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Einkauf, Marketing und Marken > X-Mas Konsum-Chaos

Weihnachten als Kommerzfest: Wie das Fest der Liebe zu Europas größtem Umsatzereignis wurde

Wie Weihnachten zum größten Kommerzspektakel wurde: Milliardenumsätze sprechen Bände über Konsumverhalten und Traditionen.

„Früher war mehr ­Lametta“: In „Weihnachten bei ­Hoppenstedts“ zeigt Loriot, wie schnell am Festtag das Chaos ausbrechen kann. Hier regiert noch die Ruhe. (Foto: Screenshot/ndr.de)

von Gideon Böss

Ich möchte nicht oberflächlich wirken, aber da ich hier schon meine Autobiografie vorlege, sollte auch ein wenig Eitelkeit erlaubt sein. 120 Milliarden Euro! Allein in Deutschland! Das ist der Umsatz, der mit mir gemacht wird. Mit einem Fest, das einst von allen ignoriert wurde. Ostern wiederum bringt es auf einen Umsatz von 2,2 Milliarden. Ein Achtungserfolg. Ist aber nicht mal zwei Prozent dessen, was rund um mich ausgegeben und erwirtschaftet wird. Ich habe mir mal einige Daten herausgesucht:  

Bei der Zahl der Geschenke sind die Deutschen nicht geizig. Ein Viertel verschenkt sechs bis zehn Stück und immerhin 16 Prozent kommen auf mehr als zehn. Nicht verschweigen will ich aber auch das eine Viertel, das auf maximal drei kommt. 

Die Ausgaben für Geschenke sind deutlich gestiegen. Wurden im Jahr 2011 noch 340 Euro ausgegeben, waren es 2022 schon 520 Euro. Beide Geschlechter wollen am liebsten Gutscheine (während Gutscheine rätselhafterweise auch die Liste der unbeliebtesten Geschenke anführen), Männer danach Geld und Frauen Kosmetik, bevor sie auf Platz 3 ebenfalls Geld wollen, die Männer Textilien und Schuhe.

Während Frauen auf Platz 6 Bücher nennen, kommen diese bei Männern gar nicht vor, dafür sagen aber 16 Prozent von ihnen, dass sie nichts geschenkt bekommen wollen. Ein Wunsch, der bei den Frauen wiederum nicht auftaucht.

Jeder Fünfte kauft außerdem erst in den letzten zwei Wochen vor Weihnachten ein, wobei fast ebenso viele ihre Geschenke schon vor dem November zusammen haben. Und jetzt folgt eine Info, die mich ebenso fasziniert, wie verunsichert hat:

Obwohl die Deutschen erstaunlich eifrige Käufer von Geschenken sind, geben satte 64 Prozent an, dass sie das Kaufen von Geschenken „hassen“. Dieser Umstand wird nicht dadurch weniger irritierend, dass es 88 Prozent „lieben“, beschenkt zu werden. Da macht das Wort Hassliebe wohl wirklich mal Sinn.

Erst die Familie, dann das Essen

Am meisten (57 Prozent) freuen sich die Deutschen an Weihnachten übrigens auf die Familie, dicht gefolgt vom Weihnachtsessen, wobei das eigentlich kaum von der Familie zu trennen ist. Wenn gestritten wird, dann vor allem mit dem Partner oder den Eltern (36 bzw. 35 Prozent) und vermutlich beim gemeinsamen Essen, das in den meisten Fällen aus Würstchen mit Kartoffelsalat besteht und Keksen als Knabberei. Lebkuchen kommt nur auf Platz 2 und hat ohnehin eine dramatische Talfahrt erlebt, da 1995 noch 116.000 Tonnen davon produziert wurden, aber im Jahr 2021 nur noch 85.000. Ein Rückgang von über 25 Prozent. Beim Lebkuchen! An Weihnachten! 

Mit dem guten Kartoffelsalat im Bauch wird in deutschen Haushalten dann am liebsten „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, „Kevin allein zu Haus“ oder „Der kleine Lord“ geschaut, wobei der erfolgreichste Weihnachtsfilm aller Zeiten aber „Der Grinch“ ist, der über 500 Millionen Dollar eingespielt hat. Musikalisch macht man mit Mariah Carey nichts (oder alles?) verkehrt, deren „All I Want For Christmas Is You“ auf Spotify mehr als eine Milliarde Mal gestreamt wurde. Gefolgt von „Last Christmas“ mit immerhin auch fast 800 ­Millionen. 

Der deutsche Weihnachtsbaum

Kommen wir zum deutschesten Teil der Weihnacht: dem Baum. Jede dritte Familie besorgt ihn erst unmittelbar vor dem Heiligen Abend und jede dritte (die gleichen?) wirft ihn erst zu Heilige Drei Könige auf die Straße. Wobei sich im Land, das den Weihnachtsbaum erfunden hat, nur noch die Hälfte der Menschen einen ins Wohnzimmer stellt. Das ist alarmierend! 

