Joko Winterscheidt - einer von 3,6 Millionen, die Deutschland zusammenhalten
Moderator Joko Winterscheidt ist auch Kleinstunternehmer. Soloselbstständige sind das Fundament der Wirtschaft – doch Politik und Bürokratie setzen sie unter Druck. Was sich ändern muss.
Soloselbstständige bilden den Großteil aller deutschen Unternehmen, doch ihre Belange spielen kaum eine Rolle. Dabei leiden sie besonders unter den Rahmenbedingungen.
Sich selbstständig zu machen, ist mutig. Die meisten der 3,6 Millionen Soloselbstständigen hierzulande brauchen Mut wegen des finanziellen Risikos. Viele verlassen eine sichere Festanstellung mit Kündigungsschutz, um ohne Sicherheit für sich allein verantwortlich zu sein. Eine kleine Gruppe von Kleinstunternehmern braucht Mut, weil der Namensverlust droht. Joachim „Joko“ Winterscheidt gehört dazu. 2021 gründete der Moderator nach einem Jahr Vorbereitung sein Unternehmen Jokolade, mit dem er Produkte aus fair produziertem Kakao an die Konsumenten bringen will.
Der Anspruch lautet: „100 Prozent sklavenfreie Schokolade“ und die Verwendung fair gehandelter Zutaten. Auslöser waren nach Winterscheidts Aussage die Zustände bei der Kakaogewinnung: moderne Sklaverei, Kinderarbeit und Urwaldrodungen. 2023 beteiligte sich der Süßwarenhersteller Katjes mit 50 Prozent am Unternehmen. Winterscheidt blieb die zentrale Figur von Jokolade.
Das finanzielle Risiko ist bei Jokolade offenbar überschaubar. Aber wenn die Unternehmung scheitert, bleibt das wegen des Namens am Prominenten haften. Oder noch schlimmer: Irgendwo in der Lieferkette werden die eigenen hohen ethischen Ansprüche nicht eingehalten. Die negative Berichterstattung wäre ihm gewiss. Also darf man Winterscheidt genauso Respekt zollen wie den anderen 3,6 Millionen Kleinstunternehmen.
Auch die Idee, etwas Gutes für die Welt zu machen, treibt viele Soloselbstständige an. Bei anderen ist es das Naturell, schlecht mit Fremdbestimmung klarzukommen und sein eigener Herr beziehungsweise seine eigene Frau sein zu wollen. Die Aussicht auf das große Geld mag auch manchmal dahinterstecken, oft ist es aber die Freiheit sowie die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen.
Makroökonomisch betrachtet bilden die Soloselbstständigen und kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) das Rückgrat des deutschen Mittelstands. Sie stellen mit einem Anteil von mehr als 99 Prozent den Großteil aller deutschen Unternehmen und damit der gesamten Wirtschaft.
Für den Standort Deutschland wäre es sehr gut, wenn es mehr Soloselbstständige gäbe. „Unternehmensgründungen und selbstständige Tätigkeit sind ein Motor für wirtschaftliches Wachstum und bringen innovative Produkte und Dienstleistungen hervor“, sagt Katrin Demmelhuber, beim Münchener Ifo-Institut zuständig für Selbstständige. „Sie stärken die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft und fördern den Strukturwandel.“ Gründungen und Start-ups können mit ihren neuen Ideen helfen, dem Mittelstand Impulse zu geben und alternative Wege aufzuzeigen.
