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Zukunftsmärkte > Versicherung gegen Hochwasser?

Wer "Am Sturzbach" wohnt, schaut in die Röhre

Die deutschen Versicherer haben ein Horrorjahr hinter sich. Das Hochwasser und seine Folgen hat auch sie viel Geld gekostet. Dabei stehen die Konzerne vor einem Dilemma: Sie versichern Kohlekraftwerke, deren Emissionen dazu beitragen, den Klimawandel zu beschleunigen. Frank Walthes, Chef einer der größten deutschen Versicherungskonzerne, der Bayerischen Versicherungskammer, beschreibt, wie er damit umgeht.

Frank Walthes
Frank Walthes, Chef der bayerischen Versicherungskammer.

Herr Walthes, was fällt Ihnen zum Thema Nachhaltigkeit ein?

Der königlich-bayerische Brandinspektor.

Aha. Wieso?

Er verkörpert das, was Hanseaten, den "ehrbaren Kaufmann" nennen. Er sucht den Ausgleich zwischen seinem Geschäftsmodell und dem seines Kunden. Es gibt ihn seit dem vorletzten Jahrhundert in jeder Region in Bayern und der Pfalz. Er war für die Gebäude- und Schadenschätzungen zuständig und hat die Entschädigungsleistungen ausgezahlt. Diese Expertise, in der Risikoeinschätzung von Gebäuden, zeichnet uns als größten Wohngebäudeversicherer in Bayern auch heute aus. Ich finde, das ist echte Nachhaltigkeit. Das ist ein Gen, das wir in der Haltung und Einstellung bei vielen unserer Mitarbeiter und MitarbeiterInnen im Innen- und Außendienst erkennen können.

Und ich dachte, wir reden über Klimafreundlichkeit.

Nachhaltigkeit hat drei Faktoren: einen sozialen, einen ökologischen und einen ökonomischen. Wir sind, auf der ökologischen Seite, heute schon sehr weit. Wir arbeiten an unserem Dienstsitz in München-Giesing in einem nachhaltig errichteten und zertifizierten Gebäude. Wir verzichten inzwischen, wo es geht, auf Dienstreisen. Für Kundenbesuche – und beratungen, bei denen mehrere Spezialisten nötig sind, schalten sich diese digital dazu. Wir reduzieren Pendlerströme, indem wir – auch nach der Pandemie - unseren Mitarbeitenden in großem Stil Mobilarbeit ermöglichen. Im sozialen Bereich unterstützen wir u.a. Rettungs- und Hilfsorganisationen - ganz nach dem Motto: Wir helfen Helfern.

Kommen wir zum ökonomischen Aspekt. Was heißt es für sie als Versicherer, nachhaltig zu investieren?

Dass wir sehr nachhaltig mit dem Geld unserer Kunden umgehen. Wir legen es sicher an. Als öffentlich-rechtlicher Versicherer haben wir einen Auftrag und der heißt, unter anderem, dass wir Projekte, die von öffentlichem Interesse sind, die der Daseinsvorsorge dienen, unterstützen. Daraus ergibt sich ein bunter Blumenstrauß von Investitionsprojekten: Nahrungsmittelproduktion wie fleischverarbeitende Industrien, Stadtwerke, die Strom aus Wasserstoffen, Kohle und Gas gewinnen, gehören genauso dazu wie Investitionen in regenerative Energien, in Biodiversität oder in energetische Sanierungen.

Das gefällt Klimaschützern aber nicht so sehr.

Unsere Kunden wollen, dass wir mit rentablen Investitionen den ökologischen Umbau unterstützen. Das wissen wir aus unseren Kundenbefragungen. Das löst Diskussionen aus, gesellschaftliche Diskussionen, die wir aber begrüßen und an denen wir uns gerne beteiligen. Aber wir lassen uns vor keinen Karren spannen. Solange Unternehmen eine behördliche Betriebserlaubnis erhalten, müssen wir auch prüfen dürfen, ob wir diese aus risiko-technischer Sicht versichern können. Am Ende entscheiden nicht wir, wer als Unternehmen am Markt agiert, sondern die Politik. Unsere Aufgabe ist die versicherungstechnische Begleitung.

Würden sie also Kohlekraftwerke versichern?

Deutschland hat, richtigerweise, vor, bis spätestens 2038 aus der Kohle auszusteigen. SPD, Grüne und FDP wollen den Termin nun um acht Jahre vorziehen. Ja, bis dahin begleiten und versichern wir Kunden wie Stromversorger mit ihren Kohlekraftwerken in der Transformationsphase, um so die Versorgungssicherheit unseres Landes zu gewährleisten. Ich meine, wir brauchen in Deutschland mehrere Energiequellen, um den Bedarf zu decken. Das sichert unsere politische Unabhängigkeit.

Jetzt geraten wir aber tief in die Politik. Es gibt nicht viele CEOs, die sich wie Sie zu solchen Themen öffentlich äußern.

Aber das müssen wir! Ein Unternehmer muss sich gesellschaftspolitischen Fragen und Herausforderungen stellen. Es geht um den rational-ökonomischen Sachverstand, den wir in dieser Diskussion beitragen können.

Also gut. Was halten sie vom Koalitionsvertrag?


