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Zukunftsmärkte > Handelskrieg

USA oder China? Was deutsche Unternehmen von der neuen Regierung fordern

Washington versus Peking - und die EU inklusiver der deutschen Unternehmen mitten drin. Was Firmenchefs davon halten, dass sich die Schwarz-Rote Koalition tendenziel auf die Seite der USA schlägt.

Zollstreit: Es ist für die EU und deutsche Unternehmen schwer, sich für USA oder China entscheiden zu müssen. (Foto: shutterstock)

Drei Dutzend deutsche Unternehmen in China haben einen Forderungskatalog für die neue Bundesregierung erarbeitet, der einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel verlangt. Statt der von Schwarz-Rot im Koalitionsvertrag festgeschriebenen transatlantischen Orientierung und dem "De-Risking" gegenüber China fordern die Firmen eine Vertiefung der Beziehungen zur Volksrepublik. Das Papier, das der F.A.Z. vorliegt, wurde von Vertretern von DAX-Konzernen und Mittelständlern unterzeichnet, die jedoch aus Sorge, als "Panda-Hugger" abgestempelt zu werden, nicht namentlich genannt werden wollen.

Die Initiative fällt in eine Zeit, in der der Handelskrieg zwischen den USA und China dramatisch eskaliert. US-Präsident Donald Trump hat Zölle von 145 Prozent auf chinesische Importe verhängt, worauf Peking mit Gegenzöllen von 125 Prozent reagierte. Obwohl die Trump-Administration inzwischen Ausnahmen für Smartphones, Computer und andere Elektronikprodukte angekündigt hat, bleibt die Lage angespannt. China bezeichnete diese Ausnahmen als "kleinen Schritt" zur Korrektur von Amerikas "falscher Praxis".

Das "De-Risking-Paradoxon" und die Unternehmensrealität

In ihrem Papier sprechen die deutschen Unternehmen von einem "De-Risking-Paradoxon": "Es besteht ein Widerspruch zwischen der geforderten Risikominimierung (De-Risking) und der notwendigen Lokalisierung vor Ort." Die Kernbotschaft lautet: "Risikomanagement sollte nicht dazu führen, dass das China-Engagement reduziert wird."

Oliver Oehms, Chef der Auslandshandelskammer in Peking, kritisiert den Koalitionsvertrag: "Der Fokus auf China als 'systemischem Rivalen' stimmt nicht mit der Realität deutscher Unternehmen in China überein." Aus Sicht der Kammermitglieder sei der chinesische Markt "entscheidend für die globale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen".

Tatsächlich erwirtschaften etliche DAX-Konzerne ein Drittel ihres Umsatzes in der Volksrepublik, wobei die Gewinnabhängigkeit vermutlich noch größer ist. Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln stellt fest: "De facto ist von einem De-Risking gegenüber China nicht viel zu sehen."

Innovationsführerschaft und technologische Abhängigkeit

Ein zentrales Argument der Unternehmen: "Chinesische Unternehmen sind zunehmend Innovationsführer. Kooperationen mit chinesischen Unternehmen sind entscheidend, um bei Innovationen mithalten zu können und Einblicke in lokale Entwicklungen zu gewinnen."

Die Manager verweisen auf Zukunftsbranchen wie Batterietechnik, autonomes Fahren, Flugtaxis, humanoide Roboter und Atomenergie, in denen China bereits führend ist. Sie fordern, die "China-Kompetenz zu stärken", da das aktuelle China-Bild in Deutschland "ein Hindernis für deutsche Unternehmen" darstelle.

Die Sorge der Verfasser des Papiers ist, im Großkonflikt zwischen den USA und China auf der falschen Seite der Technikgeschichte zu landen. Schon unter Joe Biden übte die amerikanische Regierung Druck auf die Europäer aus, keine Technik mehr nach China zu liefern, die dem Land einen weiteren Ausbau seiner weltwirtschaftlichen Bedeutung ermöglichen könnte.

Die Position der Bundesregierung

Die schwarz-rote Koalition setzt dagegen klar auf die transatlantische Partnerschaft. Sowohl CDU-Chef Friedrich Merz, der zehn Jahre die Atlantik-Brücke führte, als auch SPD-Chef Lars Klingbeil, der zeitweise in den USA lebte, lassen an der Bedeutung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten nichts kommen.

Im Koalitionsvertrag wird ein Ausbau der transatlantischen Beziehungen angestrebt, sogar ein Freihandelsabkommen wird für möglich gehalten. Gegenüber China soll das "De-Risking" fortgesetzt werden, unter anderem mit einer Expertenkommission, die jährlich Empfehlungen zum weiteren Reduzieren der Abhängigkeiten gibt.

