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Zukunftsmärkte > Corona-Hilfe

Netzwerke, die Mittelständler durch die Krise tragen

Gerade kleinere Unternehmen profitieren voneinander. Dafür sollten sie nicht nur miteinander sprechen. Wie Netzwerke für Wachstum sorgen: zwei Mittelständler berichten.

Morgens um acht Uhr tagt die „Management-Runde Corona“ des Systemarmaturenherstellers MIT Moderne Industrietechnik in Vlotho. „Krisensitzung“, wie der geschäftsführende Gesellschafter Hans-Dieter Tenhaef das nennt. Danach telefoniert er mit seinen Geschäftspartnern aus dem Netzwerk Ostwestfalen-Lippe (OWL) Maschinenbau in Bielefeld, dessen Vorstandssprecher er seit zehn Jahren ist. „Wir erkundigen uns, wie es den anderen geht, und fragen, wie die anderen mit der Situation umgehen“, beschreibt der MIT-Chef die täglichen Telefonate, die mal klassisch, mal als Videotelefonate stattfinden. Wenn jemand etwas Wichtiges erfahren hat, was auch die anderen Unternehmen betrifft, gibt er es weiter. Das könnten gesetzliche Änderungen sein oder auch die Information, dass bei einem Excel-Seminar in einer Firma noch fünf Plätze für Mitarbeiter anderer Netzwerkpartner frei sind. Diese – seit Beginn der Pandemie täglichen – Telefonate möchte Tenhaef nicht missen, ebenso wenig wie die montägliche, vom Netzwerk organisierte Videokonferenz von 16 bis 17 Uhr zu Themen rund um Corona.

 

Tenhaef ist Netzwerker aus „innerer Überzeugung“: „Wir als kleines Unternehmen können nicht alles wissen“, erklärt er, „Warum aber soll ich viele Stunden Zeit in die Recherche investieren, wenn andere schon längst Ergebnisse haben und mir weitergeben können?“ Umgekehrt gelte das natürlich auch. „Bis zu einem gewissen Punkt arbeiten wir zusammen – und ab dann herrscht wieder Wettbewerb, und man geht seinen eigenen Weg“, sagt Tenhaef.

Gerade kleinere Mittelständler profitieren

Wie wichtig ein Netzwerk ist, merkt er immer wieder. Kürzlich etwa, als er etwa 15 Zentimeter Titan brauchte und sich der Kauf einer Standardstange des Materials von sechs Metern für rund 1.000 Euro nicht gerechnet hätte. „Ein Netzwerkpartner hat uns daraufhin ein Titanstück dieser Größe verkauft“, erzählt Tenhaef. Geholfen hat ihm das Netzwerk auch bei seinem Schritt ins Ausland im Jahr 2012. Damals hatten „Großkunden mit eigener Produktion in China Wert darauf gelegt, dass wir als Zulieferer ebenfalls dort sind“, erinnert sich der MIT-Chef.

 

Auf seinen „Rundruf ins Netzwerk, wer selbst in China produziert“, kamen etliche Tipps. „Dadurch haben wir etliche Stolpersteine auf dem Weg zur eigenen Produktion in China und bei der Arbeit vor Ort vermeiden können“, sagt er. So lernte er etwa, dass ein „nicht fachgerechter Umgang mit den chinesischen Behörden, die letztlich die Partei sind, dazu führen kann, dass man immer hinten in der Warteschlange landet“. Oder dass „ein Stempel in China als rechtskräftige Unterschrift gilt“ – man dürfe ihn also nicht herumliegen lassen. Mittlerweile beschäftigt die 1989 gegründete MIT Moderne Industrietechnik nicht nur 85 Mitarbeiter in Deutschland, sondern auch 25 in China. 2019 lag der Gesamtumsatz bei rund 16,5 Millionen Euro, etwa ein Zehntel wurde in China erwirtschaftet.

