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Zukunftsmärkte > Geschäftsreisen nach China

Untergebracht wie im Knast

Die deutschen Mittelständler laufen Sturm gegen die restriktiven Corona-Regeln in China. Immer mehr Unternehmen stellen ihre Aktivitäten dort in Frage. Die ersten machen ganz einen Bogen um das Land.

Unternehmen ziehen Konsequenzen: Die Firmen sehen sich nach alternativen Beschaffungsquellen und Absatzmärkten umBild: Shutterstock

Geschäftsreisen nach China sind zu einem gefährlicheren Abenteuer als zu Marco Polos Zeiten geworden. Schuld daran ist Chinas Umgang mit der Corona-Pandemie, der jeden Aufenthalt für Ausländer von der dauer und den kKsten her unkalkulierbar macht. Im Land wartet eine Quarantäne, die mal sieben mal 14 Tage dauern kann. Ob dann eine Weiterreise an das eigentliche Ziel möglich ist, bleibt offen. Die chinesischen Behörden entscheiden willkürlich. „Das ist völlig unberechenbar“, erklärt Oliver Wack, Chinaexperte beim Verband des Deutschen Maschinen- und Anlagenbaus (VDMA). Viele Unternehmen der stark mittelständisch geprägten Branche sehen ihr Geschäft in dem prinzipiell wichtigen Absatzmarkt zunehmend kritisch. „Das Land ist für deutsche Mittelständler praktisch nicht zu erreichen,“ stellt Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer des badischen Industrieverbandes (WWIB) fest.

„Die aktuelle, unserer Meinung nach unmenschliche Quarantänesituation würgt das Geschäft mit China ab. Schlechte Quarantänehotels sind wie Knast für unser Servicepersonal. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass China keine Ausländer im Land haben möchte“, klagt Ingo Cremer, Chef des Thermoanlagenherstellers Cremer in Düren. „Es ist schwierig, jemanden zu finden, der unter den momentanen Bedingungen nach China reisen will“, ergänzt Arno Gärtner, Chef des Textilmaschinenherstellers Karl Mayer aus Obertshausen bei Offenbach. Tatsächlich schreckt China immer mehr ab. Seit Beginn der Pandemie hat jeder zweite Ausländer dem Land den Rücken gekehrt. „Die Leute, die jetzt noch dort sind, passen in ein Fußballstadion“, schätzt Tim Wenniges, Geschäftsführer bei Südwestmetall, der selbst lange in China gelebt hat.

Finanzielle und persönliche Belastung

Für die mittelständischen Betriebe ist die Präsenz vor Ort eine finanzielle und personelle Belastung, die schwer zu kalkulieren ist, wie Ali Bindernagel, Chef des Walzwerke-Herstellers Kocks beschreibt: „Unsere Fachkräfte mussten auf 29 Reisen nach China insgesamt 616 Tage in Quarantäne verbringen. Das ist psychisch sehr belastend, auch weil die Quarantänedauer immer wieder kurzfristig verändert wird. Plötzliche Lock-Downs am Einsatzort bergen das Risiko, die Baustelle nicht mehr verlassen oder sie nicht mehr erreichen zu können.“ Stecken sich die Mitarbeiter mit Corona an, dann beginnt eine besondere Leidenstour: „Es droht eine Lagerunterbringung ohne ausreichende Versorgung oder sprachliche Betreuung. Hinzu kommen unangemessene medizinische Untersuchungen am Zielort, zum Beispiel ein Lungen-CT, sowie Zugangsbeschränkungen für Restaurants, Supermärkte und öffentliche Einrichtungen.“

Pandemie als Vorwand

China ist seit sechs Jahren in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner – zuletzt mit einem Volumen von 245,4 Milliarden Euro. Auf den Rängen zwei und drei folgten die Niederlande 205,9 Milliarden Euro und die USA mit einem Außenhandelsumsatz von 194,2 Milliarden Euro. Doch das Land macht Handelspartnern zunehmend das Leben schwer. Erklärtes Ziel der Führung in Peking ist es, die Binnenwirtschaft auf eigene Füße zu stellen und die ausländischen Wettbewerber zu verdrängen. „Die Pandemie dient als Vorwand für die wirtschaftliche Entflechtung“, ist Münzer überzeugt.