Seit August 2021 berechnet das Ifo-Institut den Jimdo-Ifo-Geschäftsklimaindex für Soloselbstständige und Kleinstunternehmen mit weniger als neun Beschäftigten anhand der Ergebnisse aus den Ifo-Konjunkturumfragen. Ein Vergleich mit dem „großen“ Ifo-Geschäftsklimaindex zeigt, dass die wahrgenommene Lage bei den Selbstständigen spürbar schlechter ist. Immerhin: Im Mai gab es einen deutlichen Anstieg beim Geschäftsklima, die zuletzt stark gestiegene Unsicherheit unter den Selbstständigen hat etwas nachgelassen. „Eine Trendwende ist das allerdings noch nicht“, dämpft Demmelhuber. Seit dem Langzeittief im Januar 2025 sei keine kontinuierliche Aufwärtsbewegung des Klimaindikators zu beobachten, sondern eher ein Auf und Ab. „Die Herausforderungen werden die Selbstständigen weiterhin begleiten.“
Ein Problem ist die schwache Auftragslage. Rund jeder zweite Befragte sieht hier Probleme. Damit liegt der Anteil deutlich über dem der Gesamtwirtschaft mit 37,3 Prozent. Die Herausforderungen zwischen kleinen und großen Unternehmen sind spürbar unterschiedlich: Haben die größeren Firmen in den vergangenen Jahren vor allem mit Problemen auf der Angebotsseite wie Fach- und Arbeitskräftemangel, Lieferschwierigkeiten bei Handelswaren und Vorprodukten sowie Materialengpässen zu kämpfen, liegen die Probleme bei den kleineren häufig eher auf der Nachfrageseite. Zudem spüren Soloselbstständige und Kleinstunternehmen Probleme oft unmittelbarer, weil ihre finanziellen Rücklagen geringer sind und sie an wenigen Kunden oder Einnahmequellen hängen. Da kann ein Rückschlag schneller existenzbedrohend werden.
Weniger Papierkram hilft
Bestehenden Kleinstunternehmen könnten Politik und Wirtschaftsförderung schon helfen, wenn sie Regeln vereinfachen. „Ein Thema, das uns die Befragungsteilnehmenden immer wieder mitgeben, ist Bürokratieabbau“, sagt Ifo-Expertin Demmelhuber. Weniger Verwaltungsaufgaben würden Zeit und Kosten sparen, sodass sich die Selbstständigen stärker auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Zum Beispiel das Statusfeststellungsverfahren, bei dem Selbstständige nachweisen müssen, dass sie wirklich frei arbeiten und nicht immer noch abhängig tätig sind, nur unter einem anderen Etikett. „Durch eine zügige Umsetzung der angekündigten Reform könnten Selbstständige mehr Rechtssicherheit erhalten“, sagt Demmelhuber. Selbstständige bräuchten gerade jetzt klare Rahmenbedingungen und Planungssicherheit.
Doch die wird schwer zu erreichen sein. Ein kritischer Blick auf den Zustand des Sozialstaates bereitet allen Unternehmerinnen und Unternehmen Sorgen, aber besonders den Kleinstunternehmen mit ihrem weit überdurchschnittlich hohen Anteil an Personalkosten. Mögen für eine Bäckerei die Preise für Energie, Butter, Mehl und Öl rasant gestiegen sein – es dürfte wenig sein im Vergleich zu dem erwartbaren Kostenplus für die Beschäftigten. 2022 lagen die Sozialabgaben bei 40 Prozent des Bruttolohns. Aktuell sind es schon 42,5 Prozent, in fünf Jahren dürften es rund 45 Prozent sein und 2041 wird wohl die 50-Prozent-Grenze durchbrochen. Wenn selbst besonnene Ökonomen richtig gerechnet haben, geht es ohne Veränderungen danach weiter in Richtung 60 Prozent.
Diese gigantische Steigerung ist die Summe vieler Teile. Zum Jahreswechsel haben die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen ihre Beitragssätze im Schnitt um 1,4 Prozentpunkte erhöht. Bei einer kleinen Bäckerei fließen jetzt schon zwischen fünf und zehn Prozent des Preises für ein Brötchen in die Sozialabgaben der Mitarbeitenden. Und wohin die Reise geht, ist klar: Die Pflegekassen werden 2026 mindestens 0,3 Prozentpunkte mehr verlangen müssen. Die Bundesagentur für Arbeit erwartet ein Milliardendefizit, was höhere Beiträge bedeutet. In der Rente werden die Beitragssätze noch in dieser Wahlperiode steigen. Auch wenn jedes Plus für sich genommen kein Drama darstellt, belastet der Sozialstaat einer alternden Gesellschaft das Wirtschaftsmodell in Summe sehr. Und die kleinen Betriebe mit hohem Anteil an Personalkosten trifft es besonders hart. Bei einem selbstständigen Steuerberater oder im Handwerk fließen rund die Hälfte der Einnahmen in Personalkosten. Bei Seniorenheimbetreibern sind es 65 bis 70 Prozent. Bei einem Autobauer liegt dieser Anteil bei zehn bis 15 Prozent.
