Neue Ära der Robotik: Industrieroboter lernen sehen und handeln
Wie Micropsi Industries aus Berlin mit Künstlicher Intelligenz die autonome Steuerung in der Industrierobotik revolutioniert und die Produktion in der Industrie 4.0 optimiert.
Der Gründer
Ronnie Vuine ist Gründer und Chief Product Officer (CPO) von Micropsi Industries. Bis Dezember 2023 war er CEO des Unternehmens, übergab aber an Gary Jackson.
Vuine bringt Erfahrung aus der IND Group und von Txtr mit. Von 1999 bis 2006 studierte er Philosophie und Informatik an der Humboldt-Universität zu Berlin.
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Industrieroboter sind schnelle und effiziente Kollegen, gerade in der Fertigung, aber auf sehr präzise Programme und absolut standardisierte Arbeitsumgebungen angewiesen. Micropsi Industries aus Berlin lässt Roboter mittels künstlicher Intelligenz (KI) lernen. Eine menschliche Fachkraft führt dem Roboter buchstäblich den Arm und das Werkzeug. Der schaut dabei per Kamera zu. Die KI erhält zusätzlich zu den Bewegungsdaten auch visuelle Informationen und lernt so, selbstständig eine Bewegung für ihre Aufgabe zu entwickeln und diese dann autonom auszuführen.
Wie kommt jemand auf solch eine Idee? Mitgründer Ronnie Vuine erklärt die Anfänge, das Konzept und wie die Industrie auf die Technologie reagiert.
Vor sieben Jahren war es die Blockchain, ohne die man kein Risikokapital bekommen hat, heute ist es KI. Sie arbeiten damit, Ihr Team kam aber schon Jahre, bevor das Thema für die Wirtschaft „sexy“ wurde, zusammen.
Wir sind eigentlich gar keine Robotiker, wir sind KI-Leute, daher kennen wir uns. Der Nukleus des Teams ist tatsächlich eine Arbeitsgruppe an der Berliner Humboldt-Universität in den frühen Zweitausendern beim Dozenten Joscha Bach, der eine Art Lesekreis etablierte. Offiziell sollten wir am RoboCup arbeiten, dem Fußballturnier für Roboter. Wir haben uns aber für KI interessiert und schnell festgestellt, dass man zum Fußballspielen eigentlich keine braucht. Wir haben viel Psychologie und Philosophie gelesen zu Fragen wie: Was ist Denken? Was ist Intelligenz? Warum ändern sich ganze Ökosysteme, sobald eine Intelligenz auftaucht?
Und als Informatiker weiß man: Erst wenn ich ein System selbst gebaut habe, habe ich es wirklich verstanden. Das ging so bis etwa 2006, als sich Bach mit seinem Professor auf eine freundliche Art etwas überworfen hat.
Was vermutlich daran lag, dass Ihnen allen der RoboCup wirklich egal war?
Das war aus Sicht der Uni eine Fehlallokation von menschlichen Ressourcen – nämlich ziemlich begabten Studenten. Er ist dann nach Osnabrück gewechselt, um dort seine Promotion zu beenden. Ein paar seiner Studenten dort sind auch die ersten Angestellten der Firma, die wir dann gemeinsam gründeten, um als Team, das sich mag, weiter zusammenarbeiten zu können. Wir wussten, KI können wir nach dem Studium in der Wirtschaft nicht machen, denn die Stimmung in Deutschland in den 2000ern war: KI ist eine gescheiterte Fantasie, man lässt besser die Finger von sowas Unseriösem. Stattdessen haben wir uns mit Txtr an einem E-Book-Reader versucht, das führte aber nirgendwo hin.
Warum sind Sie gescheitert?
Weil niemand ein Lesegerät kaufen wollte, das teurer und schlechter war als das von Amazon. Ich habe die Firma 2012 verlassen und anderthalb Jahre Unternehmensberatung für Banken gemacht, bis ich 2014 das Gefühl hatte, jetzt ist der Moment für die Firma gekommen, die wir immer machen wollten. Ich habe alle aus dem alten Team angerufen und gesagt: „Wollen wir es jetzt probieren mit der KI-Firma?“ Noch ohne zu wissen, was überhaupt eine sinnvolle Anwendung wäre, gewannen wir die ersten Münchener Business Angels.
Völlig ohne Produktidee?
Das waren reine Investments ins Team. Ich bin zu Christian Reitberger gegangen und der Pitch war: „Wir machen Dinge in der KI, die macht sonst absolut niemand.“ Christian kannte sich in der damals noch sehr kleinen KI-Forschungsszene aus und kannte die Namen der Spinner, die sich hierzulande für Artificial General Intelligence interessierten. Joscha, der auch die AGI-Konferenzen mitorganisierte, war einer davon. Mit uns hatte Christian ein Team gefunden, das sowohl unternehmerisch schon relativ erfahren war nach Txtr und auch zu dieser etwas schillernden KI-Forschungswelt gehörte. Er dachte dann wohl: OK, aus euch kann man was machen, ich lege mal ein bisschen Geld hin.
