbart, werden sie mit Eiswasser betäubt, mit Strom getötet und verarbeitet. Statt dreimal jährlich wie andere Hersteller erntet Aquapurna im Probebetrieb die Garnelen alle sechs Wochen – in der gerade entstehenden Industriefarm ist ein Zwei-Tages-Rhythmus vorgesehen.

Aquapurna plant auch, die Biogasanlage eines benachbarten Landwirts und recycelten Schlamm aus der Wasseraufbereitungsanlage zu nutzen. „Und wir haben dank K+S sogar unser eigenes Salz für die Garnelenzucht, Gambasal“, sagt Gebhard. Das Garnelenfutter ist zum größten Teil pflanzlich. Die derzeit ausschließlich für den Eigenbedarf gezüchteten Larven will Aquapurna bald auch an andere Garnelenzüchter verkaufen.

Auf vorerst 4000 Quadratmetern entstehen bis Mitte 2025 im ersten Bauabschnitt nun eine Produktionshalle, eine vergrößerte Larvenzucht sowie der Versorgungs- und Infrastrukturtrakt für die Garnelenaquakultur. Moderne Kreislauftechnik mit Robotik-, Big-Data- und demnächst auch KI-gesteuerter Automatisierungstechnik gehen im alten K+S-Werk Sigmundshall nun also ins Großformat, wobei Solarpaneele auf den Dächern die Stromerzeugung umweltfreundlich machen. In der darauffolgenden Wachstumsphase soll die Anlage auf mehr als zwei Fußballfelder anwachsen – rund 18.000 Quadratmeter. „Der nächste logische Schritt“, freut sich Vermieter und Bauherr K+S.

„Gemeinsam mit K+S leisten wir einen bedeutenden Beitrag zur nachhaltigen und autonomen Lebensmittelversorgung in Europa“, sagt Gebhard. Derzeit arbeiten 17 Beschäftigte für Aquapurna, bald sollen es gut 70 sein. Demnächst wollen Gebhard und Gösling auch selbst Fischwirte ausbilden. „Dabei wollen wir immer besser und auch effizienter werden“, sagt Gebhard, „ohne dabei jedoch beim Tierwohl Abstriche zu machen.“

Garnelen im Tank: David Gebhard (l.) und Florian Gösling züchten die Delikatesse an einem alten Salzbergbaustandort.

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