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Einkauf, Marketing und Marken > Nachhaltige Trends in der deutschen Beautybranche

Natürlich schön

Durch nachhaltige Produkte wächst die deutsche Beautybranche. Auch dank moderner Personalarbeit machen Familienunternehmen und Start-ups Konzernen Konkurrenz.

Alicia und Nicolas Lindner
Junge Doppelspitze: Alicia und Nicolas Lindner haben die Naturkosmetikmarke Börlind grundlegend modernisiert.Bildquelle: Börlind

Es sagt einiges über den Internationalisierungsgrad und die Ansprüche von Börlind aus, wenn ein Großteil der Kommentatoren diesen LinkedIn-Post der Co-Chefin für echt halten. Die meisten gratulieren, als Alicia Lindner am 1. April schreibt: „Ich wandere aus! Es ist offiziell: Ich bleibe mit meiner Familie in den USA. Danke, Nicolas Lindner und Peter Müller-Pellet, dass ihr in Deutschland für Börlind die Stellung haltet. Ich weiß euren Support mega zu schätzen! Selbstverständlich tue ich alles dafür, dass der amerikanische Umsatz den deutschen bald mini-klein aussehen lässt.“ Die 35-Jährige, die gemeinsam mit ihrem Bruder Nicolas die Naturkosmetikmarke Annemarie Börlind leitet, ist für ihre guten Aprilscherze bekannt. Aber man kann all denjenigen, die den Scherz ernstgenommen haben, zugutehalten: Alicia Lindner hatte zuvor einige Monate mit ihrer Familie in den USA gelebt und das auch öffentlichkeitswirksam zelebriert. Die USA sind nach Deutschland auch der zweitwichtigste Markt für das Unternehmen – noch vor Asien.

Im Nordschwarzwald, in Calw, gründete die Großmutter von Alicia und Nicolas, Annemarie Lindner, 1959 das Unternehmen. Sie hatte Hautprobleme und entwickelte Produkte, die ihr selbst halfen. Die Marke Annemarie Börlind steht für rund 83 Prozent des Firmenumsatzes von rund 60 Millionen Euro. Produziert wird weiterhin im Schwarzwald, aber die Expansion geht längst quer durch die Welt in über 40 Länder. Wachstum bringt unter anderem die Private-Label-Tochter KHV.

Seit gut vier Jahren führt das Geschwisterpaar nun die Firma. Nicolas Lindner erklärt, dass sie auch im Hinblick auf die Führungsleitlinien so manches geändert haben: „Wir haben innerhalb der Familie mit allen Gesellschafterinnen und Gesellschaftern zusammen eine Charta erarbeitet, in der die Ziele der Familie und die Ziele des Unternehmens sowie die Werte klar definiert wurden.“ Dazu gehörte vor allem die ehrliche Antwort auf die Frage, ob die beiden Nachfolger tatsächlich auch zum Unternehmen passen. Aus dieser Familiencharta haben sie dann mit den anderen Managerinnen und Managern Führungsprinzipien abgeleitet.

Co-Führung als Stärke

Der Weg dahin sei lang gewesen, gibt Nicolas Lindner zu. „Es gab extrem viele Diskussionen. Am Anfang denkt man, es liegt alles auf der Hand.“ Und wie arbeiten die Geschwister als Co-Geschäftsführung zusammen – mal abgesehen davon, dass sie in einem Büro sitzen? „Wir haben uns als Kinder schon gut verstanden“, erklärt Nicolas Lindner. Berater hätten ihnen von der Co-Spitze abgeraten, weil die Konstellation oft für den Familienfrieden und den Unternehmenserfolg nicht gut ist. Doch die beiden wollten das Gegenteil beweisen, gerade weil sie unterschiedlich sind und sich oft ergänzen. „Wir sitzen auf unterschiedlichen Bereichen je nach unseren Stärken und sind trotzdem ganz eng abgestimmt“, sagt Nicolas Lindner.

Er sieht Börlind als klassisches Familienunternehmen „mit allen Vor- und Nachteilen“, das sich derzeit stark wandelt: von einem patriarchalisch geführten Unternehmen zu einem, in dem Verantwortung breit gestreut wird. „Mein Vater war alleiniger Geschäftsführer, alle Fäden sind bei ihm zusammengelaufen. Er hat alles gewusst und alles entschieden“, sagt Lindner und erinnert sich an den Arbeitsaufwand, der damit verbunden war: Als Kind sah er seinen Vater im Urlaub hinter Aktenbergen. „Er war damit erfolgreich, aber es funktioniert nicht für meine Schwester und mich. Wir glauben an eine andere Art der Zusammenarbeit, die unsere zweite und dritte Führungsebene befähigt, Selbstverantwortung zu tragen.“

