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Ölembargo: Bleiben die Autos in Berlin und Brandenburg jetzt stehen?

Benzin und Diesel für die Hauptstadt und das Umland kommen vor allem aus einer Raffinerie: Das Petrolchemische Kombinat in Schwedt liefert die Kraftstoffe. Mehrheitsbesitzer des Werkes ist der russische Konzern Rosneft. Bei einem Ölembargo gingen in Schwedt die Lichter aus und die Raffinerie könnte nicht mehr liefern. Politik und Wirtschaft arbeiten fieberhaft an einem Ausweg.

Rohrleitung

Der Satz klingt neuerdings eher nach einer Drohung als wie ein Versprechen: „Wir bewegen Berlin und Brandenburg“, sagt die kräftige, tiefe Stimme im Werbetrailer des PCK, des Petrolchemischen Kombinats aus der brandenburgischen Kleinstadt Schwedt. Ob Benzin oder Diesel – angeblich fahren neun von zehn Autos in der Hauptstadt und drum herum mit Kraftstoff, der aus dieser Raffinerie stammt. Umgekehrt heißt das: Wenn es jetzt dumm läuft, fahren 90 Prozent der Autos nicht mehr. Die Raffinerie nämlich bezieht ihr Öl aus Russland. Und gegen Russland, so hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erst am Sonntagabend bekräftigt, wollen Deutschland und die EU ein totales Öl-Embargo durchsetzen. Die Raffinerie wäre dann trocken.


Während allerdings Berliner und Brandenburger darauf bauen können, dass sie zügig jemand anderes beliefert, sind die Schwedter diejenigen, die keine Alternative haben. In der 30 000 Seelen-Gemeinde unweit von Frankfurt an der Oder hängt jeder zweite Arbeitsplatz direkt oder indirekt an der Raffinerie. Deswegen entfaltet sich gerade zwischen Berliner Bundeswirtschaftsministerium, wo das Embargo irgendwie gemanagt werden muss, brandenburgischem Wirtschaftsministerium, wo sich niemand gegen die große Weltpolitik stellen will, aber jeder auch eine Verantwortung für die Region verspürt, und Schwedter Rathaus, wo die Interessenlage klar auf den Weiterbetrieb der Raffinerie ausgerichtet ist, eine hektische Pendeldiplomatie.
Das Bundeswirtschaftsministerium will Trost spenden, ohne falsche Versprechungen zu machen. „Die Lichter gehen hier nicht sofort aus", sagt der Parlamentarische Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner (Grüne) bei seinem Besuch in Schwedt an diesem Montag. Wobei allen klar ist: „nicht sofort“, heißt vermutlich: „irgendwann schon“. Die parteilose Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe entgegnet: Natürlich müsse die Energiepolitik neu ausgerichtet werden, das sei ihr und ihren Stadtverordneten klar. Aber: „Das ist ein Prozess, der mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird und der, wie der Kohleausstieg in der Lausitz, politisch begleitet und finanziell abgepuffert werden muss.”


In Schwedt endet die Erdölpipeline „Druschba" (Freundschaft), die den Schmierstoff der Wirtschaft aus Russland nach Deutschland pumpt. Die Raffinerie ist mehrheitlich in Händen des russischen Staatskonzerns Rosneft, nur ein kleinerer Teil gehört noch dem britischen Shell-Konzern. PCK verarbeitet ausschließlich russisches Erdöl, wenn es nicht mehr fließt ist Schwedt erledigt.


Peter Schauer übernahm nach der Wende das Amt des Oberbürgermeisters in der Kleinstadt an der Oder. Eine turbulente Zeit sei das gewesen, sagt er in einem Gespräch, dass der Berliner Tagesspiegel jüngst mit ihm und seiner Nachfolgerin geführt hat. Die Druschba-Pipeline war die „Nabelschnur“, um die herum eine sozialistische Vorzeigestadt errichtet worden war. Die entscheidende Frage, auf die Schauer nach der Wende keinen Einfluss hatte, sei damals gewesen: Würden sich Käufer für das Petrolchemische Kombinat am Stadtrand finden, in dem etwa 8000 Leute beschäftigt waren? Irgendwann lautet die Antwort: „Ja.“ Das „aber“ kam später.


