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Vom Küchengiganten zum Gerichtsfall: Das spektakuläre Ende von Alno

Ehemaliges Alno-Management steht wegen Insolvenzverschleppung und Betrugs vor Gericht - Milliardenforderungen im Raum.

Strafprozess nach der Pleite des Küchenherstellers Alno steht zu Beginn der Verhandlung mit Anwälten im Gerichtssaal. Zwei ehemalige Vorstandsmitglieder müssen sich wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung und Untreue vor einer Wirtschaftsstrafkammer vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. (Foto: picture alliance)

Vorwürfe gegen das ehemalige Management

14.1.2025 von Andreas Kempf

Tausendfach stehen sie heute noch in vielen deutschen Küchen: die Schränke und Arbeitsplatten von Alno. Doch seit September 2021 wird im schwäbischen Pfullendorf (Kreis Sigmaringen) nicht mehr produziert. Das Aus für eine der klangvollsten Marken und zeitweise sogar Marktführer unter den deutschen Küchenherstellern hatte schon vier Jahre zuvor mit dem Insolvenzantrag begonnen. Geblieben ist der Name - vermarktet vom Möbelhändler Höffner – und die Konzernzentrale mit dem roten „Alno"-Schriftzug.

Dort sind heute Büros des Landratsamts, der Caritas und ein Fahrradladen beheimatet. Alno steht aber heute noch vor allem für eine spektakuläre Pleite, deren Hintergründe immer noch nicht geklärt sind. Mehr als 1200 Gläubiger pochen auf Forderungen von knapp zwei Milliarden Euro.

Die Umstände und Verantwortlichkeiten dieser Pleite soll nun die Große Wirtschaftskammer des Landgerichts Stuttgart klären. Im Mittelpunkt stehen der frühere Vorstandsvorsitzender Max Müller (78) und seine Finanzchefin Ipek Demirtas (57). Sie sehen sich massiven Vorwürfen konfrontiert: Insolvenzverschleppung, Kreditbetrug, Bankrott und Untreue. Staatsanwalt Thomas Böttger braucht mehr als eine Stunde, um alle Punkte vorzutragen, die von den Ermittlern zusammengetragen wurden. Aus Sicht der Ankläger war Alno schon lange vor dem Sommer 2017 pleite. Das habe der Vorstand gewusst und verschleiert. Zudem hätten die Angeklagten über Jahre Gelder veruntreut. Sollte das Gericht dem folgen, wären hohe Freiheitsstrafen fällig.

Die Pleite hat schon bald die Justiz auf den Plan gerufen. Ermittler durchsuchten im März 2018 Geschäftsräume der Alno AG und sechs Tochtergesellschaften sowie die Privaträume von zwölf Vorständen und Führungskräften. Ihr Verdacht: Die Pleite von Alno hat eine strafbare Seite. Davon geht auch Insolvenzverwalter Martin Hörmann aus. Nach einem von ihm beauftragten Gutachten der Prüfungsgesellschaft FTI-Andersch soll Alno bereits 2013 zahlungsunfähig gewesen sein. Dieser Ansicht folgt inzwischen auch die Anklage.

Ein Schulspruch würde bei vielen Gläubigern neue Hoffnung aufkeimen lassen. Denn dann müsste eine Directors-and-Officers-Versicherung (D&O) haften, die Schadensersatzansprüche gegen das Management übernimmt. Nach einem Bericht der FAZ wurden bis Herbst aber lediglich 22 Millionen an die Schuldner ausbezahlt.

Der lange Weg in die Krise

Kenner der Branche ist erinnerlich, dass die Krise des einst so klangvollen Küchenherstellers bereits Mitte der 1990er Jahre begonnen hatte. Seinerzeit beschloss Gründer Alber Nothdurft – seine Initialen bilden den Firmennamen -, den Küchenbauer an die Börse zu bringen, statt sie den beiden Söhnen zu überlassen. Allerdings waren die Anteile derart breit gestreut, dass niemand aus dem Aktionärskreis in der Lage war, Alno eine klare Richtung vorzugeben. Hinzu kamen etliche Managementfehler. Im April 2011 übernahm der Schweizer Financier Max Müller die Führung bei Alno. Sein Vorgänger Jörg Deisel war zuvor am Widerstand des Aufsichtsrats krachend gescheitert, den Sitz von Pfullendorf nach Düsseldorf zu verlagern.

Müller und seine ebenfalls 2011 eingestiegene Finanzchefin Demirtas gelang es allerdings nicht Alno in ein ruhigeres Fahrwasser zu lenken. Immer wieder musste der schlingernde Konzern mit Notmaßnahmen über Wasser gehalten werden. Dazu gehört offenbar auch eine Konstruktion, mit der Verkäufe an den Großhandel abgesichert wurden. Abgewickelt wird dies über die Castor Holding des Müller-Freundes Horst Overbeck (82), der nun wegen Beihilfe zur Untreue ebenfalls in Stuttgart vor Gericht steht. Der Anklage zufolge hat Castor für Rechnungen in Millionenhöhe ohne Gegenleistung hohe Provisionen kassiert. Solche Provisionen hätten allenfalls dem Großhandel selbst zugestanden, meint Böttcher.