Dabei ist es kein Naturgesetz, dass der Sozialstaat den Produktionsfaktor Arbeit so stark belastet. Es gibt Vorschläge genug, um diese Altlast aus dem 19. Jahrhundert, als Arbeit fast alles und Kapital weniger wichtig war, zu mindern – vor allem bei der Rente und der gesetzlichen Krankenversicherung lassen sich Ausgaben senken, ohne dass die Qualität leidet.
Banken bemerken traditionell mit am besten, was die Unternehmen umtreibt – auch die kleinen und mittleren: „Es geht um geopolitische Unsicherheiten. Es geht um Digitalisierung und um Bürokratie“, sagt Serge Offers, Head of Business Banking ING Deutschland. Das Institut wendet sich mit seinen digitalen Angeboten gezielt an KMU und Selbstständige. Der Druck sei nach wie vor groß. „Dennoch glaube ich, dass gleichzeitig viele Möglichkeiten bestehen – auch rund um Deregulierung. Inzwischen sehen die meisten Unternehmer wieder mehr Wachstumschancen.“
Die Lust der meisten Kleinstunternehmer und -unternehmerinnen auf das Thema Finanzen ist begrenzt, wie alle Seiten zugeben. „Wenn ich mit Unternehmern spreche, reden sie mit mir nie über die Verwaltung ihrer Finanzen. Sie diskutieren lieber über ihre Geschäftsideen, ihre Träume und Produkte. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sie sich darauf konzentrieren können“, sagt Offers. Ein allgemeiner Tipp von ihm lautet: „Ich gebe Unternehmern immer den Rat, die persönlichen Finanzen auf der einen Seite und die geschäftlichen Finanzen auf der anderen Seite zu trennen. Ein Geschäftskonto hilft, den Überblick zu behalten und richtig zu planen. Zusammen mit einer professionellen Buchführung erleichtert das auch die Steuererklärung und die Finanzplanung. Und es ist nicht zuletzt ein Zeichen von Professionalität, dass man den privaten und den geschäftlichen Teil nicht vermischt.“
Einfachheit als Schlüssel
Laut Studien nutzt die Mehrheit der kleinen und mittleren Unternehmen vermehrt Apps für das Bankgeschäft. Die digitale Affinität wächst also, was Offers hilft. Zumindest wenn die Technik passt. Wenn die Leute ein Konto eröffnen wollen, muss das ganz einfach sein. Wenn sie bezahlen wollen, sollte es intuitiv sein. „Diese Einfachheit wird der Schlüssel für erfolgreiches Unternehmertum sein“, meint der ING-Experte. Für die Bank sei es wichtig, eine Verbindung zu den Unternehmern auf digitalem Wege zu schaffen. Wobei Offers weiß, dass der Anteil der Hausbanken unter den digitalen Akteuren und Neobanken noch gering ist. „Viele Betriebe nutzen sie, jedoch nicht als Hauptbank. Aber das ist der erste Schritt, bei dem wir in Zukunft eine Verschiebung erwarten.“
Digitalisierung hilft bei den Finanzen, aber auch an anderer Stelle. Der Jimdo-Ifo-Geschäftsklimaindex kommt in diesem Zusammenhang noch auf eine andere spannende Erkenntnis: Es gibt bei Kleinstunternehmern und Soloselbstständigen einen überdurchschnittlichen Hang, künstliche Intelligenz zu nutzen. Fast jeder Dritte setzt inzwischen KI ein, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Für sie wird die Technologie zu einem echten Wachstumshebel, weil sie hilft, effizienter zu arbeiten, neue Geschäftsfelder zu erschließen und flexibler auf Marktveränderungen zu reagieren. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten mit Auftragsmangel kann das den entscheidenden Unterschied bringen.