Wenden wir uns darum schnell den besinnlichen 50 Prozent mit Baum zu. Für sie ist klar: Wenn schon Weihnachtsbaum, dann muss es eine Nordmanntanne sein. Eine stabile Mehrheit von 75 Prozent sieht das so. Für die Tannen, die übrigens oft aus Dänemark kommen, werden je Meter zwischen zehn Euro (Rotfichte) bis 30 Euro (Nordmanntanne) ausgegeben. Damit kann der Baum billiger ausfallen als der Adventskalender, der für fast die Hälfte aller Käufer bis zu 30 Euro kosten darf und für 67 Prozent Schokolade enthalten muss. 

Nun kommt für mich eine echte Überraschung: Obwohl Coca-Cola mit Santa Claus den Weihnachtsmann praktisch unter Vertrag stehen hat und ihn mit diversen Weihnachts-Lkws durchs Land touren lässt, ist die koffeinhaltige Brausefa­brik nur für 12,5 Prozent der Befragten eine Marke, die sie besonders mit Weihnachten verbinden. Damit kommt sie zwar trotzdem auf Platz 2, aber weit abgeschlagen von der Nummer 1, bei der es sich um den Schokoladenhersteller Lindt mit 40 Prozent handelt. 

Es würde noch viele weitere Zahlen und Statistiken geben, die zeigen, dass kein anderes Fest auch nur annähernd an meine Zahlen herankommt, was den Umsatz und den Konsum angeht. Und das ist auch schon der ganze Grund, warum viele Kritiker in mir den personifizierten Konsumterror sehen wollen. Ich muss da entschieden widersprechen. Es ist kein Unrecht, an Weihnachten Freude zu teilen, und das geht auch über Geschenke. Der angebliche Konsumterror zu Weihnachten ist in Wahrheit doch etwas zutiefst Berührendes. Immerhin ist dieses Fest einer der wenigen Momente im Laufe des Jahres, an dem die Menschen wirklich zusammenkommen. Vielleicht sogar der einzige.  

Und dass sie sich dafür Geschenke kaufen und sich damit Gedanken über ihr Gegenüber machen (okay, bei Gutscheinen vielleicht keine zu tief gehenden Gedanken), ist ein hohes Gut. Außerdem muss ich die Kritiker enttäuschen, die denken, das sei eine moderne Erscheinung. Nein, ist sie nicht. In Wahrheit ist nichts so alt wie die Kritik daran, wie Weihnachten richtig gefeiert wird. Seit es die moderne Geschenktradition gibt und seit Weihnachten als Familienfest gesehen wird – also seit dem 19. Jahrhundert –, ist neben Baum und Weihnachtsmann eben auch die Konsumkritik Teil des Festes. Seit Mitte jenes Jahrhunderts wurde in den Medien kritisiert, dass das Fest immer materieller und kommerzieller werde und so seinen eigentlichen Sinn verlieren würde – wobei ja schon die Heiligen Drei Könige Geschenke mitgebracht hatten, womit diese Tradition womöglich besser begründbar ist, als ihre Kritiker glauben. Aber das nur am Rande.  

Die gute alte Zeit ist jetzt

Da solche Klagen immer auch die „gute alte Weihnachtszeit“ beschwören, will ich dazu in meiner bescheidenen Rolle als Weihnachtsfest etwas mitteilen: Die gute alte Zeit für Weihnachten ist gerade jetzt! Ich fühle mich so wohl wie noch nie.

Wer mich religiös feiern will: nur zu. Wer mich als Familienfest feiern will: immer gern. Wer mich ganz anders oder gar nicht feiern will: Ich akzeptiere alles (aber überlegt es euch doch noch mal)! Ich will aber auch niemandem sein „Früher-war-mehr-Lametta“-Gemecker verbieten, aber gleichzeitig ändert das nichts daran, dass heute genau das richtige Maß an Lametta ist.

Weihnachten wird als globales Familienfest ebenso gefeiert wie als tief religiöses Ereignis. Genau das zeichnet mich aus und darum freue ich mich jedes Jahr aufs Neue auf, ähm, mich selbst. Und damit verabschiedet sich an dieser Stelle mit einem freundlichen Hohohoho: Ihr Weihnachtsfest. 

Gekürzt aus:

Weihnachten – Ein Fest packt aus, Patmos Verlag 

Autor Gideon Böss wurde 1983 in Mannheim geboren und lebt heute in Berlin. Er ist Sachbuch- und Romanautor. Die Idee zu »Weihnachten, ein Fest packt aus« kam ihm, als er sich im Hochsommer unerwartet in einem ganzjährig geöffneten Weihnachtsladen in Rüdesheim am Rhein wiederfand.

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