Welche Chancen erwarten den Mittelstand in Ruanda?
Mit großem Medienaufgebot hat Volkswagen im Frühsommer sein Werk in Ruanda eröffnet. Gibt es vor Ort auch lohnende Geschäftsmöglichkeiten für den Mittelstand? Politisch ist Ruanda investorenfreundlich, geographisch allerdings benachteiligt.
An Ruanda scheiden sich die Geister. Während Volkswirtschaftler das stabile Wirtschaftswachstum und ein sicheres Rechtsumfeld loben, monieren Exporteure den kleinen Binnenmarkt sowie die starke Abhängigkeit von den Nachbarländern mit Seehäfen. „Ein Selbstläufer ist Ruanda sicherlich nicht“, sagt Christian Lindfeld, Afrika-Experte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. „Aber die wirtschaftliche Entwicklung ist so dynamisch, dass an vielen Ecken Geschäftsmöglichkeiten für diejenigen Unternehmen entstehen, die sich nachhaltig darauf einlassen.“
Unbestritten ist der Wille des ostafrikanischen Landes, sich als attraktives Ziel für ausländische Unternehmen zu etablieren. Denn nur mit deren Unterstützung kann das Land unabhängig von Entwicklungsgeldern werden. Zwischen 30 und 40 Prozent des ruandischen Budgets stammen derzeit von den Entwicklungshilfe-Ministerien anderer Länder. Größte Geber sind die USA und Deutschland. Aus dieser Abhängigkeit herauszukommen ist Hauptziel Ruandas.
Starkes Wachstum, niedrige Korruption
Auf dem Papier können sich die wirtschaftlichen Bedingungen Ruandas sehen lassen. Das Wirtschaftswachstum liegt seit 2001 bei jährlich 8 Prozent, und die Korruption ist eine der niedrigsten in ganz Afrika. Zudem baut die Regierung eine bürokratische Hürde nach der anderen ab, um ausländischen Investoren den Weg zu bahnen. Im „Doing Business“-Ranking der Weltbank liegt das Land mittlerweile auf Platz 41 von 190.
Zugeschrieben wird das positive Momentum dem ruandischen Präsidenten Paul Kagame. Er war als Rebellenführer an der Beendigung des Völkermords 1994 beteiligt. Etwa eine Million Menschen kamen damals beim Völkermord der Hutu-Mehrheit an der Tutsi-Minderheit ums Leben, darunter ein großer Teil der politischen Elite. Das Wirtschaftsleben wurde vollständig zerstört. Nun, 24 Jahre später, ist es wiedererwacht.
Verlässliche Investitionsbedingungen
Gesellschaftspolitisch ist die Lage nicht so rosig. Noch immer lebt ein Drittel der Bevölkerung in Armut. Zudem nimmt Kagame es mit der Demokratie nicht sehr genau. Mit harter Hand führt er sein Land, die Presse ist gleichgeschaltet, und die Opposition hat wenig Freiheiten. „In der ruandischen Politik geht es sehr hierarchisch zu, alles orientiert sich am Präsidenten“, berichtet Chris Wegner, Ostafrika-Koordinator der AHK Kenia mit Sitz in Nairobi und dort Ansprechpartner für den ruandischen Markt. Das ist weder demokratisch noch nachhaltig – auch Präsident Kagame dürfte nicht ewig an der Macht bleiben. Für den Moment jedoch schafft es verlässliche Investitionsbedingungen.
Auf diese setzt unter anderem Volkswagen, der als erster deutscher Konzern den Schritt nach Ruanda gewagt hat. Im Frühsommer eröffnete der Autobauer ein Werk in der ruandischen Hauptstadt Kigali. Dort wollen die Wolfsburger nun jährlich 5.000 Fahrzeuge für den lokalen Markt montieren, die Bauteile werden aus Südafrika importiert. Langfristig erwäge man auch eine Teileproduktion vor Ort, betont ein VW-Sprecher auf Anfrage, dadurch könnten sich Geschäftsmöglichkeiten für Zulieferer aus Deutschland ergeben. Bis es so weit ist, kann es aber noch dauern.
Wenige internationale Unternehmen vor Ort
Andere europäische Konzerne, als deren Zulieferer deutsche Mittelständler nach Ruanda expandieren könnten, gibt es wenige. „Die meisten haben ihre Ostafrika-Niederlassungen in Kenia, ansonsten sind Nigeria und Südafrika wichtige Standorte“, berichtet Wegner. Mittelständler, die den ruandischen Markt für lohnenswert halten, müssten sich also Absatzchancen bei lokalen Kunden erschließen.
Das freilich sei einfacher als oft gedacht, sagt Lindfeld von KMPG, der bereits einige Mittelständler beim Markteintritt in Ruanda unterstützt hat. „Wir beobachten ein reges Interesse der lokalen Wirtschaft an deutschen Unternehmen in nahezu allen afrikanischen Ländern. Die Bereitschaft, deutsche Unternehmen kennenzulernen, ist sehr groß.“ Gerade der Mittelstand hätte in Afrika einen hervorragenden Ruf.