Warum sind Soloselbstständige für die deutsche Wirtschaft so wichtig?
- Über 3,6 Millionen Soloselbstständige gibt es in Deutschland – sie machen mehr als die Hälfte aller Unternehmen aus.
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Zusammen mit Kleinstunternehmen und KMU stellen sie über 99 % aller Firmen in Deutschland.
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Sie sorgen für Innovationen, treiben den Strukturwandel voran und stärken die Wettbewerbsfähigkeit.
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„Unternehmensgründungen sind ein Motor für wirtschaftliches Wachstum“, betont Katrin Demmelhuber vom Ifo-Institut.
Mit welchen Herausforderungen kämpfen Soloselbstständige besonders?
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Auftragsmangel: 50 % der Befragten im Jimdo-Ifo-Index berichten über zu geringe Nachfrage.
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Kaum finanzielle Rücklagen: Ein Auftragseinbruch kann schnell existenzbedrohend sein.
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Höhere Abhängigkeit von Einzelkunden oder wenigen Einnahmequellen.
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Überdurchschnittlich hohe Personalkosten im Vergleich zu Großunternehmen.
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Bürokratische Hürden, z. B. durch das Statusfeststellungsverfahren.
Was würde Soloselbstständigen konkret helfen?
- Bürokratieabbau: Weniger Verwaltungsaufwand, mehr Fokus auf das Kerngeschäft.
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Reform des Statusfeststellungsverfahrens: Rechtssicherheit für echte Selbstständige.
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Verlässliche Sozialabgaben: Planungssicherheit statt ständig steigender Abgaben.
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Einfachere Finanzverwaltung: Trennung von privaten und geschäftlichen Konten, digitale Buchhaltung, intuitive Tools.
Warum steigen die Sozialabgaben – und wen trifft das besonders?
- Sozialabgaben stiegen von 40 % (2022) auf 42,5 % (2025) des Bruttolohns.
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Prognose: 50 % bis 2041, ggf. 60 % bei weiterem Reformstau.
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Kleine Unternehmen sind besonders betroffen: Dort machen Personalkosten oft über 50 % der Gesamtausgaben aus (z. B. im Handwerk oder in der Pflege).
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Bei Großunternehmen wie Autobauern liegt dieser Anteil meist unter 15 %.
Wie beeinflussen Digitalisierung und KI die Selbstständigkeit?
- Fast 1 von 3 Selbstständigen nutzt mittlerweile KI, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr.
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Einsatzgebiete:
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Automatisierung von Routineaufgaben
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Effizienzsteigerung
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Erschließung neuer Geschäftsfelder
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Reaktion auf volatile Märkte
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KI wird zum Wachstumshebel, insbesondere bei stagnierender Nachfrage.
Was fordern Forschung und Wirtschaftspolitik?
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Mehr Gründungsförderung statt Fokussierung auf klassische Beschäftigung.
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Wertschätzung für Selbstständige in wirtschaftspolitischen Debatten.
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Strukturreformen im Sozialstaat, um die Belastung des Faktors Arbeit zu reduzieren.
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Digitalisierung und Deregulierung als Hebel für mehr Unternehmertum.
Mutige Selbstständige
Dieser Artikel stammt aus unser Juli-Ausgabe 2025, in den denen wir mutigen Selbstständigen ein Spezial gewidmet haben, den: 3,6 Millionen Kleinstunternehmerinnen und Unternehmern. Es gibt – leider keine guten – Gründe, warum diese Gruppe in der breiten Medienlandschaft kaum besprochen wird. Und warum sie kaum Lobby in der großen Politik hat.
Hier finden Sie die weiteren Artikel dazu:
- imdo-Gründer Matthias Henze: Warum Selbstständigkeit Menschen gut täte
- Joko Winterscheidt - einer von 3,6 Millionen, die Deutschland zusammenhalten
- Selbstständig und steuerpflichtig: Was Gründer über die Steuerregeln wissen müssen
- Franchising in Deutschland: Chancen für Gründer, Konzepte für Regionen