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Zukunftsmärkte > Thyssenkrupp vor Umbruch

Stahl adé: Demontiert sich Thyssenkrupp selbst?

Thyssenkrupp plant tiefgreifende Umstrukturierung: Stahlsparte vor Verkauf, Marinesparte vor Börsengang – ein Bruch mit industrieller Tradition.

Laut Medienberichten soll der Thyssenkrupp-Konzern zerschlagen werden. Konzernchef Lopez plant einen radikalen Umbau des Unternehmens, Teile sollen verkauft werden, Arbeitsplaetze werden abgebaut, (Foto: picture alliance)

Der traditionsreiche Industriekonzern Thyssenkrupp steht vor einer tiefgreifenden strukturellen Neuausrichtung – ein Umbau, der weniger als Reorganisation denn als Demontage eines einstigen Industrie-Giganten gelesen werden kann. Nach aktuellen Informationen plant der Vorstand unter CEO Miguel López, den Konzern in eine schlanke Finanzholding zu überführen und zentrale Geschäftsbereiche auszugliedern oder vollständig zu veräußern. Was damit endet, ist nicht nur ein integriertes Unternehmensmodell – es endet ein Stück deutscher Industriegeschichte.

 

Reduktion auf das Managementgerüst: Das Ende der Konzernzentrale

Symbolträchtig ist die geplante Schrumpfung der Konzernzentrale in Essen: Von einst 500 Beschäftigten sollen lediglich 100 übrig bleiben. Auch in der Verwaltung droht ein rigoroser Personalabbau. Interne Stimmen sprechen von einer "Dachgesellschaft ohne Inhalt" – ein Bild, das die beabsichtigte radikale Verschlankung plastisch illustriert.

Sparten auf dem Prüfstand: Stahl vor dem Verkauf, Marine vor dem Börsendebüt

Besonders markant ist der beabsichtigte Verkauf der Stahlsparte – historisches Rückgrat und identitätsstiftendes Element des Konzerns. Der tschechische Industrielle Daniel Křetínský gilt als aussichtsreicher Käufer. Auch die Marinesparte, bislang unter dem Dach von Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS), soll durch einen Börsengang verselbstständigt werden. Damit verabschiedet sich Thyssenkrupp von seinem Selbstverständnis als diversifizierter Technologiekonzern und beschreitet den Weg hin zu einer reinen Beteiligungsholding.

Zerschlagung mit industriepolitischer Dimension

Mit der angestrebten Aufspaltung setzt Thyssenkrupp ein Zeichen, das weit über das Unternehmen hinausweist. Die Entscheidung, sich von der eigenen Stahlsparte zu trennen, ist nicht allein betriebswirtschaftlich motiviert – sie offenbart auch das strukturelle Dilemma einer Branche, die unter globalem Wettbewerbsdruck, Dekarbonisierungspflichten, geopolitischen Spannungen und der besonderen Herausforderung eines hohen Energiebedarfs steht. Der strategische Rückzug aus der Stahlproduktion wirft unausweichlich industriepolitische Fragen auf: Welche Rolle spielt künftig die industrielle Grundversorgung in Deutschland? Und wer trägt Verantwortung für die strukturelle Transformation ganzer Wertschöpfungsketten?

Der Konzern als Fragment – Wirtschaftsethik und Strukturfragen

Auch im Stahlhandel, mit über 16.000 Beschäftigten und einem Umsatzanteil von mehr als einem Drittel, stehen tiefgreifende Umbrüche bevor. Eine Abspaltung oder ein Börsengang gelten als wahrscheinliche Szenarien. Besonders dramatisch erscheint die Lage im Segment der Autozulieferung. Hier ist von Werksschließungen und Teilverkäufen die Rede. Interne Stimmen prognostizieren, dass bestenfalls ein „Rumpfgeschäft“ bestehen bleibt – ein drastischer Befund für einen Sektor, der einst als Wachstumsmotor der deutschen Industrie galt.

Aufsichtsrat ohne Widerstand – CEO López vor Vertragsverlängerung

Obwohl die Pläne einen fundamentalen Bruch mit der bisherigen Konzernlogik darstellen, rechnet man intern nicht mit nennenswertem Widerstand aus dem Aufsichtsrat. Vielmehr soll CEO López, als Architekt des Umbaus, eine Vertragsverlängerung erhalten. Eine Entscheidung darüber wird im September erwartet.

Die tiefgreifende Transformation Thyssenkrupps ist nicht nur ein strategischer, sondern auch ein kulturhistorischer Einschnitt. Wo früher ein integrierter Konzern mit mehr als zwei Jahrhunderten Geschichte stand, entsteht nun ein Konglomerat heterogener Einheiten, das sich marktorientiert neu positionieren will. Die Umwandlung in eine Finanzholding stellt Fragen nach der Zukunft industrieller Wertschöpfung in Deutschland – nach Verantwortung, Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Souveränität.

Dabei wird die Bewertung einzelner Geschäftsbereiche künftig die Rolle übernehmen, die früher der Gesamtkonzern einnahm. Diese Entwicklung mag finanztechnisch effizient erscheinen – sie bedeutet aber auch das Ende eines industriellen Selbstverständnisses, das auf Kontinuität, Fertigungstiefe und systemische Verankerung setzte. Thyssenkrupp wird zum Spiegelbild eines tiefgreifenden Strukturwandels, der die deutsche Industrie herausfordert wie selten zuvor.

Kleine Geschichte vom großen Player

  • 1811 – Gründung der Krupp-Gussstahlfabrik in Essen durch Friedrich Krupp. Beginn des Aufstiegs zum führenden Rüstungs- und Stahlunternehmen.
  • 1891 – August Thyssen übernimmt die vollständige Kontrolle über die Thyssenwerke in Mülheim an der Ruhr – Beginn eines zweiten großen Stahlimperiums.
  • 1910er–1945 – Beide Konzerne (Krupp & Thyssen) werden zu zentralen Akteuren der deutschen Kriegswirtschaft. Enge Verflechtung mit dem NS-Regime. Einsatz von Zwangsarbeitern.
  • 1953 – Krupp wird nach Kriegsverbrecherprozessen teilweise wieder aufgebaut. Alfried Krupp kehrt als Eigentümer zurück.
  • 1960er–1970er – Wirtschaftlicher Wiederaufstieg. Krupp und Thyssen entwickeln sich zu multinationalen Industriekonzernen mit Aktivitäten in Stahl, Maschinenbau und Schiffbau.
  • 1999 – Fusion zu ThyssenKrupp AG: Die beiden ehemaligen Rivalen schließen sich zum größten Stahl- und Industriekonzern Deutschlands zusammen.
  • 2000er – Internationale Expansion, unter anderem mit Werken in Brasilien und den USA. Fehlgeschlagene Projekte führen zu hohen Verlusten.
  • 2010er – Skandale, Managementwechsel und Restrukturierungen prägen das Jahrzehnt. Verkauf von Sparten und Stellenabbau beginnen.
  • 2020 – Verkauf der profitablen Aufzugsparte „Thyssenkrupp Elevator“ für rund 17 Milliarden Euro – zur Schuldenreduzierung.
  • 2023–2025 – Strategiewechsel unter CEO Miguel López: Stahlsparte soll verkauft, Marinesparte an die Börse gebracht werden. Konzern wandelt sich zur Finanzholding.

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