 

„Ein gut funktionierendes Netzwerk bedeutet immer gegenseitige Hilfe“, sagt Tenhaef: „Neulich war einem Netzwerkpartner ein Auftrag weggebrochen, so dass er Schweißkapazitäten übrig hatte – und die hat er den anderen angeboten.“ Es gehe im Netzwerk darum, Kontaktezu knüpfen, aber nicht unbedingt um das Anbahnen von Geschäften zwischen den Mitgliedern. Diesen Gedanken hätten eher die assoziierten Partner, zu denen Dienstleister, Banken und Agenturen zählten. Austritte aufgrund der Corona-Krise verzeichnet OWL Maschinenbau bislang übrigens nicht. Aber „wenn jemand angesichts der Pandemie wegen der Mitgliedsbeiträge aus- oder gar nicht erst eintreten sollte, sparte er am falschen Ende“, sagt Tenhaef.

Regionale Cluster schaffen Nähe

Auch die Firma Georg Jordan in Siegburg gehört einem regionalen Cluster an. Der Produzent von Isolatoren für die Elektrotechnik ist seit 2016 Mitglied im branchenoffenen Netzwerk Familienbewusste Unternehmen Bonn/Rhein-Sieg. In der Praxis heißt „familienbewusst“ zum Beispiel: Kann ein Mitarbeiter aufgrund eines Krankheitsfalls in der Familie oder der Pflegebedürftigkeit von Eltern seiner Tätigkeit „in der normalen Arbeitszeit nicht nachkommen, wird versucht, die Arbeitszeit an seine Bedürfnisse anzupassen“, erläutert Personalleiterin Roswitha Bauer. Das heiße „eventuell auch spontan“: Abbau von Überstunden, Wechsel des Arbeitszeitmodells oder gegebenenfalls das Arbeiten von zu Hause aus. 1950 gegründet, hat Georg Jordan im vergangenen Jahr mit 130 Mitarbeitern in Deutschland sowie 200 Beschäftigten in Malaysia einen Umsatz von mehr als 18 Millionen Euro erwirtschaftet.

 

An dem Netzwerk schätzt Personalleiterin Bauer vor allem die räumliche Nähe: „Vier- bis fünfmal im Jahr besuchen wir andere Unternehmen vor Ort und lernen dort die Menschen, die Arbeitsweise und die Produkte kennen. Dieser branchenübergreifende Einblick ist sehr anregend.“ Außerdem nutzt die Personalleiterin die Netzwerkgruppe auf Xing – als weiteren Weg, mit den Mitgliedern des Netzwerks zu kommunizieren. „Hier gibt es regelmäßig aktuelle Infos zur familienbewussten Personalpolitik. Und wenn ein Kollege einen spannenden Artikel gefunden hat, der auch die anderen interessieren könnte, veröffentlicht er ihn dort“, erklärt sie.

 

Der Isolatorenproduzent und der Systemarmaturenhersteller sind zwei von zahllosen Mittelständlern, die sich in Netzwerken engagieren. Es gibt regionale und überregionale Cluster, es gibt thematische Netzwerke, etwa bezogen auf die Branche Maschinenbau, die familienbewusste Personalpolitik oder die Integration von geflüchteten Menschen, und es gibt Kombinationen wie etwa regional-thematische. Mittelstandsexperte Marc Evers vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in Berlin bezeichnet Netzwerke als „das A und O für den deutschen Mittelstand.“ Die Kontakte zwischen den Mitgliedern seien ein „ganz wichtiger Erfolgsfaktor, der beispielsweise den kleinen, tendenziell stärker regional organisierten deutschen Zulieferern die Türen zu größeren, international agierenden Unternehmen geöffnet hat“. Als weiteren Vorteil von Netzwerken sieht IHK-Experte Evers, bei anderen Unternehmen „Anschauungsunterricht nehmen“ zu können. Leistet sich ein Betrieb zum Beispiel keine eigene Personal- oder Marketingabteilung, weil der Chef alles selbst macht, so „kann er im Netzwerk sehen, wie andere Unternehmen das handhaben – und gegebenenfalls von ihnen lernen“.