Börlind ist eines der wenigen Kosmetikunternehmen, das von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt alles selbst macht: Innovation, Marketing, Entwicklung, Forschung, Herstellung, Fertigung, Einkauf, Arbeitsvorbereitung, Produktion, Logistik – und das alles an einem Standort. Entsprechend vielfältig sei auch die Belegschaft strukturiert. Um in Deutschland und konkret in Calw genug gute Leute zu finden, war eine erhebliche Transformation der Personalarbeit notwendig: „Wir haben da einen Riesensprung gemacht in den letzten Jahren“, sagt Lindner. Wo der Patriarch früher mit reichlich Bauchgefühl Mitarbeiter in gute und schlechte einteilte, gibt es heute datengetriebene Weiterbildung und viele Gespräche. Diese Prozesse sorgen dafür, dass auch diejenigen, die früher durchs Raster rutschten, heute ihre Wirkung erzielen können. „Wir wollen und können es uns nicht erlauben, gute Mitarbeiter zu verlieren, nur weil wir es verpennt haben, denen die richtige Aufmerksamkeit zu geben“, sagt Lindner.

Vieles von der Börlind-Story trifft auch auf Babor zu. Isabel Bonacker bricht zudem jedes Klischee über die dritte Generation eines Familienunternehmens. Dank ihr boomt die Kosmetikfirma in Aachen. Dort hat niemand mehr Angst, sich mit Riesen wie L’Oréal anzulegen. 2014 zog die Juristin in den Babor-Verwaltungsrat ein. Ihre Zehn-Jahres-Bilanz könnte kaum besser sein. Die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steigt rasant, das Kosmetikunternehmen ist international aktiv, die Größten der Branche nehmen es ernst. Der Umsatz hat sich verdoppelt. „Wir sind ein Familienunternehmen, und das spürt man an allen Ecken und Enden“, sagt die 57-Jährige. „Aber wir sind eben auch auf dem Weg, zum Global Player zu werden.“ Ihr Großvater Leo Vossen hatte das Unternehmen 1962 von Gründer Michael Babor gekauft, einem Chemiker, dessen wesentliche Erfindung HY-Öl bis heute ein Verkaufsschlager ist. Inzwischen ist Babor in der halben Welt aktiv und Enkelin Isabel muss gemeinsam mit ihrem Cousin Martin Grablowitz, mit dem sie das Unternehmen führt, den Spagat zwischen Tradition und Moderne schaffen.

Wer mit ihr spricht, erfährt, wie sich gesunder Ehrgeiz anfühlt. Einst hatte sie für das Familienleben ihre Beraterkarriere bei McKinsey aufgegeben. Während der Familienpause engagierte sie sich intensiv für eine Montessori-Schule. Als die Kinder aus dem Gröbsten raus waren, wollte sie wieder gestalten – an der Spitze des Verwaltungsrats. Als dritte Generation des Familienunternehmens steht sie in erster Linie für das Projekt Omnichannel, also den Verkauf über mehrere Kanäle. Das war nicht risikofrei, schließlich bestand die Gefahr, dass professionelle Kosmetikerinnen das Onlinegeschäft als unliebsame Konkurrenz betrachten könnten. Sie seien aber dabeigeblieben und profitierten heute von der wachsenden Bekanntheit der Marke, sagt Bonacker. Kern ist das Geschäft mit Profis. Doch inzwischen kommt fast die Hälfte des Umsatzes über eigene Webstores und andere Onlineshops. Allemal bringen viele Kanäle auch viel, und vor allem erhöht sich die Reaktionsfähigkeit. Die Kosmetikindustrie ist schnelllebig und im Netz erkennt man Trends schneller. In der Pandemie war es für Babor ein Vorteil, online schon gut vertreten zu sein.

Mut zur Internationalisierung

Das zweite Projekt Bonackers ist die Internationalisierung. Bis 2030 sollen 70 Prozent außerhalb Europas umgesetzt werden, derzeit ist es rund ein Drittel. Babor will vor allem das Asiengeschäft ausbauen. Bisher beträgt der Umsatzanteil sieben Prozent, beliefert werden Profis. Nun will das Unternehmen auch an asiatische Endkunden verkaufen. Die Prozesse müssen angepasst, den rund 1000 Baborianern die deutsche Denkweise ein Stück weit ausgetrieben werden.

Babor kommt aus der Profi-Kosmetik, wo die Kosmetikerin analysiert und berät. Das Unternehmen setzt aber auch auf Technologie und den Megatrend Individualisierung. So bietet die Firma seit Ende 2022 ein digitales Tool, mit dessen Hilfe Kunden ihre Haut verbessern können. Nutzerinnen machen regelmäßig Selfies und erhalten dann individuelle Produktempfehlungen. Der Markt für personalisierte Kosmetik wächst rasant. Fachleute rechnen mit einem jährlichen Plus von 15 Prozent.

