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Zukunftsmärkte > Fachkräftemangel

Talente werden übersehen

Zu viele Einfacharbeiter werden nicht weitergebildet, obwohl der Staat sogar Fördermittel spendiert. Der Fehler liegt im System.

In der Corona-Pandemie mangelte es nicht an Akademikern, sondern an Menschen, die im Supermarkt Regale auffüllten, in Pflegeheimen anpackten oder Pakete lieferten. Ihre Arbeit wird als Einfacharbeit bezeichnet. Und ist doch oft ein Knochenjob. Tatsächlich sind sie ein Schatz. Gerade diese Basisarbeiter – so der treffendere Ausdruck – stellen mit 6,25 Millionen Männer und Frauen ein Heer potenzieller Facharbeiter in Zeiten von Strukturwandel, Digitalisierung und neuen Nachhaltigkeitsanforderungen. Meist aber fehlt ihnen ein Ausbildungsabschluss. Viele haben harte Einschnitte im Leben hinter sich. Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit. Andere betreuen Kinder. Zusammen sind sie etwa ein Fünftel aller Beschäftigten.

63 Prozent von ihnen gelten als überqualifiziert für ihren Job. Zum Vergleich: Bei den qualifizierten Beschäftigten sind es 14 Prozent, wie das Bundesinstitut für Berufsbildung ermittelt hat. Das Spektrum reicht vom Schulabbrecher bis zum glücklosen Studenten ohne Abschluss. "Diesen Kompetenz-Schatz gilt es dringend zu heben", sagt Hans Björn Glock, Koordinator berufliche Bildung beim TÜV Rheinland.

Intransparentes Angebot

Aber woran hapert es, wenn Unternehmen für die Weiterbildung sogar Fördergeld nach dem neuen Qualifizierungschancengesetz abrufen können? "Angebot und Nachfrage passen nicht zusammen und sind zu intransparent", erklärt Glock. "Die Angebote der Arbeitsagenturen sind auf Arbeitslose zugeschnitten, aber nicht auf Einfacharbeiter, die bereits in einem Job sind." Zudem zielen die Angebote der Agenturen und privaten Bildungsanbieter meist auf feste Berufsbilder. Obwohl Basisarbeiter während ihrer Berufsjahre unterschiedlichste Qualifikationen angesammelt haben können, passen sie damit in keine Schublade. "Deshalb müssen die Unternehmen selbst für solche Kollegen mehr Kompetenzanalysen und Qualifikationsmöglichkeiten entwickeln", sagt Glock. Das kann eine Herausforderung für Führungskräfte sein.

Oft fehlt es Basisarbeitern am nötigen Selbstvertrauen. Mentale Barrierefreiheit nennen das die Trainer. "Ein guter Arbeitgeber kann in ihnen die nötige Motivation und den Willen wecken. Sie haben ein gutes Argument: Keiner profitiert mehr von neuen Qualifikationen als der Mitarbeiter, die Mitarbeiterin selbst." Mindestens 120 Unterrichtseinheiten verlangt eine staatliche geförderte Maßnahme. Nicht wenig im laufenden Betrieb. "Aber die Angebote auf dem Markt sind so flexibel und über längere Zeiträume gestreckt, dass sich Ausfallzeiten überbrücken lassen", sagt Glock.

So nutzen Sie das Qualifizierungschancengesetz für Mitarbeiter

Das Gesetz fördert vor allem kleinere Betriebe. Diese Voraussetzungen sind nötig:

     

  • Die Qualifizierung reicht über eine arbeitsplatzbezogene kurzfristige Anpassungsfortbildung hinaus.
  • Der Teilnehmer hat keinen Abschluss, der jünger als vier Jahre ist.
  • Er oder sie hat in den letzten vier Jahren an keiner so geförderten Weiterbildung teilgenommen.
  • Gelernt wird mehr als 160 Stunden außerbetrieblich oder mit einem für die Förderung zugelassenen Träger im Unternehmen.

Das Unternehmen erhält Zuschüsse zu den Kosten für Bildung und Lohnfortzahlung, wenn die Fortbildung den Mitarbeitern langfristig einen Platz auf dem Arbeitsmarkt sichert. Das gilt auch für Fortbildungen, die nicht zu einem Berufsabschluss führen. Wie hoch der Zuschuss ausfällt, richtet sich nach der Betriebsgröße: je kleiner, desto höher. Bei weniger als zehn Arbeitnehmern übernimmt der Staat bis zu 100 Prozent der Kosten für den Lehrgang und 75 Prozent der Lohnfortzahlung. Bei mehr als 2500 Mitarbeitern sind es bis zu 15 Prozent für den Lehrgang und 25 Prozent der Lohnfortzahlung. Für Menschen ab 45 Jahren und Schwerbehinderte gibt es besondere Regelungen. Der Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit berät im Detail.

Eine teure Investition in digitale Technologien lohnt sich vor allem dort, wo sich Kosten einsparen lassen. Das trifft besonders Facharbeiter. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat Zahlen: Kollege Computer übernimmt stetig mehr Aufgaben von Fachkräften (4,6 Prozent plus zwischen 2016 und 2019) und Spezialisten (4,8 Prozent). Anders bei der Basisarbeit: Dort konnten Computer nur 0,7 Prozent mehr Arbeiten erledigen. Der Anteil dieser Basisarbeiter, die offen für Weiterbildung sind, dürfte groß sein. Die letzte Beschäftigtenbefragung NRW zeigte: Mitarbeiter ohne Ausbildungsabschluss (13 Prozent) halten es für sehr viel unwahrscheinlicher als solche mit Abschluss (8 Prozent), ihre derzeitige Arbeit bis zum Rentenalter ausüben zu können.

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