Verena Hubertz, die für die SPD das Wirtschaftskapitel im Koalitionsvertrag mitverhandelt hat, verteidigt diesen Kurs: "Die USA sind mehr als Trump und Wut. Unsere Länder verbindet eine lange Partnerschaft, die über Handel hinausgeht und auch bestehen bleibt, selbst wenn es schwierige Zeiten gibt." Sie betont jedoch auch: "Eine pauschale Reduzierung der Geschäfte mit China streben wir nicht an."

Faktenbox: Deutsch-chinesische Wirtschaftsbeziehungen

Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Deutschland und China sind trotz geopolitischer Spannungen eng:

  • China ist aktuell der zweitwichtigste Handelspartner Deutschlands, nach den USA, die 2023 auf Platz eins aufgestiegen sind. 
  • Die Bedeutung Chinas zeigt sich besonders bei DAX-Konzernen, die durchschnittlich ein Drittel ihres Umsatzes in der Volksrepublik erwirtschaften, bei manchen Unternehmen liegt der Anteil sogar höher.
  • Deutsche Direktinvestitionen in China bewegen sich weiterhin auf hohem Niveau, was die anhaltende strategische Bedeutung des Marktes unterstreicht. 
  • Gleichzeitig ist Deutschland von chinesischen Rohstoffen abhängig, insbesondere bei seltenen Erden und Magnesium.
  • In Zukunftsbranchen wie Batterietechnik, autonomem Fahren und Robotik hat China bereits eine Führungsposition erreicht, was deutsche Unternehmen vor die Frage stellt, wie sie ohne enge Kooperation wettbewerbsfähig bleiben können.

Chancen und Risiken

Chancen:

  • China bleibt ein wichtiger Wachstumsmarkt mit enormem Potenzial für deutsche Produkte und Dienstleistungen. Die Innovationsdynamik in China kann durch strategische Partnerschaften genutzt werden, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Der aktuelle Handelskonflikt zwischen USA und China könnte Marktchancen für europäische Anbieter eröffnen, die als neutrale Alternative wahrgenommen werden.

Risiken:

  • Die Eskalation des US-chinesischen Handelskriegs könnte deutsche Unternehmen zwingen, sich für eine Seite zu entscheiden, mit potenziell negativen Folgen für den jeweils anderen Markt. Technologietransfer nach China birgt die Gefahr, langfristig Wettbewerber zu stärken, die später in direkter Konkurrenz stehen. Die politischen Spannungen könnten zu weiteren Handelsbeschränkungen führen, die deutsche Unternehmen in beiden Märkten beeinträchtigen.

Historische Perspektive: Wiederkehrende Muster im Welthandel

 

  1. Preußisch-chinesischer Handelsvertrag (1861): Schon früh suchte Deutschland wirtschaftliche Zugänge zum chinesischen Markt – aus strategischem wie ökonomischem Interesse. Die damalige Öffnung war diplomatisch fragil, aber kommerziell bedeutend.

  2. "Chicken War" (1960er Jahre): Der Handelskonflikt zwischen den USA und der EWG über Hühnerexporte zeigt exemplarisch, wie Protektionismus selbst bei banalen Gütern politische Wellen schlagen kann – und wie schnell ökonomische Erwägungen nationale Eitelkeiten berühren.

  3. Handelsstreit zwischen den USA und Japan (1980er Jahre): Spannungen bei Autos und Halbleitern führten zu Quoten, Zöllen - und anhaltendem Misstrauen. Auch damals ging es um Marktanteile, Technologietransfer und geopolitische Verschiebungen. Europa nahm eine vorsichtige, manchmal opportunistische Beobachterrolle ein.

  4. WTO-Beitritt Chinas (2001): Das "Jahrhundertversprechen" von Wandel durch Handel entpuppte sich als strategisches Dilemma. Westliche Hoffnungen auf Liberalisierung wurden durch Pekings Staatskapitalismus konterkariert – bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit.

  5. Aktueller US-China-Handelskrieg: In seiner Radikalität erinnert der aktuelle Zollkrieg an klassische Machtpolitik. Die EU, und mit ihr deutsche Unternehmen, geraten zwischen die Fronten zweier rivalisierender Systeme – ökonomisch verwoben, politisch divergierend.

Fazit

Die Geschichte lehrt: Handelskonflikte sind selten rein ökonomisch motiviert – sie sind Ausdruck geopolitischer Machtverschiebungen. Wer sie ignoriert, läuft Gefahr, wirtschaftliche Interessen mit kurzfristigen Opportunitäten zu verwechseln. Wer sie richtig einordnet, erkennt: Auch in Zeiten der Polarisierung bleibt strategische Nüchternheit der beste Kompass.

Die deutsche Chinapolitik steht erneut an einem historischen Scheideweg. Wie schon in früheren Handelskonflikten zeigt sich: Strategische Autonomie und wirtschaftliche Offenheit schließen sich nicht aus, sondern bedürfen einer klugen Balance. Statt sich ideologisch zwischen Washington und Peking aufzureiben, ist eine Realpolitik gefragt, die Geschichte nicht wiederholt, sondern aus ihr lernt.

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