Das Thema Nachhaltigkeit gehört für Babor zur DNA, wird aber immer wichtiger – und zwar nicht nur im Hinblick auf die Bio-Kosmetik, sondern auch auf die Produktionsweise. „Wir haben sehr früh unser Abwasser aufbereitet, wir haben Mülltrennung gemacht, lange bevor es den gelben Sack gab“, sagt Bonacker. Das sei zunächst „aus unserem eigenen Selbstverständnis heraus passiert“. Jetzt gibt es eine grüne Agenda mit mehreren konkreten Zielen. Bis 2025 will Babor zum Beispiel seinen CO2-Fußabdruck halbieren. Jedes Produkt wird zudem einer Life-Cycle-Assessment-Analyse unterzogen, wo weitere Folgen für die Umwelt bilanziert werden. Ein großer Vorteil dabei: „Dass vielen nicht klar ist, dass wir bei Babor den kompletten Wertschöpfungsprozess in der Hand haben“, sagt Bonacker. Das beginnt in der Aachener Zentrale und geht weiter im nahe gelegenen neuen Werk in Eschweiler. Das Unternehmen hat ein eigenes Labor, eigene Produktion, eigene Abfüllung, Logistik.

So viel Veränderung ist anstrengend für die Belegschaft. Und das rasante Wachstum stresst zusätzlich. „Mein Großvater hat immer gesagt: Die Mitarbeitenden sind das Herzstück des Unternehmens. Und das ist bis heute die große Überschrift“, sagt Bonacker. Wenn man in gut zehn Jahren die Belegschaft vervierfache, sei es kein Selbstläufer, die Familienwerte lebendig zu halten. „Heute sind wir viel internationaler und dadurch ist es auch nicht mehr ganz so persönlich und familiär. Man kennt auch nicht mehr jeden, dem man begegnet“, gibt Bonacker zu. „Als Inhaber versuchen wir, ein bisschen der Kitt zu sein, das Bindeglied, das alles zusammenhält.“ Das geht auch über schöne Feste, aber immerhin hat man im Haus ja die richtigen Helfer für den Morgen danach: „Wir haben eine wunderbare Ampulle im Sortiment auf Social Media mal beworben mit #NoHangover.“

Neuerfindung der Probe

Nicht nur deutsche Traditionsunternehmen sorgen weltweit für Aufsehen, sondern auch Start-ups. Daniela Mündler ist Gründerin und Geschäftsführerin von Samplistick aus Düsseldorf. Das junge Unternehmen steht für die Neuerfindung des klassischen Pröbchens. Was nach Kleinkram klingt, könnte ein wesentliches Problem der Branche lösen: die große Menge an unnötigem Plastikmüll. „Wir wollen Spaß am Konsum mit Verantwortung verbinden“, sagt Mündler. Kundinnen und Kunden können sich ihre individuellen Wunschprodukte in einem aus 100 Prozent Altplastik hergestellten, nach Gebrauch vollständig recyclebaren Stick abfüllen lassen und zum Ausprobieren mit nach Hause nehmen. Zudem gibt es in der zugehörigen App notwendige Produktkennzeichnungen.

Mündler hat eine steile Karriere als Topmanagerin bei den Riesen der Konsumgüterwelt hinter sich – sowohl bei Herstellern als auch bei Händlern. Sie hat angefangen bei L’Oréal, war lange bei LVMH und ging dann zu Douglas, bevor sie gründete. „Bei den Proben stellt sich immer mehr die Frage: Ist das eigentlich intelligent und effizient, was wir da machen? All den Müll zu produzieren, der sinnlos ausgegeben wird? Natürlich nicht und dem trete ich jetzt entgegen“, sagt Mündler und kehrt zum Zweck der Proben in der Kosmetikindustrie zurück. Wie kann ich ein individuelles Bedürfnis mit dem richtigen Produkt zusammenbringen? Ihre Proben werden eben nicht vorproduziert, sondern erst nach einem individuellen Beratungsgespräch abgegeben und das in einer nachhaltigen, recycling- ­und kreislauffähigen Verpackung.

Die großen Marken und Händler seien sich des Problems ihrer bisherigen Proben durchaus bewusst, sagt die Gründerin. Sie bekämen immer mehr Druck, ihr ESG-Rating besser zu gestalten. Kein Wunder, dass die Finanzierungsrunden von Samplistick längst geschlossen und die nächsten zwölf Monate trotz des erheblichen Aufwandes durchfinanziert sind. Dazu kommen einige Auszeichnungen, die zusätzlich Aufmerksamkeit bringen. Mündlers Pläne sind groß: Bisher ist Samplistick ein B2B-Modell, lebt also davon, dass Händler das System kaufen. Sie weiß aber um das riesige Potenzial, wenn Konsumenten die neuartige Probenverpackung fordern. „Ich fange gerade verstärkt an, den direkten Konsumentenkontakt zu suchen.“

Den Kosmetikmarkt in Deutschland hält Mündler für besonders und vermutlich ist genau das der Grund dafür, dass hier derzeit so viele nachhaltige Beautymarken wachsen. „Der Trend zur Naturkosmetik ist ein sehr deutscher, weil auch die deutsche Schönheitsauffassung sehr natürlich ist.“ Soll heißen: Hierzulande verwenden Frau und Mann Kosmetik vergleichsweise dezent. „Natur pur ist übertrieben, aber es hat eine kulturelle Wurzel, dass wir selten dick auftragen.“ So oder so ist Deutschland ein sehr großer und auch sehr stabiler Markt. Eine gute Basis für die deutsche Beautybranche.

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