Die Proteste in Hongkong sind nur ein lokales, politisches Problem? Keineswegs. Eskaliert die Lage, verkompliziert sich auch für deutsche Unternehmen der Zugang zum chinesischen Exportmarkt, erklärt Carlos Casanova, Asien-Pazifik-Experte des Kreditversicherers Coface.
Wie sehr beeinflussen die derzeitigen Proteste die Wirtschaftsaktivität in Hongkong?
Die Hongkonger Wirtschaftskraft hat in den vergangenen Monaten etwas nachgelassen, denn der Handelskrieg zwischen den USA und China wirkt sich auf die gesamte – sehr exportgetriebene – Region aus. In der ersten Jahreshälfte wuchs das BIP um lediglich noch 0,6 Prozent, im zweiten Quartal schrumpfte es im Vergleich zum ersten. Die Proteste haben schon jetzt Auswirkungen auf den lokalen Konsum und Investitionen, in welchem Umfang wird sich in den Zahlen des dritten Quartals zeigen. Durch die Unruhen an wichtigen kommerziellen Punkten fielen die Einzelhandelsverkäufe im September um 23 Prozent. Aufgrund der politischen Unsicherheit werden ausländische Unternehmen möglicherweise ihr Kapital abziehen und Investitionen verschieben. Daher erwarten wir eine weitere BIP-Schrumpfung im dritten und vierten Quartal – Hongkong betritt also eine Rezession.
Hongkong ist bei der Internationalisierung des deutschen Mittelstands Tor nach China. Kann die Regierung die Forderungen der Demonstranten erfüllen? Und was würde das für deutsche Unternehmen bedeuten, die mit China Handelsbeziehungen unterhalten?
Nur auf die erste Forderung ist die Regierung eingegangen, die anderen lehnt sie ab. Regierungschefin Carrie Lam weiß, was auf dem Spiel steht und will vermeiden, denselben Fehler zu machen wie ihr Vorgänger Leung Chun-ying, der im Rahmen der „Occupy Central“-Bewegung 2014 zurücktreten musste. Zwar müssen sich deutsche Unternehmen, die in Hongkong investieren wollen, auf ein Umfeld höherer politischer Risiken einstellen. Doch trotz der politischen Krise bleiben Hongkongs Justizsystem, institutionelle Rahmenbedingungen und Steuerpolitik investorenfreundlich ist wie eh und je. Daher kann Hongkong Tor zu China bleiben. Noch gibt es daher keine Anzeichen für Kapitalflucht.
Die Regierung soll
Welche neuen Schwierigkeiten ergäben sich für deutsche Unternehmen, wenn China seinen Einfluss auf Hongkong weiter ausdehnte?
Sollte die Situation eskalieren und Peking tatsächlich intervenieren, wäre dies das Ende für das Prinzip „ein Land, zwei Systeme”, das aber Voraussetzung für Hongkongs Rolle als globales Finanzzentrum ist. Folge wäre vermutlich ein Kapitalabzug mit negativen Auswirkungen auf Hongkongs Wirtschaft und den an den Dollar gebundenen Wechselkurs.
Kann China ohne seinen unabhängigen „Finanzarm“ Hongkong die internationale Rolle einnehmen, die es anstrebt? Müsste es den eigenen Finanzsektor dann dafür öffnen?
China wird wegen seiner schieren Größe und wachsendem Einfluss international wichtig bleiben, egal was passiert. Trotzdem wären die Kosten für die Volksrepublik hoch. Etwa 60 Prozent der Investitionen, die China im Ausland tätigt, fließen durch Hongkong. Zudem finanzieren sich chinesische Unternehmen über die Hongkonger Aktien- und Anleihenmärkte. Wenn China seinen eigenen Finanzsektor geschlossen halten will, braucht es einen anderen „Vermittler“ in die Welt.
Könnte Singapur neues Tor zu China werden, wenn Hongkong diese Rolle nicht mehr ausfüllen kann oder möchte?
Es wurde schon viel spekuliert, ob einige der Finanzdienstleistungen umgeleitet werden, falls Hongkongs Status auf dem Spiel steht. Natürlich ist Singapur eine Option, auch hier gelten steuerliche und rechtliche Vorteile, über Singapur läuft zudem viel Geschäft nach Südostasien, unter anderem wegen seiner geografisch vorteilhaften Lage in der Straße von Malakka. Doch hinkt Singapur im Vergleich zu anderen internationalen Finanzzentren hinterher: New York, London, Hongkong, Shanghai, Shenzhen und sogar Mumbai haben einen größeren Anteil am globalen Börsenmarkt. Daher ist es unwahrscheinlich, dass Singapur die Rolle des Finanzvermittlers ausfüllen kann, die derzeit Hongkong innehat.