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Einkauf, Marketing und Marken > Tierisch viel Macht

Tönnies gestoppt: Kartellamt zieht Notbremse im Rindfleisch-Monopoly

Das Kartellamt stoppt eine Großübernahme in der Fleischindustrie. Es befürchtet eine zu große Marktmacht des Branchenprimus Tönnies.

(Foto: shutterstock)

Ein Deal, der die Machtverhältnisse auf Deutschlands Fleischmärkten verschoben hätte, ist fürs Erste vom Tisch: Das Bundeskartellamt stellt sich quer und blockiert die geplante Übernahme mehrerer deutscher Standorte des niederländischen Schlachtkonzerns Vion durch die Tönnies-Gruppe – oder wie sie inzwischen firmiert: Premium Food Group.

Damit verhindert es, dass der Schweinemarktführer seine Macht auch im Rindfleischsegment stark ausbauen kann – zum Schutz der Agrarbetriebe und der kleineren Mitbewerber.

Drohende Folgen verhindert

Mit dem Deal hätte Tönnies – der Branchenkoloss mit Hauptsitz in Rheda-Wiedenbrück – seine Reichweite im Rindfleischgeschäft schlagartig um mehr als ein Drittel ausgebaut. Doch das Bundeskartellamt hat die rote Karte gezeigt: Ein derartiger Machtzuwachs sei mit einem funktionierenden Wettbewerb schlicht nicht vereinbar, ließ Behördenchef Andreas Mundt wissen. Gerade in Regionen wie Süddeutschland drohe der Fleischgigant, zur nahezu konkurrenzlosen Einkaufszentrale für Mastbullen zu werden – ein Albtraum für alle, die nicht am längeren Hebel sitzen.

Ein solches Monstrum im Markt hätte nicht nur die Verhandlungsposition landwirtschaftlicher Zulieferer geschwächt, sondern laut Amt auch die Fleischpreise für Verbraucher bundesweit in die Höhe getrieben. 

Die Botschaft der Bonner Wettbewerbshüter ist klar: So viel Macht auf einem Teller ist zu viel. Denn durch den Kauf wäre Tönnies, ohnehin schon unangefochtener Champion der Schweineschlachtung, auch bei Rindern zur führenden Instanz aufgestiegen.

Die Fakten

   

Tönnies/Premium Food Group

rund 20.000 Mitarbeitende, 7,8 Mrd. € Umsatz (2023)

Vion Deutschland (veräußert)

3 Standorte (Buchloe, Crailsheim, Waldkraiburg); 1,1 Mrd. € Umsatz
Mitarbeiter in Vion-Betrieben ca. 2.000 Beschäftigte bangen um ihre Zukunft

Bundeskartellamt

Interveniert gegen übermäßige Marktkonzentration im Rindsegment

Nächste Schritte

Tönnies prüft Beschwerde – Entscheidung liegt beim OLG Düsseldorf
   

Machtgefälle in der Wertschöpfungskette

Dabei schien für viele Branchenkenner der Ausgang klar: Dass der Deal durchgewunken wird, galt als fast sicher. Vion wollte raus aus dem Deutschlandgeschäft, die Verkaufspläne waren weit gediehen. Die drei betroffenen Schlachthöfe – in Buchloe, Crailsheim und Waldkraiburg – sollten an Tönnies gehen, der damit vom Schweine- auch zum Rindfleisch-König aufgestiegen wäre. Doch das Kartellamt funkte dazwischen – und eröffnete ein juristisches Nachspiel, das nun am Oberlandesgericht Düsseldorf landen könnte.

Für Vion wäre der Exit aus Deutschland fast schon beschlossene Sache gewesen. Die neue Vorstandschefin Tjarda Klimp hatte das Ruder Anfang des Jahres übernommen – mitten in einem Rückzugsgefecht, das durch Corona, hohe Kosten und schrumpfende Viehbestände befeuert wurde. Tönnies schien als Käufer ideal: kapitalstark, etabliert, erfahren. Doch nun liegt das Verkaufsprojekt auf Eis – und mit ihm die Zukunft von etwa 2.000 Beschäftigten an den betroffenen Standorten.

Aus Sicht vieler Landwirte ist das Ganze ein Drahtseilakt. Einerseits fürchten sie die Konzentration in der Branche, andererseits wissen sie: Wenn niemand investiert, steht bald keiner mehr am Schlachthaken. Sebastian Brandmaier von der Viehvermarktungsgenossenschaft Bayern bringt es auf den Punkt: „Es hilft uns nicht weiter, wenn keiner mehr schlachtet – und Tönnies war nun mal der einzige Kandidat mit ernsthaftem Interesse und den nötigen Mitteln.“

Das eigentliche Dilemma liegt offen zutage: Ohne große Player wie Tönnies wankt die Infrastruktur – mit ihnen droht jedoch ein Oligopol. Das Machtgefälle in der Wertschöpfungskette ist ohnehin spürbar. Bauern erfahren oft erst in letzter Minute, was sie für ihr Tier bekommen. Verlässliche Planung? Fehlanzeige.

Entsprechend gespalten fällt auch die Reaktion des Bauernverbands aus. Generalsekretär Bernhard Krüsken lobt den Erhalt des Wettbewerbs, warnt aber zugleich vor Stillstand an der Schlachtbank. „Die Betriebe müssen weiterlaufen – und das dauerhaft. Diese Frage ist derzeit völlig offen.“

Währenddessen zeigt sich Tönnies enttäuscht und verweist auf die monatelange Unsicherheit, in der sich viele Landwirte im Süden des Landes befänden. In einer Stellungnahme spricht der Konzern von einem „schmerzhaften Rückschlag“ und kündigt rechtliche Schritte an. Die Akte ist also noch lange nicht geschlossen.

Zwischen Schlachtbank und Systemfrage

Während sich der Streit um Marktanteile, Preisgestaltung und Arbeitsplätze dreht und Konzerne wie Tönnies nach neuen Märkten greifen, wächst in der Gesellschaft die Skepsis gegenüber genau diesem System – einer industriellen Tierverwertung, die Tiere zur Ware macht und Tierwohl zur Fußnote degradiert. 

Die Frage ist nicht nur, ob ein Fleischriese zu groß wird, sondern ob das gesamte Modell nicht längst aus der Zeit gefallen ist. Die Fleischproduktion in ihrer aktuellen Form steht nicht nur wegen Konzentrationstendenzen, sondern auch wegen ethischer und ökologischer Kritik unter Druck. Massentierhaltung, CO₂-intensive Produktion und mangelnde Transparenz beim Tierwohl prägen das System – unabhängig davon, ob Tönnies expandiert oder nicht.

Dabei wächst die Zahl jener, die bewusst auf Fleisch verzichten oder auf Alternativen umsteigen (vegan). Nicht aus Dogma, sondern aus Überzeugung. Die Blockade des Tönnies-Deals wirft daher auch ein Schlaglicht auf ein Geschäftsmodell, das zunehmend in der Kritik steht – und auf eine Gesellschaft, die sich fragt: Wie viel Fleisch brauchen wir wirklich – und zu welchem Preis?

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