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Zukunftsmärkte > Mittelständler mit Weltruf

Orgelbauer Philipp Klais gibt den Ton an

Als Kind traute sich Philipp Klais nicht, in der Kirche mitzusingen. Heute verleiht der Bonner Unternehmer Orgeln auf der ganzen Welt ihre einzigartige „Stimme“. Erst der Klang macht jedes Instrument zu einem Unikat.

Hektik sieht anders aus. Bei Orgelbau Klais in Bonn geht es gemächlicher zu als in den meisten anderen Produktionsbetrieben – dass die Fertigung innerhalb von Stunden oder Tagen überhaupt voranschreitet, erkennt wohl nur das Kennerauge. „Von der ersten Idee bis zur Fertigstellung einer Orgel dauert es rund drei Jahre“, erklärt Inhaber und Geschäftsführer Philipp Klais.

Dieser enorme Zeitaufwand liegt vor allem darin begründet, dass jedes Instrument ein Unikat ist, dessen Hunderte Einzelteile nach Maß angefertigt und händisch zusammengebaut werden – zuzüglich mehrerer Tausend Pfeifen. Klais – weißes Hemd, Jeans, Sneaker – steht in der Spieltischwerkstatt, wo das Herzstück des Instruments entsteht, und hält eine Taste prüfend an den 1:1-Bauplan eines Orgelneubaus. „Glück gehabt, passt!“, sagt der 51-Jährige halb ernst, halb im Spaß. Ganz sicher kann man sich da allerdings nie sein. Die gegelten Haare und sein rheinischer Frohsinn verleihen dem vierfachen Vater stets etwas Spitzbübisches. Hin und wieder blitzt aber auch der Perfektionist auf, der jedes seiner Orgelbau-Projekte mit akustischer Akribie und künstlerischem Ehrgeiz verfolgt.

Etwa vier mittelgroße bis große Orgeln konstruieren und bauen die 65 Mitarbeiter von Klais jedes Jahr. Vor kurzem erst hat der Hidden Champion eine Orgel für die „Hunstadt Kirka“ im norwegischen Bodø ausgeliefert. Und für die Musikhochschule Köln nimmt im Montagesaal gerade eine Konzertorgel Gestalt an: der Orgelprospekt, also die Vorderseite, und die Seiten aus meterhohen Holzpfeifen, die später für die tiefen Töne zuständig sind, stehen bereits. Ohne das Innenleben erinnert die Konstruktion ein bisschen an ein Fertighaus.

Keine Schande für die Firma sein

Der Aufbau der Orgel ist aber gar nicht das Aufwendigste. Mindestens genauso lange – rund drei Monate – dauert die Intonation, das Stimmen der Orgel. Den Koloss aus Holz und Metall zum Leben zu erwecken ist ein erhabener Akt, der die Orgel erst zu dem macht, was sie am Ende sein soll: eine Persönlichkeit. „Je nach kulturellem und geographischem Kontext hat jede Orgel ihre eigene Sprache“, doziert Klais über sein Lieblingsthema. Nur wenn die Orgel dieselbe Klangsprache wie ein Mensch spreche, könne sie ihn auch emotional berühren, ist der Orgelbauer überzeugt. Dass Philipp Klais das Familienunternehmen in der mittlerweile vierten Generation führt, war keineswegs selbstverständlich. „Als Kind wollte ich Kameramann oder Pilot werden – auf jeden Fall etwas Cooles.“ Hinzu kam: Der Junge mochte seine eigene Stimme nicht. Im Sonntagsgottesdienst hatte Klais sogar Hemmungen, mit der Gemeinde zu singen. „Ich dachte immer: Wenn jemand hört, wie falsch ich singe, wäre das eine Schande für die Firma“, erinnert sich der 51-Jährige.

Mehr Artikel aus unserer Serie „Macher“ finden Sie auf unserer Themenseite.

Zu seinen frühkindlichen Prägungen zählte allerdings auch die positive Erfahrung, dass das Singen leichter fällt, wenn es vom weichen Klangteppich eines Musikinstruments getragen wird. Die letzten Zweifel an seiner Eignung verschwanden, als er, 19-jährig, beim Aufbau einer Orgel in Australien mithalf. „Zu sehen, wie das Instrument von Anfang bis Ende entsteht, und es dann das erste Mal zu hören, ist faszinierend. Das hat mich seitdem nicht mehr losgelassen“, erläutert Klais. Zurück in Europa, begann er schließlich eine Ausbildung zum Orgelbauer im Elsass.

