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Zukunftsmärkte > Auslandsmärkte in Asien

Was China dem Mittelstand noch zu bieten hat - und was nicht

China ist ein riesiger Markt und Deutschlands Mittelständler haben lange profitiert. Jetzt belasten Geopolitik, Misstöne und drohende Zollhürden das Geschäft.

Deutsche Mittelständler stehen vor Herausforderungen in China aufgrund geopolitischer Spannungen und drohender Handelsbeschränkungen, während sie gleichzeitig versuchen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und alternative Strategien zu entwickeln. Bild: Shuttertock

In China sein oder lieber nicht sein? Diese Frage treibt viele Mittelständler beim Blick auf die Nachrichtenlage um. Realistisch betrachtet können nur die wenigsten exportorientierten Unternehmen auf den zweitgrößten Markt der Welt verzichten. Wichtige Branchen wie der Automobil- und Maschinenbau, Chemie oder IT hängen sogar mit hohen Umsatzanteilen vom chinesischen Markt ab. Zudem ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt für die meisten Unternehmen auch ein wichtiger Lieferant von Rohstoffen, Zwischenprodukten und Komponenten. Wie abhängig deutsche Firmen von China sind, hat die überstandene Pandemie gezeigt, als der Lieferant und Großkunde über Nacht ausgefallen ist.

Doch die Bedingungen werden immer schwieriger. Anfang April haben die USA den Export von Chips nach China erneut eingeschränkt. Auf über 166 Seiten listet Washington auf, was dem großen Konkurrenten alles nicht mehr geliefert werden darf. Betroffen sind nun auch Geräte, in denen die Chips eingebaut sind – beispielsweise Computer. Chips, mit denen zum Beispiel künstliche Intelligenz schneller wird, sind schon länger blockiert. Die USA wollen einen hochsensiblen Nerv treffen, wie Chipexperte Jan-Peter Kleinhans von der Stiftung Neue Verantwortung erläutert. „Kurz- und mittelfristig sind die amerikanischen Exportbeschränkungen bei KI-Chips für China ein massives Problem. Denn einheimische Unternehmen haben in der Breite keinen Zugriff auf modernste KI.“

In Peking fährt man allerdings eine ähnlich rüde Gangart. So dürfen die eigenen Behörden keine Prozessoren von AMD und Intel auf den Rechnern verwenden. Börsenanalysten schätzen, dass beide US-Konzerne so fünf Prozent des Gesamtumsatzes verlieren. Hersteller von Elektroautos sind staatlicherseits angewiesen, mehr einheimische Halbleiter zu ordern. Was das bedeutet, ist an der Börse abzulesen. Der Kurs von Infineon brach um fünf Prozent ein. Für den Münchener Chipkonzern ist China der größte Markt.

„Es ist bereits zu erkennen, dass sich chinesische Autohersteller vermehrt nach lokalen Lieferanten umschauen“, bestätigt Kleinhans. Das dürfte nicht über Nacht gelingen, denn Ersatz für die Lieferungen aus dem Westen finden die Autoriesen BYD, XPeng oder Saic noch nicht ausreichend auf dem heimischen Markt. Doch das ist nur eine Frage der Zeit. Marktkenner gehen davon aus, dass die Chinesen in zwei Jahren auch stromsparende Chips aus Siliziumkarbit in großer Menge herstellen können. Die sollen in Elektromobilen für größere Reichweiten und schnellere Ladezyklen sorgen.

Bei Konflikten mit China fällt automatisch der Blick auf Taiwan. Der Inselstaat ist der Hauptlieferant für Chips für die westliche Welt. Ein Angriff Chinas, das Taiwan für sich beansprucht, könnte eine weltweite Versorgungskrise wie zu Pandemiezeiten auslösen. Möglicherweise wird es sogar schlimmer. Wird Donald Trump, der wenig von Regeln und Demokratie hält, zum zweiten Mal US-Präsident, könnte dieses Szenario sehr schnell real werden.