Binnenmarkt „Afrika“
Die Afrikanische Union bastelt derzeit an einer panafrikanischen Freihandelszone zwischen allen 55 afrikanischen Staaten. Ziel ist freier Handel auf dem gesamten Kontinent. Deutsche Unternehmen, die in Ruanda produzieren, erhielten damit Zugang auch zu anderen aussichtsreichen Absatzmärkten. Experten erwarten einen Abschluss des Freihandelsabkommens innerhalb der nächsten zwei Jahre.
Delegationsreise zum Netzwerkaufbau nutzen
Unternehmer sollten gut vorbereitet nach Ruanda reisen, um konkrete Geschäftsmöglichkeiten zu entwickeln und Kundennetzwerke zu knüpfen. „Aus dem stillen Kämmerlein zu Hause geht das nicht“, warnt Lindfeld. Einmal im Jahr führt beispielsweise die AHK Kenia deutsche Mittelständler zu Delegationsreisen nach Ruanda. Zudem pflegt das Wirtschaftsministerium Rheinland-Pfalz enge Beziehungen mit Ruanda und lädt in unregelmäßigen Abständen Unternehmen ein, den Markt kennenzulernen.
Wenn sich ein ausländisches Unternehmen einmal entschieden habe, den Schritt nach Ruanda zu wagen, könne es ganz schnell gehen. „Innerhalb von 24 Stunden kann man ein Unternehmen vor Ort gründen und innerhalb von drei Tagen Arbeitsvisa für Mitarbeiter erhalten, die dort arbeiten sollen“, lobt Wegner von der AHK Kenia.
Das ist im afrikanischen Vergleich beachtlich, denn nicht nur Südafrika hat die Visumsbedingungen für ausländische Mitarbeiter zuletzt verschärft. Ansprechpartner für Firmengründungen ist das Rwanda Development Board, das für die Erteilung aller Genehmigungen als One-Stop-Shop fungiert.
Transport zu Seehäfen aufwendig und teuer
Den hürdenlosen Investitionsbedingungen entgegen steht unter anderem die geographische Lage Ruandas. Denn ohne Meereszugang ist das Land immer auf seine Nachbarländer angewiesen. Der Transport über Land ist zeitaufwendig und teuer, da das Straßennetz schlecht ausgebaut und die Bahnstrecken veraltet und marode sind. Auch die Stromversorgung – Voraussetzung für die weitere industrielle Entwicklung – schwanke noch oft, berichten Experten.
Diese Einschränkungen zu beseitigen eröffnet aber auch Chancen für deutsche Unternehmen, findet Lindfeld. „Ruanda investiert sichtbar und nachhaltig in die eigene Infrastruktur, und die Projektausschreibungen sind in den allermeisten Fällen offen für ausländische Firmen. Manche sind ohne ausländische Mithilfe gar nicht realisierbar.“
Bislang bauen – wie überall in Afrika – chinesische Investoren und Unternehmen die meisten Straßen, Schienenverbindungen, Flughäfen und Energienetze. Sie abzulösen oder herauszudrängen dürfte eine Herausforderung sein. Unmöglich aber ist es nicht.
Landwirtschaft automatisieren und modernisieren
Modernisiert werden soll auch die Landwirtschaft, der Hauptdevisenbringer Ruandas. Unter anderem exportiert Ruanda Kaffee und Tee in alle Welt. Die meisten Bauern produzieren noch unter einfachsten Bedingungen. Dass das ökonomisch nicht effizient ist, hat die Regierung verstanden und fördert den Einsatz von moderner Landtechnik.
Eifrig investiert wird auch in die Ausbildung der jungen Generation. Gut 60 Prozent der Ruander sind jünger als 25, und Präsident Kagame erwartet von ihnen innovative Geschäftsideen und ertragreiche Unternehmensgründungen. Ausbildungsprogramme laufen teils in Kooperation mit deutschen Partnern, unter anderem „Moving Rwanda“, finanziert durch das Bundeswirtschafts- und das Bundesentwicklungsministerium sowie die KfW. Laut VW-Sprecher waren die gut qualifizierten Fachkräfte vor Ort ein Entscheidungskriterium für Ruanda.
Wichtig sei, ein Engagement in Ruanda nicht nur kurzfristig auf schnelle Profite auszurichten, rät Lindfeld, sondern eine langfristige Strategie zu verfolgen. „Da Mittelständler meist in Generationen statt in Quartalsberichten planen, sind sie das aber ohnehin gewohnt.“
Der Artikel gehört zu einem Thema aus der „Markt und Mittelstand“-Ausgabe September 2018, die am 7. September erscheint. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.