
Die ohnehin schon angespannte Beziehung zwischen der Türkei und Deutschland hat eine neue Eskalationsstufe erreicht: Auf die Inhaftierung mehrerer Menschenrechtler, darunter des Deutschen Peter Steudtner, hat die Bundesregierung mit verschärften Sicherheitshinweisen für Reisende reagiert.
Seit dem Putschversuch im Juli 2016 ist das Verhältnis der beiden Staaten angespannt. Die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel sowie rhetorische Angriffe des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan haben seither für eine weitere Belastung gesorgt.
„Keine Rechtssicherheit“
Die aktuellen Entwicklungen waren für Außenminister Sigmar Gabriel nun Anlass genug, um deutschen Unternehmen und Anlegern abzuraten, in der Türkei zu investieren. Wo es „keine Rechtssicherheit“ gebe und „unbescholtene Unternehmen in die Nähe von Terroristen gerückt werden“, sei ein Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen nicht sinnvoll, sagte Gabriel in Berlin.
Bei dieser Einschätzung blieb Gabriel auch, nachdem der türkische Innenminister Süleyman Soylu eine offizielle Liste mit den Namen von 700 deutschen Unternehmen zurückgezogen hatte, die der Terrorfinanzierung bezichtigt worden waren. Zudem lässt Gabriel die sogenannten Hermes-Bürgschaften prüfen, mit denen Unternehmen risikoreiche Investitionen absichern können. Sollten diese staatlichen Exportkreditversicherungen ausgesetzt oder nur noch eingeschränkt vergeben werden, dürfte das Investitionen und Geschäfte mit der Türkei künftig unsicherer machen und erschweren.
6.800 Unternehmen

Nach Angaben des Auswärtigen Amts sind derzeit rund 6.800 deutsche Unternehmen in der Türkei aktiv, darunter auch zahlreiche Mittelständler. Angesichts der sich weiter verschärfenden Lage fragen sie sich immer öfter: Wie verlässlich ist das türkische Rechtssystem noch? Welche weiteren Entwicklungen sind zu erwarten?
Dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, zufolge gibt die türkische Regierung zwar ein positives „Signal“, indem sie vergangene Woche die vermeintliche „Terrorliste“ zurückgezogen hat. Doch schon jetzt gingen die Geschäftsanfragen bei der deutschen Auslandshandelskammer in Istanbul merklich zurück, berichtet Treier.
Der Außenhandelschef des DIHK ist sich sicher: Wenn sich die politische Stimmung in der Türkei nicht ändere, werde die Investitionsbereitschaft deutscher Unternehmen weiter abnehmen. Die Beschränkung der Risikobürgschaften für Exporte in die Türkei dürfte diesen Prozess noch beschleunigen.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Im ersten Quartal des laufenden Jahres machten laut offizieller türkischer Statistik Importe aus Deutschland nur noch 8,7 Prozent des gesamten Importmarktes aus (statt 10,6 Prozent im Vorjahr). Auch Deutschland importierte weniger Waren aus der Türkei: Der Marktanteil schrumpfte von 10 Prozent auf 9,4 Prozent. Damit einher geht ein Rückgang an ausländischen Investitionen in der Türkei: Statt 3 Prozent wie noch im vergangenen Jahr prognostiziert die Europäische Kommission für 2017 nur noch einen Zuwachs von 1,6 Prozent.
Mit einem Anteil von mehr als 9 Prozent und einem Handelsvolumen von 37 Milliarden Euro (2015) ist Deutschland der stärkste Handelspartner der Türkei. Deutsche Unternehmen beschäftigen in dem Land mehr als 100.000 Mitarbeiter. Mit einem Investitionsvolumen von mehr als 13,3 Milliarden Euro (seit 1980) ist Deutschland – nach den Niederlanden – der größte ausländische Investor.
Vorsichtiger Optimismus
Muhammed Altunkaya, Rechtsanwalt mit Fokus auf internationales Wirtschaftsrecht, zeigt sich gleichwohl optimistischer (lesen Sie hier das vollständige Interview): Zwar könnte die Aussetzung der Hermes-Bürgschaften geplante Neuinvestitionen verzögern, sagt der Türkei-Experte, doch ließen jüngste Äußerungen der türkischen Regierung vermuten, „dass noch in diesem Jahr mit der Aufhebung des Ausnahmezustandes gerechnet werden kann.“
Anlass für den vorsichtigen Optimismus liefere unter anderem das Treffen des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim mit deutschen Unternehmensvertretern. „Es ist sehr wichtig für uns, dass Sie nicht von den jüngsten Entwicklungen geschädigt werden“, hatte Yildirim bei dem Treffen in Ankara laut der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu gesagt.
Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums prüft die Bundesregierung derzeit noch, ob und unter welchen Voraussetzungen die Hermes-Bürgschaften ausgesetzt werden können oder sollen.
Hermes-Bürgschaften
Exporte von Maschinen, Anlagen oder Autos sind ein wichtiger Motor für die deutsche Wirtschaft. Allerdings bergen Ausfuhren manchmal auch beachtliche Zahlungsrisiken, die normalerweise über Versicherungen abgedeckt werden. In einigen Fällen, etwa bei Lieferungen in Entwicklungsländer, wollen private Versicherungsunternehmen solche Risiken aber nicht schultern.
An dieser Stelle springt der Staat mit Exportkreditgarantien ein. Sie sind ein wichtiges Instrument zur Exportförderung und schützen die deutschen Unternehmen vor Verlusten durch ausbleibende Zahlungen ihrer ausländischen Geschäftspartner: Zahlt der ausländische Abnehmer nicht, übernimmt der deutsche Staat die Rechnung.
Weil beim Management dieser Garantien seit Jahrzehnten der Kreditversicherer Euler Hermes federführend ist, hat sich die Bezeichnung der „Hermes-Bürgschaften“ eingebürgert.
Der Rahmen für solche Garantien beträgt derzeit 160 Milliarden Euro, die aber in der Regel längst nicht ausgeschöpft werden. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums hat der Bund 2016 für Aufträge in Höhe von 20 Milliarden Euro Garantien übernommen; davon wurden 552 Millionen Euro als Entschädigungen an betroffene Unternehmen zurückgezahlt. Zum Vergleich: Die gesamten deutschen Warenexporte erreichten im vorigen Jahr den bisherigen Höchstwert von 1,2 Billionen Euro.