 

Uwe Rittmann, Leiter Familienunternehmen und Mittelstand bei der Beratungs- und Prüfungsgesellschaft PWC, glaubt, dass Netzwerke vor allem in Krisenzeiten wichtig seien. Die unsichere Situation führe dazu, dass Unternehmer verstärkt verstehen wollten, wie andere sich verhielten, und den Austausch suchten. Zudem könnten Netzwerke dabei helfen, relevante Informationen zentral zu sammeln und für die Unternehmen praxisnah und verständlich aufzubereiten. „Oft helfen schon Kleinigkeiten“, ergänzt DIHK-Experte Evers, „etwa wenn es darum geht, wie Anträge ausgefüllt werden.“

Tipps für die Suche nach passenden Netzwerken

Doch wie finden Unternehmen ein für sie und ihre Bedürfnisse und Interessen geeignetes Netzwerk? Marc Evers vom DIHK rät, zunächst zu prüfen, welche Ressourcen in der Firma vorhanden sind, um sich in einem Netzwerk zu engagieren. „Bei einem ganz kleinen Betrieb ist es oft nicht einfach, sich Zeit für das Engagement in einem Netzwerk freizuschaufeln“, sagt er. Größere Unternehmen könnten dafür eher einzelne Mitarbeiter einsetzen. Viele Netzwerke, wie etwa örtliche Gewerbevereine oder die IHK, böten Partizipationsmöglichkeiten gerade auch für kleinere Unternehmen. Vor allem aber müssten sich die Mittelständler darüber klar werden, welchen konkreten Nutzen sie sich vom Netzwerk erhofften. „Möchte ich Fachkräfte finden, meine unternehmerischen Interessen artikulieren, oder geht es mir vor allem um den Erfahrungsaustausch“, nennt Evers einige Beispiele.

 

Auch PWC-Partner Uwe Rittmann empfiehlt Unternehmern, sich vorab Fragen zu stellen: Verschafft mir das Netzwerk Zugang zu möglichen Kooperationspartnern wie etwa Start-ups oder Gründern? Komme ich über das Netzwerk an Multiplikatoren einer Branche oder Region heran mit dem Ziel einer besseren Interessenvertretung bis hin zu Lobbyarbeit? Im nächsten Schritt sei dann zu prüfen, welche Netzwerke in Frage kämen, sagt Rittmann. Kriterien dabei seien die Größe der Mitgliedsunternehmen, die vertretenen Branchen, die Veranstaltungsangebote und die Höhe etwaiger Mitgliedsbeiträge. „Ist das Netzwerk überregional oder sogar international aktiv? Inwieweit ist es vernetzt mit der Politik? Vertritt es die Interessen seiner Mitglieder gut? Sind meine Wettbewerber dabei, sollte ich dort also auch Präsenz zeigen“, konkretisiert Rittmann. Einen Überblick über bereits existierende Netzwerke vermitteln etwa die Industrie- und Handelskammern, die Wirtschaftsförderung vor Ort oder der Gewerbeverein.

 

Hat der Unternehmer ein möglicherweise passendes Netzwerk gefunden, sollte er als Gast an einem der Treffen teilnehmen. Auch Marc Evers vom DIHK rät zu einem solchen Probebesuch. Nur so könne das Unternehmen feststellen, ob es seine Interessen im Netzwerk wiederfände, und im Gegenzug Dinge vorschlagen, die es selbst ins Netzwerk einbringen könne. Die Alternative zum Eintritt in ein bestehendes Netzwerk ist, ein eigenes zu errichten. Gerade im Mittelstand sei das gang und gäbe, berichtet Marc Evers: „Praktisch jeder Ort in Deutschland hat seine eigene Unternehmervereinigung.“ Auf dem Weg zum eigenen Netzwerk könnten Unternehmen „andere Firmen mit ähnlichen Themen oder auch die zuständige IHK ansprechen sowie kommunale Behörden wie das Gewerbeamt kontaktieren“, erläutert der DIHK-Experte. Die IHK beispielsweise hätten häufig Ideen, wen Mittelständler in ein Netzwerk integrieren könnten – oft seien die Banken und Sparkassen vor Ort sowie die Hochschulen der Region mit dabei.