Es besteht darin, dass der größte Anteilseigner an der PCK-Raffinerie mit 54 Prozent inzwischen Rosneft wurde. Und so lange der russische Konzern das Sagen habe, geht niemand davon aus, dass in Schwedt etwas anderes als russisches Öl verarbeitet werden kann. Das aber ist demnächst geächtet. Deshalb nützt es wenig, wenn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck versichert, man werde Öl von anderswo nach Schwedt karren, um es dort verarbeiten zu lassen. Selbst wenn das Wirtschaftsministerium den russischen Gesellschafter mit Hinweis auf die Versorgungssicherheit Ostdeutschlands enteignen würde, sei das keine Soforthilfe. Denn die Raffinerie ist auf russisches Öl von bestimmter Qualität ausgerichtet. Sie auf anderes Öl umzurüsten, würde Monate dauern. Als 2019 einmal verunreinigtes russisches Öl zu einem Abschalten der Druschba-Pipeline führte, war der Ausfall über den Umweg Rostock kompensiert worden. 60 Prozent schaffte die Ersatztrasse, aber die Prozessstabilität im Werk „begann zu zittern“, wie es ein Beteiligter ausdrückt. Die chemischen Verfahren drohten zusammenzubrechen.


Hoppes Langfrist-Hoffnung, die sie dem „Tagespiegel“ mitteilt: Schwedt könnte von denselben milliardenschweren europäischen Fördertöpfen profitieren, mit denen die Bergbauregionen in der Lausitz von der Braunkohleverfeuerung entwöhnt werden. Die Anträge seien allesamt geschrieben, die Transformation eingeleitet. Ein Innovationscampus soll die wissenschaftlichen Grundlagen erforschen. Schon jetzt würden durch PCK und eine Partnerfirma Bio-Treibstoffe in Schwedt erzeugt. „Ich brauche mehr Zeit“, sagt Hoppe.
Die läuft ihr und den Bürgerinnen und Bürger der Stadt jedoch davon. Am Freitag war im Bundestag erstmals eine Novelle des Energiesicherungsgesetzes beraten worden. Sie sieht vor, dass die Bundesregierung in einem Energie-Krisenfall in den Markt eingreifen darf und Unternehmen zur Not auch enteignen kann. Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) hilft Hoppe auch nicht, wenn er sagt, man müsse letzten Ende noch abwarten, „wie das Gesetz formuliert wird. Für jedes Szenario gibt es Konsequenzen." Und auch die Chemie- Gewerkschaft macht Hoppe nicht wirklich Mut. „Wenn sich irgendetwas ergibt, was sich auf die Beschäftigten auswirkt, steht ihre Gewerkschaft selbstverständlich dicht an ihrer Seite”, sagte Bezirksleiter Rolf Erler, wobei offenbleibt, was an der Seite konkret getan werden könnte.


Die einzige echte Hoffnung, auf eine kurzfristige Lösung, ruht jetzt noch auf Shell, dem Minderheitseigner der Raffinerie. Dem Rohstoffkonzern geht es seit Monaten hervorragend, weil die hohen Energiepreise einen schier nicht endenden Geldsegen in seine Kasse spült. Der Umsatz des Ölmultis stieg um satte 43 Prozent im vergangenen Geschäftsjahr, das Ergebnis lag bei knapp 15 Milliarden Euro. Da wäre doch eigentlich was zu machen.


Tatsächlich führt das Energieunternehmen Gespräche mit Politikern über eine mögliche Unterstützung von PCK. Steinbach sagt sogar, Shell habe zugesichert, Öl für PCK einzukaufen. Damit könnten 50 bis 60 Prozent der Kapazitäten gesichert werden. Vom Unternehmen klingt das etwas zurückhaltender: „Die Äußerungen des brandenburgischen Wirtschaftsministers, dass Shell die PCK in Schwedt auch unter Inkaufnahme wirtschaftlicher Verluste unterstützen werde, um die Versorgung der Region aufrecht zu erhalten, haben wir zur Kenntnis genommen”, teilte Shell mit. Womit klar wird: Vom Betrieb auf Sparflamme über Umrüstung bis hin zu Licht aus – für Schwedt sind derzeit alle Szenarien denkbar.

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