Risiko Taiwan

Der Machtkampf zwischen den beiden Großmächten bringt deshalb immer mehr deutsche Mittelständler in Bedrängnis. Taiwan gilt in mancher Chefetage als latentes Risiko. Nicht nur für das Geschäft mit China. „Die goldenen Jahre sind vorbei“, sagte Jens Hildebrandt, Geschäftsführer der Außenhandelskammer in Peking. „Dennoch wollen über 90 Prozent nicht weg aus China. Anders als früher ist der Grund aber nicht mehr das Ausdehnen des eigenen Marktes, sondern nur Erhalten der Wettbewerbsfähigkeit.“

Viele Unternehmen leiden im Konflikt der Großmächte zunehmend und passen die Strategie an. „Ein Angriff auf Taiwan ist die rote Linie,“ stellt Nicola Leibinger-Kammüller klar. Die Chefin des Maschinenbauers Trumpf lässt die Einkaufsabteilung schon seit Jahren verstärkt nach Alternativen für Lieferanten aus China suchen. Die Trumpf-Tochter im Reich der Mitte ist inzwischen völlig eigenständig aufgestellt, sodass sie notfalls auch arbeiten kann, wenn die Verbindung zur Konzernzentrale abreißt. Der Ventilatorenhersteller EBM-Papst geht ähnlich vor. Das IT-System zwischen Konzern und Chinageschäft sind weitgehend getrennt. Die China-Tochter bezieht inzwischen 85 Prozent des Bedarfs auf dem lokalen Markt. Ziel sind 100 Prozent. Schon heute ist unter den 1900 Beschäftigten in China nur noch der Chef Deutscher. „Enabling China“ umschreibt der Mittelständler diplomatisch die hauseigene Abschottungsstrategie.

Die angespannte politische Großwetterlage bringt aber auch unerwartete Vorteile. So liefert Trumpf wichtige Komponenten für die modernste Chipgeneration an ASML. Ohne die Anlagen des niederländischen Herstellers lassen sich keine Highend-Chips herstellen. Das Unternehmen kann sich vor Bestellungen aus den USA, Südkorea und der EU kaum retten. Wegen der Taiwan-Krise werden dort gerade eiligst neue Chipfabriken hochgezogen. So baut Intel bei Magdeburg, Infineon bei Dresden. Der Trumpf-Bereich EUV, der die dazugehörige Technologie vertreibt, entwickelt sich rasant. Im vergangenen Geschäftsjahr stieg der Umsatz um 22 Prozent auf 971 Millionen Euro.

„Wir können uns nicht erpressen lassen“, lautet das Credo von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Die Ampel in Berlin hat im vergangenen Sommer auf 64 Seiten ihre China-Strategie neu definiert. Entsprechend wurde die Gangart merklich verschärft. Das spüren etliche deutsche Exporteure, die seit Monaten immer wieder darüber klagen, dass ihre Zollpapiere gezielt schleppend bearbeitet werden. Im vergangenen Herbst reichte es. Unternehmen und Verbände protestierten lautstark. Seitdem, so heißt es bei betroffenen Firmen, laufe es wieder etwas besser. Als Engpass gilt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), verlängerter Arm des Wirtschaftsministeriums. Klaus Geißdörfer, Chef bei EBM-Papst, spricht sogar von einem „Monster“. Selbst wenn man US-Konzerne in China beliefere, stehe ein „Wahnsinnspapiertiger“ im Weg. Dabei würden die Produkte der US-Kunden sowieso abermals streng auf Anwendungen im militärischen Bereich geprüft.

Auch wenn Berlin die eigenen Mittelständler immer wieder ausbremst: Ganz eindeutig ist der Kurs der deutschen Politik nicht. So besuchte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erst kürzlich mehrere Tage China. Die Charme-Reise lieferte PR-Bilder auf der Chinesischen Mauer und Küsschen-Fotos mit Plüschpanda­bären. Söder warb aber auch für die heimische, die bayerische Industrie. Entsprechend hofiert wurde der weiß-blaue Abweichler von den Machthabern in Peking, der „Real- statt Moralpolitik mit China“ verfolgen will.

