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Unverpackt-Läden in der Krise: Warum das Nachhaltigkeitskonzept ums Überleben kämpft

| Markt und Mittelstand / red.

Halbiert, verdrängt, unterschätzt: Warum Unverpackt-Läden kämpfen und Supermärkte Agebote reduzieren – und was das über unsere Konsumkultur verrät.

Unverpackt Ladentheke
Unverpackt einkaufen galt als Zukunft des Handels – jetzt kämpfen viele Läden ums Überleben. (Foto: shutterstock)

Die Idee klang vielversprechend: Lebensmittel ohne Verpackungsmüll einkaufen. Doch die Realität sieht anders aus. Wie die Hessenschau berichtet, kämpfen viele Unverpackt-Läden um ihre Existenz – einige mussten bereits schließen. Der Boom der vergangenen Jahre ist vorbei.

Laut dem Deutschen Verband der Unverpacktläden hat sich die Anzahl der Geschäfte deutschlandweit in den letzten drei Jahren etwa halbiert. Auch große Supermarktketten wie Tegut und Denns haben ihr Unverpackt-Angebot deutlich reduziert.

Sven Binner, Geschäftsführer des Branchenverbands, sieht verschiedene Gründe für den Einbruch. Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg hätten zu einer allgemeinen Verunsicherung geführt. Kunden seien zu Discountern abgewandert, Umwelt und Nachhaltigkeit seien weit abgerutscht in der Prioritätenliste, so Binner.

Für Unternehmer im Einzelhandel stellen sich grundsätzliche Fragen: Wie lässt sich ein nachhaltiges Geschäftsmodell mit den Anforderungen der Kunden vereinbaren? Welche Investitionen sind nötig, um wettbewerbsfähig zu bleiben?

Auch die betriebswirtschaftliche Seite stellt Herausforderungen dar, da immer wieder große Mengen entsorgt werden müssen – ein Vorgang, der dem eigentlichen Ziel widerspricht. Gleichzeitig verlangt die Lagerung und Frischhaltung unverpackter Waren ein besonders präzises Management.

Trotz der Krise sehen Branchenexperten aber auch Zukunftspotenzial. „Die Branche lebt“, betont Sven Binner. Einige Läden entwickeln neue Konzepte, um wirtschaftlich zu überleben.  Andere Unternehmer setzen auf Mitgliedermodelle oder integrieren das Unverpackt-Konzept in ein breiteres Sortiment. Die Herausforderung besteht darin, Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Tragfähigkeit in Einklang zu bringen.

Kurzer Blick in die Geschichte: Vom Überfluss zur Entsagung – und zurück

 

Die Idee des Unverpackt-Ladens entstand als Gegenbewegung zur Wegwerfgesellschaft, die seit den 1950er-Jahren die westlichen Konsummuster prägt. Plastik galt damals als Symbol des Fortschritts: hygienisch, günstig, flexibel. Erst mit der Umweltbewegung der 1980er-Jahre und verstärkt seit den 2010ern wurde sichtbar, dass dieser Fortschritt ökologische Kosten verursacht.

Die Unverpackt-Läden waren somit Erben einer moralischen Epoche, die Minimalismus, Achtsamkeit und Verantwortungsethik in den Alltag integrieren wollte – ein Versuch, das Verbrauchergewissen zu ökologisieren. Historisch gesehen war das also nicht nur ein Konsumtrend, sondern ein gesellschaftliches Experiment: Kann man Marktwirtschaft und Nachhaltigkeit versöhnen?

Doch in der Praxis zeigte sich: Nachhaltigkeit kostet Zeit, Planung und Geld – Ressourcen, die in Krisenzeiten wie Pandemie, Inflation und Energiekrise knapp werden. Damit kehrte das System zu seiner industriellen Logik des Bequemlichkeitskonsums zurück.

Die Ethik des Einkaufens und was Kant sagen würde

 

Der Unverpackt-Laden war nie nur ein Ort des Kaufs, sondern ein Ort der Haltung. Hier ging es um die Rückkehr zur Verantwortung und um Menschen, die das eigene Handeln als Teil globaler Folgen begreifen.

Doch diese Ethik kollidiert mit einem Widerspruch der Spätmoderne: Das moralisch Gute ist selten das ökonomisch Effiziente. Der Kantianer im Kunden will „das Richtige tun“. Der Homo oeconomicus in ihm will „das Praktische tun“.

Im Spannungsfeld zwischen beiden Identitäten scheiterte das Konzept für viele Konsumenten. Der Einkauf wurde zur Selbstprüfung – und das ist auf Dauer anstrengend.

Wirtschaftliche Analyse: Marktidealismus trifft Margendruck

 

Wirtschaftlich betrachtet war die Krise der Unverpackt-Läden unausweichlich, solange sie auf Nischenmärkten und moralischem Kapital basierte:

  • Hohe Fixkosten, geringe Umschlagshäufigkeit,

  • aufwändige Logistik und Verderb von Frischware,

  • dazu fehlende Skalierbarkeit.

Das Geschäftsmodell widerspricht in Teilen den Gesetzen des Einzelhandels: Effizienz, Standardisierung, Marge. Zudem wurden viele Unverpackt-Konzepte durch Inflation und Konsumzurückhaltung getroffen – während große Supermärkte durch Mischkalkulation überleben konnten.

Einige Unternehmer versuchen nun, die Idee zu hybridisieren: Café-Konzepte, Mitgliedschaftsmodelle, lokale Kooperationen mit Produzenten. Das deutet auf eine Marktbereinigung, nicht auf das Ende der Idee hin. Die Bewegung könnte – wie einst die Bio-Läden der 1990er-Jahre – später in die Mainstream-Wirtschaft zurückkehren, sobald Effizienz, Preis und Haltung in Einklang gebracht werden können.

Fazit: Zwischen Idealismus und Realität

Der Niedergang vieler Unverpackt-Läden ist kein Scheitern der Idee, sondern eine Phase der Ernüchterung.

Er offenbart die Grenzen moralischer Ökonomie in einem System, das auf Schnelligkeit und Skalierung basiert.

Vielleicht war das Konzept seiner Zeit voraus – oder schlicht zu ehrlich für den Markt? Denn Nachhaltigkeit ist nicht nur eine Konsumfrage, sondern eine Strukturfrage: Solange globale Lieferketten und Preislogiken nicht auf ökologische Wahrheit ausgerichtet sind, bleibt der Unverpackt-Laden ein moralisches Laborkein Massenmodell.

 

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