Arbeitgebermarke Eifel

Das 2014 gestartete Netzwerk „Arbeitgebermarke Eifel“ will vor allem dem Fachkräftemangel entgegenwirken und hat aktuell 38 Mitglieder aus Branchen wie Pflege, Banken, Handwerk, industrielle Produktion und Handel. Drei Viertel der Unternehmen beschäftigen weniger als 250 Mitarbeiter. Die Mitglieder sollen möglichst viel Wertschöpfung in der Region halten, ausbilden und eines von acht Zertifikaten besitzen – vom „Eifel Arbeitgeber Check“ bis zum Siegel „Familienfreundlicher Arbeitgeber“. Das Netzwerk veranstaltet eine für alle Unternehmen aus der Eifel offene jährliche Fachtagung zu Themen wie Gesundheitsmanagement, strategische Personalplanung und Arbeitgebermarke. Auf internen Arbeitstreffen planen die Mitglieder der „Arbeitgebermarke Eifel“ etwa gemeinsame Messebesuche oder Social-Media-Aktivitäten. Die Mitgliedsbeiträge sind gestaffelt; Firmen mit bis zu 100 Mitarbeitern zahlen 3.000 Euro im Jahr. Dazu kommen die Kosten für das jeweilige Zertifikat.

Netzwerk Familienbewusste Unternehmen Bonn/Rhein-Sieg

Hinter dem seit 2013 aktiven Netzwerk steht das Kompetenzzentrum Frau & Beruf Bonn/Rhein-Sieg, ein Projekt der Wirtschaftsförderung der Stadt Bonn und des Rhein-Sieg-Kreises. Finanziell gefördert wird es vom Land Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Union. Dem Netzwerk gehören 88 Firmen aus unterschiedlichen Branchen an – vom produzierenden Gewerbe bis zum Handel und Handwerk. Zwei Drittel der im Netzwerk organisierten Unternehmen beschäftigen weniger als 50 Mitarbeiter. Viermal im Jahr finden Netzwerktreffen exklusiv für Mitglieder statt. Dabei geht es etwa um Incentives für die Beschäftigten oder interne Kommunikation. Dazu kommen auch für Nichtmitglieder zugängliche Workshops, Infoveranstaltungen und Webinare zu Themen wie „Führen in Teilzeit“ sowie ein ganztägiger „Aktionstag Familienbewusste Personalpolitik“. Die Mitgliedschaft ist kostenlos.

www.familienbewussteunternehmen.de

Unternehmen integrieren Flüchtlinge

Das 2016 gegründete Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ in Berlin ist eine Tochter des DIHK und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Es umfasst mehr als 2.400 Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber aller Größen, Branchen und Regionen, die geflüchtete Menschen beschäftigen oder dies planen. Etwa 70 Prozent der Mitglieder zählen sich zum Mittelstand mit bis zu 500 Mitarbeitern. Die Hälfte aller Unternehmen im Netzwerk beschäftigt weniger als 50 Angestellte. Das Netzwerk hilft auf drei Wegen: Erstens bereitet es Gesetzestexte auf, gibt Praxistipps und erläutert Fördermöglichkeiten. Zweitens ermöglicht es den Austausch der Mitglieder – so fanden 2019 bundesweit 126 Veranstaltungen in Handels- und Handwerkskammern statt. Und drittens will es das Engagement der Firmen sichtbar machen, etwa auf der Internetseite. Die Mitgliedschaft ist kostenlos.

www.nuif.de

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