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Einkauf, Marketing und Marken > Handwerkskunst bewahrt

Von der Kuckucksuhr zur Weltmarke: Die Renaissance der Schwarzwälder Uhrenindustrie

Vom Handwerk zur Weltklasse: Wie die Schwarzwälder Uhrenindustrie trotz Wandel und Herausforderungen ihren Platz behauptet.

Echte Handarbeit: Originaluhren aus dem Schwarzwald werden, wie hier bei Trenke-Uhren, aus zahlreichen hölzernen Einzelteilen zusammen­gesetzt. (Foto: Andreas Kempf)

Der feine Bohrer dringt in die etwa fingergroße Holzfigur. Dann schiebt Bernhard Trenkle einen dünnen Metallstab durch und verbindet damit den bislang fehlenden Arm, an dessen Ende das Händchen ein Nudelholz hält. So bewaffnet kann die kleine Schwarzwaldfrau mit typischem Bollenhut zu jeder Stunde der Figur eines Trinkers die Lust am Bier verderben. Es ist eine kleine Szenerie aus einer Kuckucksuhr, die besonders bei ausländischen Touristen beliebt ist. „Bei uns ist alles Handarbeit“, betont Trenkles Frau Irene sichtlich stolz. Darauf legen die Händler und deren Kunden viel wert. 

Die Trenkles sind relativ neu im Geschäft. Seit 1965 produziert die Manufaktur aus Simonswald in einem Tal etwa eine halbe Stunde nördlich von Freiburg Uhren und Wetterhäuschen.

Kuckusuhren: 800 verschiedene Modelle

Die Geschichte der Branche hier im Schwarzwald reicht allerdings bis ins 17. Jahrhundert zurück. Sie erzählt von harten Bedingungen, Erfindergeist, Wandel, von Aufstieg zu Weltmarktführern und dem Absturz in die Insolvenz. Sie zeigt, dass Handwerk sich auch heute durchsetzen und der Mut vieler ganz anderen Branchen zum Aufstieg verhelfen kann. Doch zunächst ganz traditionell zur Kuckucksuhr. 

Etwa 800 verschiedene Modelle umfasst das Produktprogramm der Trenkles, um die sich rund 30 Voll- und Teilzeitkräfte kümmern. Zugearbeitet wird von Schnitzern vor allem aus Südtirol. „Diese Handwerkskunst geht bei uns leider verloren“, bedauert Irene Trenkle. Im Familienbetrieb entstehen mechanische Uhrwerke, Holzgehäuse und eine Vielzahl von Figuren und Dekordetails. Die Erzeugnisse gehen in die ganze Welt. Die Trenkles verkaufen weltweit und haben feste Großhändler in den USA und Australien. Viel geht aber auch in den deutschen Markt. 

Nachfragespitzen bescheren den Trenkles und ihren Händlern große Ereignisse wie der Marathon in Berlin, die Skisaison in den Alpen, die Passionsspiele in Oberammergau wie auch große Sportevents oder Popkonzerte beispielsweise in Hamburg, München oder Zürich. Solche Höhepunkte stehen dick im Kalender der Branche, denn dann stürmen die Besucher aus aller Welt die Souvenirgeschäfte der Umgebung. Für die Trenkles bedeutet das, dass sie ihr Lager besonders gut auffüllen müssen, denn sie übernehmen den Versand für die Händler gleich mit. „Wir haben die passende Verpackung und vor allem auch die Erfahrung zum Versand in die einzelnen Länder“, erklärt Raphael Trenkle, der sich neben dem BWL-Studium als dritte Generation in den Familienbetrieb einarbeitet. 

Zwar erreichen Schwarzwalduhren auch über Onlinekäufe Liebhaber in der ganzen Welt. Doch die teuren Exemplare, die vierstellige Beträge kosten, bringt vor allem der Fachhandel an den Kunden. „Gute Beratung ist die Grundlage für unser Geschäft“, unterstreicht Irene Trenkle. So fragen die Fachverkäufer auch, wo die Uhr mit dem Kuckuck künftig hängen soll. „Soll die Uhr ein Quarzwerk oder einen mechanischen Antrieb haben, hängt beispielsweise davon ab, ob im Haushalt auch Tiere oder kleine Kinder wohnen“, erklärt Rosa Perez, Verkäuferin im „Haus der 1000 Uhren“ in Triberg, etwa auf halbem Weg zwischen Freiburg und Villingen-Schwenningen im Schwarzwald. Dort werden bereits seit 1881 Zeitmesser verkauft. Ein klassisches Uhrwerk mit Antrieb über Ketten, woran schwere Gewichte hängen, passt nicht so gut in eine Umgebung mit spielenden Kindern oder Katzen. 