Bayerischer Schmusekurs

Der bayerische Schmusekurs hilft den kommunistischen Machthabern, die international zunehmend in Erklärungsnot geraten. Wegen der schwachen Nachfrage im eigenen Land drängen ihre Unternehmen hoch subventioniert auf den Weltmarkt. Ob Solarpanels, Windkraftanlagen oder Elektroautos: Alles muss zu Schleuderpreisen raus, weil in der Heimat die Konjunktur immer noch unter den Folgen der Pandemie und der politischen Fehler leidet. Lange hat Pekings Investitionspolitik andere Ziele verfolgt, als nur die Bedürfnisse des Marktes zu decken. „In der Provinz werden Autohersteller gehalten, die eigentlich nicht konkurrenzfähig sind. Das ist einfach eine Frage des Prestiges und der lokalen Beschäftigung“, sagt ein Topmanager eines deutschen Autokonzerns im Hintergrundgespräch. Das bringe inzwischen auch den lokalen Markt durcheinander und zwinge die großen Marken wie Nio, BYD oder Lucid, ihr Heil auf ausländischen Märkten zu suchen – unterstützt vom Staat.

„China fördert Unternehmen unabhängig davon, wie groß die Nachfrage nach den Produkten im eigenen Land ist. Wenn alle das so machen, haben wir ein Problem“, sagt Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln im Gespräch mit der FAZ. US-Finanzministerin Janet Yellen hat Anfang April bei ihrem Besuch in China den kommunistischen Machthabern klar zu verstehen gegeben, man sei nicht gewillt, die Flut der subventionierten Billigexporte länger hinzunehmen. „Ich denke, sie haben gehört, dass dies ein wichtiges Thema für uns ist. Es wird für unsere künftigen bilateralen Beziehungen und für Chinas Beziehungen zu anderen wichtigen Ländern von entscheidender Bedeutung sein“, sagte die Politikerin. Das merkt China bereits. Selbst Peking wohlgesonnene Staaten wie die Türkei oder Brasilien blocken den Import von Elektroautos. Die EU-Führung in Brüssel ist alarmiert. Die Kommission um Ursula von der Leyen (CDU) fürchtet, dass die Waren auf den europäischen Markt drängen.

Handelsexperten wie der US-Ökonom Brad Setzer raten den führenden sieben Wirtschaftsnationen (G7), gemeinsam vorzugehen, um sich gegen die Produktflut aus China abzuschotten – etwa durch höhere Zölle. Doch nicht alle finden Gefallen daran. „Das würde uns auch sehr treffen“, gibt Mercedes-Chef Ola Källenius zu verstehen. Er verweist darauf, dass bestimmte Automodelle in China oder den USA gebaut werden. Strafzölle der G7 gegen Importe aus China oder Chinas gegen Importe aus den USA sind da Gift. Bosch Siemens Hausgeräte bekäme ein Problem. Viele Kühlschränke, Herde oder Waschmaschinen fertigt der Konzern in China und importiert sie nach Europa. Auch der Chef von EBM-Papst kann einem restriktiven Kurs gegenüber China wenig abgewinnen. Er appelliert, die Spannungen auf beiden Seiten abzubauen. „Das geht nur gemeinsam. Am Ende braucht China die USA und auch Europa als Absatzmarkt.“ Es gebe eine „gegenseitige Abhängigkeit“. Von einer Abkehr will Geißdörfer zwar nicht wissen. Doch auch im baden-württembergischen Mulfingen setzt man nicht nur auf China. Die neue Asienzentrale steht in Singapur, die Präsenz in Indien wird ausgebaut.

Der langjährige Chef der Europäischen Handelskammer in Peking, Jörg Wuttke, sieht die Unternehmen auf dem alten Kontinent im Wettstreit mit China trotz allem gut aufgestellt. Noch seien sie vorn, wenn es um komplexe Prozesse der Industrie gehe. Diesen Vorsprung im Know-how gelte es zu halten. „Das geht nur über Bildung“, mahnt er. Mit Sorge sieht Wuttke deshalb, dass Peking viel mehr Geld als die EU in Bildung, Forschung und Entwicklung pumpt.

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