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Zukunftsmärkte > Filialen schließen im Tagesrhythmus

Vom Aussterben bedroht: die Bankfiliale

Sparkassen und Volksbanken geben auf: Vielerorts lohnen sich ihre Bankfilialen nicht mehr. Selbst Bargeld vom Automaten will keiner mehr haben, weil sich die Plastikkarte zum Bezahlen immer mehr durchsetzt. Das Jahr 2022 könnte das große Filialsterben noch einmal beschleunigen.

Kunden stehen an einem Schalter einer Bankfiliale
Immer weniger Menschen besuchen Bankfilialen.

Diese Woche war es der Aufmacher in den Lokalnachrichten im tiefen Westen: Die Sparkasse Soest-Werl trennt sich von ihren drei Filialen, in Ostönnen, Möhnesee-Günne und in Werl-Büderich. Alle drei wurden zuletzt noch von einem einzigen Mitarbeiter offengehalten. Die Filiale am Kaiser-Otto-Weg ist schon seit dem vergangenen Jahr dicht. Ortsvorsteher Thomas Teiner ließ sich mit den Worten zitieren, er sei „nicht ganz glücklich“ mit der Entscheidung der Sparkasse.


Wenn alle so denken wie der Ortsvorsteher, sind die Deutschen ein nicht ganz glückliches Volk. Denn es ist überall das gleiche Bild, und es trifft alle: Den noch 12.000 Filialen der Sparkassen geht es nicht besser als den 8500 Geschäftsstellen der Volksbanken. Die Commerzbank schließt beinahe im Tagesrhythmus eine Niederlassung, von den einst 790 sollen 450 Ende dieses Jahres noch für Kunden da sein. Das sind dann eine Handvoll mehr als von der Deutschen Bank übriggeblieben sind.
Mancherorts macht die Not erfinderisch: Im hessischen Messel bei Darmstadt teilen sich Sparkasse und Volksbank eine Filiale. Das geht so: Dienstags und donnerstags sind Volksbanktage, montags und freitags residiert die Sparkasse im Gebäude am Rathausplatz 5 in Messel, mittwochs ist zu. „Wir haben Vertrauen zueinander gefasst“, sagt Sparkassenchef Sascha Ahnert und meint damit seinen Vorstandskollegen von der Konkurrenz.


Richtig unglücklich über die Massenschließungen sind oft weniger die Kunden, die sich längst den immer ausgefeilteren Online-Angeboten der Banken zugewandt haben. Richtiges Pech bedeutet es vielmehr für die Banken und ihre Mitarbeiter selbst, die Filialen schließen müssen und in den allermeisten Fällen genau nicht zu denen gehören, deren digitale Angebote zu den praktischsten und beliebtesten gehören. Ihr langer unerschütterliche Glaube an den Wert einer Filialstruktur, der Aufwand dafür und die noch immer soliden Gewinne haben viele „Filialisten“ zu Nachzüglern bei der Digitalisierung gemacht.
Die Berater von PWC haben im vergangenen Jahr in ihrem „Retail Banking Monitor“ ziemlich genau untersucht, was auf die Banken und ihre Kunden zukommt. Ihr Ergebnis: Die Pandemie hinterlässt bei europäischen Privatkundenbanken deutliche Spuren. 2020 fiel im Gesamtdurchschnitt der Profit pro Kunde um acht Prozent auf 193 Euro. Mit 444 Euro Gewinn pro Kunde ist die Schweiz noch unangefochtener Spitzenreiter. Deutsche Banken befinden sich mit 172 Euro im unteren Mittelfeld.


Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie haben den bestehenden Kostendruck noch einmal verschärft und führen zu immer weitreichenderen Sparmaßnahmen – sprich: Mitarbeiterentlassungen und Filialschließungen. Angesichts fallender Umsätze senkten Privatkundenbanken in Europa mit Ausnahme von Deutschland, Österreich, Belgien und der Schweiz die operativen Kosten pro Kunde im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wer es, wie eben die die deutschen Banken, nicht getan hat, ist jetzt ins Hintertreffen geraten und muss aufholen. Aktuell kämpfen Institute in Deutschland Österreich, Belgien, Frankreich und Italien mit einem hohen Aufwand-Ertrags-Verhältnis.
Sie müssen ihre Kostensenkungen beschleunigen. „Die Transformation der Branche wird vor allem im Filialnetz sichtbar“, schreiben die Studienautoren von PwC. Von 2016 bis 2019 verringerte sich die Zahl der Geschäftsstellen um vier Prozent pro Jahr, von 2019 auf 2020 um weitere fünf Prozent. Lockdowns in ganz Europa zeigten, dass die Betriebsmodelle der Banken mit viel weniger physischen Vertriebskanälen realisierbar sind. Weitere Schließungen von Niederlassungen sind die Folge – bis zu 40 Prozent des aktuellen Filialnetzes könnten in Deutschland bis 2023 verschwinden. „Im Ringen um Marktanteile und Kunden werden sich die Geschäftsmodelle von Filial- und Direktbanken zunehmend ähnlicher“, meint Studienautorin Lisa Schöler von PwC. Traditionelle Banken brauchen digitalisierte Vertriebsmodelle, digitale Banken brauchen auch individuelle Dienstleistungen für ihre Kunden.


Die Banker selbst wissen das. Der britische „Economist“ macht jährlich eine Umfrage und hat zuletzt auch nach dem Wert der Filialen gefragt: 65 Prozent der 305 Bankmanager, die geantwortet haben, halten das filialbasierte Geschäftsmodell für vom Aussterben bedroht. Es werde die nächsten fünf Jahre nicht überleben. Aus Sicht von Christiane Weiland, Leiterin des Studiengangs „BWL – Bank“ an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, spielt diese Entwicklung aber keine große Rolle: „Die Anzahl der Filialen geht aus gutem Grund deutlich zurück – und sie ist wegen des zunehmend digitalen Zugangs immer weniger aussagekräftig, zumal auch die Bedeutung des Bargelds abnimmt“, sagt sie in einem Beitrag für das Handelsblatt.
Auch dazu gibt eine PwC-Studie Aufschluss: In zehn europäischen Ländern zahlen durchschnittlich nur noch 37 Prozent der Verbraucher am liebsten in bar, haben die Berater herausgefunden. Vor zwei Jahren lag der Anteil noch bei 43 Prozent. Vor allem Debitkarten gewinnen an Bedeutung. Ihr Anteil vom Zahlungsverkehr ist von 27 Prozent auf 31 Prozent gestiegen. Die Coronakrise hat den Trend beschleunigt. Zahlreiche Geschäfte und Restaurants fordern ihre Kunden und Gäste auf, mit Karte statt mit Bargeld zu zahlen – schon aus Hygienegründen. Dabei sind die Vorlieben europaweit unterschiedlich. In etlichen anderen Ländern nutzen die Verbraucher schon jetzt deutlich weniger Bargeld als in Deutschland. So ziehen in Schweden nur 15 Prozent der Befragten Barzahlungen vor. In Frankreich wiederum sind laut der Umfrage nicht Debit-, sondern vor allem Kreditkartenzahlungen populär.


Im dünnbesiedelten Schweden geht der Trend zum elektronischen Bezahlen allerdings der Regierung mittlerweile zu weit. Sie hat ein Gesetz eingeführt, das eine Art finanzielle Grundversorgung für die Bevölkerung sichern soll: Es verpflichtet große Banken dazu, sicherzustellen, dass höchstens 0,3 Prozent der Bevölkerung mehr als 25 Kilometer zurücklegen müssen, um Bargeld abzuheben.
Übertreiben dürfen es die Banken also nicht beim großen Filialschwund. Sonst ergeht es ihnen so wie der Volksbank im osthessischen Wüstensachsen. Sie wollte nach 130 Jahren schließen. Die Menschen im Ort wollten diese Entscheidung aber nicht akzeptieren und demonstrierten. Rund 300 kamen bei strömendem Regen und veranstalteten eine Trauerfeier mit Sarg und großem Holzkreuz auf dem Filialvorplatz. Vorstandsmitglied Torsten Hopf konnte das nicht umstimmen: „Wir müssen“, sagte er an die Demonstranten gewandt, „Entscheidungen treffen, die betriebswirtschaftlich sind.“

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