Die Verkäuferin in Triberg erkundigt sich aber auch nach dem Land, in das die Uhr gehen soll. „Ist dort viel Staub oder Feuchtigkeit, raten wir von bestimmten Modellen ab. Oder wir empfehlen etwas Passendes.“ Man wolle ja, dass die Kunden viele Jahre Freude an der Erinnerung aus dem Schwarzwald haben. Ausländische Touristen würden sich vor allem für die klassischen Modelle entscheiden. Die Einheimischen suchten hingegen nach der trendigen Variante, die eher zu einer modernen Wohnung passt. 

Im Schwarzwald sind von der klassischen Uhrenindustrie nur Spezialisten geblieben. Doch aus der Branche hat sich eine weltweitgefragte fein­mechanische Industrie entwickelt.

andreas Kempf, Autor

Einige der klassischen Anbieter haben minimalistische Modelle, Designerformen oder welche mit bedruckten Fassaden ins Programm aufgenommen. „Wir bekommen immer wieder Anfragen aus dem Marketingbereich, die sich nach individuellen Lösungen erkundigen“, beschreibt Raphael Trenkle ein neues Marktsegment. So sei auch eine Uhr nach den Farben des SC Freiburg entstanden.  

Die Häuschen haben ihre Vorbilder im Schwarzwald, Bayern oder auch in der Schweiz. Details, wie beispielsweise ein kleiner Dackel, werden auf Wunsch der Kunden in die Modellpalette aufgenommen. Chalets ausgestattet mit Alphornbläser, Landesfahne oder Heidi als Pendel kommen bei den Händlern in der benachbarten Eidgenossenschaft sehr gut an. „Wir sind oft mit der Bezeichnung ‚Made in Black Forest‘ sogar noch erfolgreicher als mit ‚Made in Germany‘“, erklärt Irene Trenkle. Als der Hüter der Uhrentradition hat sich der Verein die Schwarzwalduhr (VdS) verschrieben. Er achtet penibel darauf, dass Hersteller und Händler nur Produkte fertigen, die aus Holzteilen bestehen und ein mechanisches Uhrwerk haben – alles möglichst aus der Region. Nur die bekommen ein entsprechendes Echtheitszertifikat. 

 

Kunststoff ist verpönt

Besonders hochwertige mechanische Uhrwerke beziehen Familienbetriebe der Region von SBS Burger in Schönwald, einige Kilometer südlich des „Hauses der 1000 Uhren“. Seit 168 Jahren ist das Unternehmen eng mit der Schwarzwalduhr verbunden. „Wir sind inzwischen der Hidden Champion der mechanischen Uhrwerke“, bemerkt Seniorchef Thomas Burger, dessen Söhne Fabian und Manuel das Unternehmen in sechster Generation fortführen. Rund 80.000 Uhrwerke verlassen jedes Jahr den Betrieb, der noch heute darauf Wert legt, dass kein Kunststoffrad ins Uhrwerk greift. Das Traditionsunternehmen ist eines der wenigen, die Aufstieg und Niedergang der Schwarzwälder Uhrenindustrie überlebt haben. 

Die Uhrenfertigung in der Region reicht bis in das 17. Jahrhundert nach Ende des Dreißigjährigen Krieges zurück. Die Bauern und später erste Handwerker fertigen vor allem in den ruhigeren Wintermonaten Zahnräder und Gehäuse aus Holz, die nicht wie Teile aus Metall den Zunftregeln unterworfen sind. Die Idee zum Kuckucksruf sollen Glasträger aus Straßburg mitgebracht haben. In der berühmten Uhr des dortigen Münsters verkündete ein Hahn laut krähend die Stunde. Um 1750 wird erstmals in die sogenannte Schottenuhr mit Kuhschwanzpendel ein Kuckuck integriert, der aus einem Türchen herausschaut. Seinen Ruf erzeugen zwei Blasebälge, damals wie heute. 

Das Geschäft mit den Uhren aus Holz wächst rasant. 1808 verdienen in Triberg und Umgebung bereits 790 Personen mit der Uhren-Manufaktur ihr Brot. Allein in Gütenbach sind von den 833 Einwohnern 96 Uhrmacher, 10 Gestell-, Ziffer- und Instrumentenmacher, 14 Schildermaler, Gießer sowie 61 Uhrenhändler. Der Bedarf nach Fachkräften wächst derart, dass 1850 in Furtwangen die „Großherzoglich Badische Uhrmacherschule“ gegründet wird. Ihr erster Direktor, Robert Gerwig, wird später Schwarzwald- und Gotthard-Bahn bauen. Zu dieser Zeit fertigen allein zwischen Titisee und St. Georgen mehr als 1000 Betriebe 600.000 Uhren jährlich. Die Schwarzwaldbahn erleichtert den Transport und führt immer mehr Touristen in die Region. Die Bahnwärterhäuser sind bis heute Vorbild für viele Kuckucksuhren. 