Seit 1995 trägt der Urenkel des Gründers die alleinige Verantwortung für den Betrieb und ist damit auch in große Fußstapfen getreten. Klais-Orgeln haben seit der Gründung des Unternehmens im Jahr 1882 einiges Prestige erworben – sie gelten in Fachkreisen als der Mercedes unter den Orgeln. Darüber hinaus geben die Instrumente aus Bonn auch im Hinblick auf technische Raffinesse und Innovation weltweit den Ton an. Unter der Leitung von Philipp Klais hat sich daran nichts geändert – im Gegenteil: Den Trend zu Innovation im Orgelbau hat das Unternehmen unter seiner Führung eher noch verstärkt.

 

Vision von der mobilen Orgel

So wurde beispielsweise für die Große Orgel in der Elbphilharmonie in Hamburg eine spezielle Beschichtung entwickelt, die es möglich macht, die dünnwandigen Orgelpfeifen zu berühren. Für das „Overture Centre for the Arts“ in Wisconsin wurde die Orgel auf einen fahrbaren Untersatz auf Schienen montiert, mit dem das 30 Tonnen schwere Instrument für Symphoniekonzerte in den Saal geschoben werden kann.

Solche technischen Spitzenleistungen, für die das Unternehmen weltweit Respekt und Anerkennung erfährt, sind für Philipp Klais kein Grund für übertriebenen Stolz oder gar Übermut. „Über Erfolg habe ich noch nie nachgedacht, und ich würde das auch nicht für mich in Anspruch nehmen“, sagt er bescheiden, „denn bei jedem Projekt gibt es wieder neue Herausforderungen.“ Große Pläne hat er dennoch. Klais hat es zu seiner ganz persönlichen Mission gemacht, dieses ungewöhnliche Instrument von seinem verkrampften Image zu befreien: „Ich will die Orgel wieder näher zu den Menschen bringen und das einzigartige Klangerlebnis gerade auch jungen Menschen zugänglich machen.“

Zahlen & Daten

Johannes Klais Orgelbau GmbH & Co. KG

  • Gründung: 1882
  • Umsatz: 6 bis 8 Millionen Euro p.a.
  • Auslandsanteil: 40 bis 50 Prozent
  • Mitarbeiterzahl: 65, davon 12 Azubis
  • Firmensitz: Bonn

Wie das gehen soll, weiß er auch schon. Klais arbeitet seit vielen Jahren mit dem französischen Orgelvirtuosen und Komponisten Jean Guillou daran, dessen Traum von einer großen transportablen Orgel zu verwirklichen, die aus 14 Einzelmodulen besteht und auf den klangvollen Namen „Orgue à structure variable“ hört. Der Clou: Die Einzelteile können nicht nur vergleichsweise einfach per Lkw transportiert werden, sie könnten auch in immer wieder neuen Kombinationen zusammengestellt werden. Die Module ließen sich zum Beispiel in einem Kreis um die Zuschauer herum aufstellen und würden so für ein völlig neues Musikerlebnis sorgen, schwärmt der Orgelunternehmer. Im Handumdrehen könnte so aus praktisch jedem Raum ein Saal für Orgelkonzerte werden – die Arena in Verona soll bereits Interesse bekundet haben. Bisher fehlt für die Realisierung dieses Großprojekts allerdings noch das nötige Geld.

Von solchen Widrigkeiten lässt sich ein Orgelbauer jedoch nicht aufhalten. Eine andere Innovation hat Philipp Klais bereits in der Orgel verbaut, die demnächst im norwegischen Bodø eingeweiht wird: „Über eine einfache Mechanik kann man unmittelbar mechanisch die Lunge der Orgel, einen großen Balg, manipulieren und so eine ganz neue Klangsprache erzeugen“, erklärt er. Für ein weiteres ambitioniertes Zukunftsprojekt gibt es schon erste Computeranimationen, aber Klais will darüber noch nichts verraten. Nur so viel: Die spektakuläre Orgel, ein Kooperationsprojekt mit weiteren Orgelbauwerkstätten, soll in Europa entstehen und könnte im Jahr 2025 fertig sein – für einen Orgelbauer ein lächerlich kurzer Zeitraum.

UNESCO-Weltkulturerbe

Ende 2017 hat die Unesco „die Tradition von Orgelbau und Orgelmusik in Deutschland“ zum
Weltkulturerbe erklärt. Damit gehört dieses Kunsthandwerk zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit. In Deutschland gibt es rund 200 Orgelbaubetriebe. Mit rund 50.000 Orgeln verfügt
Deutschland über die größte Orgeldichte der Welt.


Dieser Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 05/2018. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.

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