Die Linie Pekings und die Lockdowns im Land haben das Geschäft schwer belastet. So sind die Exporte des Maschinen- und Anlagenbaus nach China im ersten Quartal 2022 um 8,5 Prozent auf 5,9 Milliarden Euro gesunken.  Die Exporte in die Vereinigten Staaten legten dagegen im selben Zeitraum um 13 Prozent auf 7,3 Milliarden Euro zu. „China ist und bleibt ein wichtiger Markt auch für mittelständische Unternehmen“, erläutert VDMA-Außenhandelsexperte Ulrich Ackermann. „Aber angesichts all der Behinderungen werden immer mehr Firmen die Geschäftsrisiken vor Ort neu bewerten und sich auf die Suche nach alternativen Absatzmärkten und Produktionsstandorten in Asien machen“, ergänzt er.


Kein Austausch mehr möglich

Der badische Industrievertreter Münzer sieht in den Restriktionen auch für China eher Nachteile. „Diese schikanöse Politik kostet Energie, Zeit und Geld, niemand profitiert von einer solchen Deglobalisierung. Ein abgesperrtes China ist ein in jeder Hinsicht ärmeres China.“ Jan Lohoff von der Inoex-Gruppe in Melle bei Osnabrück kann das konkretisieren: „Insbesondere die Einschränkung von Reisen auf Top-Management und Fachkräfteebene macht derzeit einen Wissens- und Technologietransfer fast unmöglich. Dies bedeutet, dass der chinesische Markt den Anschluss verliert.“Dem Lineartechnik-Spezialisten Schneeberger aus Höfen im Schwarzwald gelingt es immer noch nicht, ein 2020 gegründetes Joint-Venture in Betrieb zu nehmen. „Es wurde gegründet, um ein spezielles Know-how für die Halbleiterindustrie in der Region für die Region aufzubauen. Unsere chinesischen Kunden sind derzeit gezwungen, längere Zeiten für Projekte, Abnahmen und Transporte für unsere Systeme in Kauf zu nehmen“, bedauert Schneeberger-Chef Stefan Hantke. Für Henning Simon, Chef der NTN Walzwerke in Filderstadt ändern sich auch die weltweiten Warenströme entscheidend. Bisher hätten Schiffsrouten von Japan nach Europa immer über einem Stopp in Shanghai geführt. Dies werde in Zukunft wegfallen und damit auch die Logistiksituation von und nach China beeinflussen.

Unternehmen ziehen Konsequenzen

Das offizielle deutsche Außenhandelsportal GTAI, das viele globale Märkte beobachtet und analysiert, beschreibt zur Lage in China aus Sicht internationaler Unternehmen so: „Null Planbarkeit, das Vertrauen ist weg. Die Firmen wollen ihr Länderrisiko verringern und sehen sich nach alternativen Beschaffungsquellen und Absatzmärkten um. Nach einer Umfrage der EU-Handelskammer in Peking wollen fast ein Viertel der befragten Unternehmen ihre ursprünglich in China geplanten Investitionen in anderen Ländern tätigen.
Die Mittelständler fordern unisono mehr Planungssicherheit. So sollte die Einreise für Geimpfte und Genesene erleichtert werden. Auch die Betreuung der infizierten Mitarbeiter müsse dringend verbessert werden. „Die Lockerung der Quarantänemaßnahmen ist ein wichtiges Kriterium, um die Situation wieder zu verbessern“; betont Mayer-Chef Gärtner. „Gerne kombiniert mit mehreren Tests. So wären ausgewählte und dringende Besuche wieder möglich", pflichtet Stefan Eirich, Chef der gleichnamigen Maschinenfabrik in Hardtheim bei Tauberbischofsheim bei. „Wir brauchen mehr Linienflüge, den Verzicht auf staatliche Einladungen, längere Visadauer mit Mehrfacheinreisen sowie die Abschaffung der erneuten Quarantäne bei Provinzwechseln", erklärt Ingo Cremer.

auk
 

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