Enge Fristen

Gerät ein Unternehmen in Schieflage kommt auf das Management eine besondere Verantwortung zu. Es muss sicherstellen, dass die Gläubiger nicht benachteiligt werden.

  • Ist die Firma zahlungsunfähig, muss die Leitung innerhalb von drei Wochen den Gang zum Insolvenzgericht antreten.
  • Bei Überschuldung beträgt die Frist sechs Wochen.

Dann übernimmt ein Insolvenzverwalter das Kommando. Er prüft, ob das Unternehmen fortbestehen kann oder ob aus den vorhandenen Werten die Forderungen der Gläubiger ganz oder zum Teil beglichen werden.

Hält sich das Management nicht an die Fristen, ist die Führung wegen Insolvenzverschleppung strafbar. Geschieht dies vorsätzlich droht Gefängnis bis zu drei Jahren.

Nach Einschätzung des Fachanwalts Matthias Brauer werden 60 Prozent der Insolvenzanträge zu spät gestellt.

Fragwürdige Finanzpraktiken

Der Staatsanwalt ist auch überzeugt, dass Müller den Pfullendorfer Küchenbauer mit eigenen Gesellschaften über den Tisch gezogen hat. So habe er über seine Appenzeller Finanzgesellschaft Comco Kredite in Höhe von elf Millionen Euro in Aussicht gestellt. Dafür musste Alno „Bereitstellungsgebühren" von insgesamt 440.000 Euro überweisen. „Dabei wusste Müller genau, dass Comco gar nicht in der Lage war, das Geld bereitzustellen, so Böttcher. Über eine zweite Finanzgesellschaft aus der Steueroase Jersey habe der damalige Alno-Chef weitere 450.000 Euro kassiert. Auch Müllers Eastern Finance Ltd. Sein nie in der Lage gewesen die versprochenen 15 Millionen Euro tatsächlich bereitzustellen.

Rolle externer Investoren

Im Jahr 2016 holten sie die bosnische die Unternehmensgruppe Tahoe des Investors Nijaz Hastor an Bord. Von dort kam erst ein Darlehen über 35 Millionen Euro. Die Bosnier bekamen erst 14, Prozent der Alno Aktien. Der Anteil stieg später auf 40 Prozent.

Hastor ist kein Unbekannter in Deutschland. Während eines Streits mit Volkswagen brachte er durch einen Lieferstopp seines Zulieferers Prevent den Wolfsburger Konzern zum Stillstand. Von den Alno-Vorständen fordert der bosnische Investor 30 Millionen Euro Schadensersatz. Angeblich sollen sie Tahoe mit geschönten Zahlen angelockt haben. Statt eines geplanten Umsatzes von 564 Millionen Euro und eines Gewinns von fast 19 Millionen Euro hat Alno dann nur 493 Millionen Euro erwirtschaftet und dabei ein Finanzloch von 28 Millionen Euro ausgewiesen. Für die Staatsanwälte ein klarer Fall von Kreditbetrug.

Verteidigung weist Vorwürfe zurück

„Es hat nie einen Kredit gegeben", ereifert sich Müllers Verteidiger Oliver Kipper. Darum sei auch kein Betrug möglich. Überhaupt werde von der Anklage völlig ausgeblendet, wer wirklich Alno an die Wand gefahren hat. Der Prozess werde aber zeigen, dass gerade die bosnischen Investoren erhebliche Mitschuld trügen, „die schon bei Volkswagen verbrannte Erde hinterlassen haben." Sein Mandant werde in einem völlig falschen Bild dargestellt, so Kipper.

Tatsächlich habe Müller über sein Netzwerk 83 Millionen Euro in Alno investiert und sei am Ende auf einem Verlust von „zehn bis zwölf Millionen Euro" sitzen geblieben. Alexander Schork, der Demirtas verteidigt, wirft der Staatsanwaltschaft schlampige Ermittlungsarbeit vor. Man habe den Konzern gar nicht richtig durchleuchtet. Nur so sei der Vorwurf der Konkursverschleppung überhaupt möglich. Seine Mandantin sei eine integre Person, die sich voll für Alno engagiert habe.

Beide Verteidiger weisen in ihren Eröffnungsstatements den Vorwurf zurück, Müller und Demirtas hätten den Aufsichtsrat mit falschen Angaben über den Tisch gezogen und sich so hohe Überweisungen erschlichen. Hier wird schon deutlich: Der letzte Akt um die Alno-Pleite kann sich lange hinziehen. Während des Prozesses dürften sich Anklage und Verteidigung kleinteilig über die Interpretation vieler Details aus dem Alno-Zahlenwerk beharken und die Rolle vieler Beteiligten daraus unterschiedlich destillieren. Dabei wollen die Angeklagten, sie wohnen allesamt in der Schweiz, dann auch ihre Version darlegen. Der Vorsitzende Richter Alexander Stuckert - der sich mit so komplexen Verfahren auskennt - hat bereits Verhandlungstermine bis Anfang September angesetzt.

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