Die Fertigung nimmt zunehmend industrielle Formen an. Bei Burger in Schonach wird 1880 eine eigene Krankenkasse gegründet, die erst 2003 in der BKK Schwarzwald-Baar-Heuberg aufgeht. Arbeitsteilung und Massenproduktion prägen die Unternehmen, die vor allem rund um das ehemalige Bauerndorf Schwenningen wachsen und wachsen. Dort produzieren Betriebe wie Kienzle oder Mauthe. Bürk revolutioniert mit seinen Stechuhren sogar die gesamte industrielle Arbeitswelt. Zwischen 1880 und 1907 schnellt die Einwohnerzahl von 4700 auf 15.000 hoch. Viele Arbeiter aus allen Teilen des Deutschen Reiches, auch aus Polen und Italien, ziehen in die prosperierende Region, was immer wieder zu Spannungen führt. 

Gearbeitet wird im Akkord. Fehler ziehen die Unternehmer über kaum nachprüfbare „Reparaturzettel“ vom Lohn ab. Sieben Pfennige je Stück – genauso viel gibt es für 100 gefertigte Teile. Oft hängen ganze Familien mit Heimarbeitsaufträgen an der Uhrenindustrie. In tristen, selbst errichteten Werkstätten werden Zahnräder, Achsen, Zifferblätter oder Zeiger gefertigt. Etwa 40 Kilometer nördlich in Schramberg wächst derweil der Hersteller Junghans zum größten Produzenten weltweit heran.

Von der Uhr zur Feinmechanik

Den Siegeszug der Elektronik haben die meisten Hersteller mechanischer Armbanduhren, Wecker sowie Stech-, Tisch- und Wanduhren nicht überlebt. Immer mehr Betriebe zwischen Pforzheim und der Schweizer Grenze müssen aufgeben. Die Reste von Platzhirsch Junghans übernahm der Schramberger Unternehmer Hans-Jochem Steim 2009 aus der Insolvenzmasse der Markenholding Egana Goldpfeil. Am Heimat­standort fertigt der einstige Branchenprimus wieder Designeruhren, zum Teil mit Solarantrieb. Für die Zeitmesser mit dem „J“ im Stern werden zum Teil vierstellige Preise verlangt. Zahlen veröffentlicht das Unternehmen nicht und Fragen nach der wirtschaftlichen Entwicklung lassen die Uhrenwerke Junghans unbeantwortet. 

Heute sind noch gut zwei Dutzend Unternehmen in der Region rund um die Uhren tätig. Wesentlich bedeutsamer ist, dass die Schwarzwälder Traditionsindustrie den Grundstein für alle jene Betriebe gelegt hat, die Spitzenprodukte in den Bereichen Feinmechanik, Messtechnik oder Medizintechnik fertigen. Bei unzähligen Mittelständlern lebt heute das Tüftler-Gen, das die Kuckucksuhr vor vielen Generationen freigelegt hat. Dazu gehört auch Burger in Schonach. Nur die wenigsten der 1200 Beschäftigten sind heute mit der Herstellung von Uhrwerken befasst. Die meisten von ihnen produzieren Teile für die Autoindustrie, für Maschinenbau und Medizintechnik. Der Umsatz des Unternehmens liegt bei 200 Millionen Euro. 

Die Einschätzungen zu diesem Jahr gehen auseinander. Burger spricht von einem „recht ruhigen Jahr“. 2024 sei aus Sicht der Händler sehr eigenartig verlaufen, heißt es hingegen bei den Trenkles. „So sind Wahljahre in den USA von Zurückhaltung geprägt“, weiß Irene Trenkle aus Erfahrung. Andererseits habe es aber bei den einheimischen Geschäften auch Umsatzspitzen gegeben. Mit gemischten Gefühlen blickt die Branche nun vor allem in die USA. Werden auch sie von steigenden Zöllen betroffen? Kommen die Amerikaner wieder verstärkt in die Touristikzentren? Und wie entwickeln sich die asiatischen Märkte, die zuletzt vor allem in China auch sehr zurückhaltend Uhren nachgefragt haben? 

Erste Antworten erhofft sich die Branche von der „Christmasworld“, der Messe Anfang Februar in Frankfurt. Die Trenkles präsentieren dort als Neuheit eine beleuchtete Uhr. Doch für jeden Kitsch sind die Trenkles nicht zu haben, wie Irene Trenkle versichert: „Wir wollen schon noch hinter unseren Produkten stehen.“

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