Mir fehlt der Begriff der Eigenverantwortung. Es klingt mir alles zu sehr nach Kollektivierung. Und der Staat kann eben nicht immer alles besser. Nehmen Sie die Rente. Der Staat bildet keine Rückstellungen für die Pensionslasten seiner Beamten, sondern vertraut darauf, dass die gerade Arbeitenden die Pensionen der Ruheständler über das Steueraufkommen tragen. Nicht anders verhält es sich bei der umlagefinanzierten Rentenversicherung. Eine marktwirtschaftliche Lösung sieht anders aus. Daran ändert auch der nun diskutierte kleine Anteil an Aktienanlagen im Rahmen der Rentenversicherung nichts. Private Wirtschaftsunternehmen finanzieren ihre Pensionslasten nach den entsprechenden handels- und bilanzrechtlichen Vorschriften und bilden entsprechende Rückstellungen.

Deswegen kommt ja jetzt die Aktienrente.

Das ist schön und gut. Aber wenn sie diese sicher auszahlen wollen, müssen sie in den letzten Jahren aus Aktien raus und in andere Anlageformen. Sie verzichten auf Rendite zu Gunsten von Sicherheit. In einer Nullzinsphase ist das extrem schwierig. Risikovorsorge und Sicherheit  kosten einfach Geld, und das wollen viele nicht wahrhaben.

Bei Corona hat die Eigenverantwortung nicht funktioniert. Als die Politik keine Vorgaben machte, stieg die Zahl der Infizierten rasant.

Die Politik hatte auf eine gewisse Normalität gesetzt, und wir alle damit auch. Jetzt sehen wir, dass wir mit unserer Einschätzung falsch lagen.  Die Impfpflicht hätte früher kommen müssen. Sie sollten als Nation keinen Krieg ohne Wehrpflicht führen und den Kampf gegen Corona gewinnen sie nicht ohne Impfpflicht.

Wie halten Sie’s im eigenen Betrieb?

Wir praktizieren die 3G-Regelung. Die Dienstausweise unserer geimpften oder genesenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind entsprechend codiert, alle anderen haben nur Zutritt mit einem aktuellen Test. Wir raten allen zu größter Vorsicht und möchten eigentlich dass alle, deren Tätigkeit das erlaubt, von zu Hause aus arbeiten. Wir haben ja auch Krankenhäuser als Kunden und sehen, was da passiert. Die Gefährdung aller durch die Nichtgeimpften ist viel zu hoch. Dieses Vorgehen trägt die Belegschaft nicht nur mit, sondern honoriert es auch mit viel positivem Zuspruch.

Gastwirte in Bayern und anderswo haben in der Pandemie schmerzlich erfahren, dass ihre Betriebsschließungsversicherungen nicht gegriffen haben. Passiert das jetzt in der nächsten Corona-Welle wieder?


Wir hatten in der ersten Welle zusammen mit anderen Versicherern und dem Bayerischen Wirtschaftsministerium den bayerischen Kompromiss gefunden: 30 Prozent der nicht erstatteten Kosten bei Corona bedingten Betriebsschließungen teilen sich Kunde und Versicherer. Aber klar ist: Wenn Betriebe aufgrund einer allgemeinen Verfügung schließen müssen, tritt keine Versicherung ein. Es lassen sich immer nur individuelle Schäden versichern. Erfolgt die Betriebsschließung aufgrund eines Virus-Befalls im Betrieb, dann greift natürlich der Versicherungsschutz. Eine Pandemie, die das gesamte Kollektiv zeitgleich betrifft, ist dagegen nicht versicherbar. Das ist vergleichbar mit inneren Unruhen oder dem Kriegsfall. Das können Sie auch nicht versichern.

Ist Hochwasser versicherbar?


Natürlich.

Auch wenn es immer häufiger vorkommt?

Auch dann ist es versicherbar. Nach der schlimmen Flutkatastrophe in diesem Jahr ist aber spätestens klar, dass das nicht nur ein Thema der Versicherer ist, sondern alle Beteiligten gefordert sind. Das beginnt mit den Baugenehmigungen, die idealerweise nicht für Adressen erteilt werden sollten, die bereits "Am Sturzbach" lauten. Wir brauchen eine höhere Versicherungsdichte, aber eben auch entsprechende Bebauungspläne, entsprechenden Hochwasserschutz oder die Überprüfung von Kanälen und Abflusssystemen. Erforderlich ist ein stringentes Gesamtkonstrukt, das auch eingehalten wird.  Ich verstehe nicht, wieso Menschen ihre Autos für verhältnismäßig viel Geld gegen alle Schäden absichern, aber nicht ihre Immobilie, deren Absicherung im Schnitt deutlich günstiger ist, die aber die gesamte Existenz zerstören kann, wenn sie stark beschädigt oder gar weggespült ist.

Womit wir wieder beim Thema Nachhaltigkeit sind.

Ja. Das ist eine unternehmerische und eine gesellschaftliche Aufgabe. Wir wollen dafür sorgen, dass sich nachfolgende Generationen frei entfalten können. Wie der königlich-bayerische Brandinspektor uns das notwendige Stück Sicherheit vermittelt.

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