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Bis zur Anwendung war noch ein weiter Weg.
Wir haben mit ganz wenig Kapital gemeinsam mit unseren Angels gesucht: Welche in Deutschland starken Industrien könnten Anwendungen für unsere Ideen haben? Uns interessierten weniger Systeme, die im Labor Dinge lernen – und dann verkaufen wir das Gelernte. Wir wollten Systeme bauen, die wir in die Welt hinausschicken können und dann lernen die ihre Fähigkeiten da. Also haben wir uns zunächst mit Großindustrieanlagensteuerung befasst und zum Beispiel den Energieverbrauch einer MDF-Fabrik optimiert oder uns die Möglichkeiten angeschaut, bei Windparks steuernd einzugreifen. Schnell war aber klar, dass das keine Geschäftsmodelle sind, mit denen man so skalieren kann, wie es für eine VC-finanzierte Firma nötig ist. Das Einzige, wo sehr klar war, dass wir es skalieren können, war Industrierobotik, die sichere, kollaborative Kleinrobotik. Und von da könnte man dann wachsen.
Also nicht die Maschinen, die ganze Autos durch die Gegend tragen, denen man nicht näher als drei Meter kommen darf, weil sie einen aus Versehen zerquetschen?
Im Grunde ist das die Abgrenzung zur klassischen Industrierobotik mit riesigen, stumpfen und kraftvollen Maschinen. Die beeindrucken in ihrer unmenschlichen Kombination aus enormer Kraft, brutaler Geschwindigkeit und höchster Präzision. Damals kamen dann aber mit Rethink aus Boston und Universal Robots aus Dänemark Anbieter einer neuen Sorte Roboter auf den Markt: viel kleiner, viel leichter, viel langsamer. Das sind erst einmal Nachteile. Aber es gibt einen Vorteil: Man kann sich als Mensch daneben stellen und ist im Allgemeinen nicht in Gefahr. Sofern man dem Roboter kein Messer gibt, kann er einen nicht umbringen. Das war für uns spannend, weil viel Innovation möglich wurde und weil wir uns so ein Gerät auch einfach kaufen und experimentell loslegen konnten. Hieraus entstand in Zusammenarbeit mit großen deutschen Unternehmen dann unser Produkt.
Haben die Ihnen in dem Stadium den roten Teppich ausgerollt?
Audi war wichtig, obwohl das heute lustigerweise noch gar kein Kunde ist. Axel Springer hat uns bei denen vorgestellt, die hatten als Digitalvorreiter die Rolle übernommen, Unternehmensvorstände durch Berlin zu schleppen und denen junge Unternehmen zu zeigen, die „irgendwas mit digital“ können. So konnte ich mich mit den Produktinnovationsleuten von Audi unterhalten und habe die um eine Werksbegehung in Ingolstadt gebeten.
Und?
Und da habe ich dann auf Arbeitsschritte gezeigt und gefragt: Wieso macht das ein hoch bezahlter Bayer und kein billiger Roboter? Die Antwort war immer: Das ist zu kompliziert. So kann ein Roboter ein Kabel nicht einstecken, der kann es nicht mal richtig greifen, wenn es nicht exakt da liegt, wo er es erwartet. Und das ist bei allen Automobilherstellern so. Nachdem die Roboter die Karosserie gebaut haben, braucht man hoch bezahlte Facharbeiter, um Plastikteile und Elektrik einzubauen.
Sie fanden endlich Ihren Business Case.
Wir haben uns 2017 festgelegt, dieses Robotikprodukt zu machen und hatten dann mit drei Jahren eine recht lange Entwicklungszeit. Die KI war dann Ende 2019 weitgehend verstanden, wir hatten ein Produkt, das in der Industriefertigung prinzipiell einsetzbar war. Dann schlug die Pandemie zu und wir haben das Produkt tatsächlich per Post verschicken und am Telefon erklären müssen. Als die Pandemie dann auslief, hatten wir immerhin viel Erfahrung, wie wir das Produkt verkaufen können.
Wer sind Ihre Kunden?
Wir sind bei vielen Automobilherstellern schon mit kleinen Stückzahlen in der Fertigung oder in einer Vorbereitungsphase. Eine Marke kennt in Deutschland jeder: Bosch-Siemens Hausgeräte testet mit unserer Technik seit drei Jahren Kühlschränke.
Wieso fertigt dann noch keiner der Kunden aus der Autoindustrie flächendeckend mit Ihrer KI?
Sind die Konzerne zu schwerfällig für Innovation?
Gar nicht! Das hat keine kulturellen, sondern handfeste ökonomische Gründe. Wir gehen in den Kern der Wertschöpfung der Kunden hinein, unser Produkt schraubt man ja nicht an eine laufende Produktion und optimiert dann x Prozent Kosten weg. Sondern es steuert den Roboter, der den Kühlschrank oder das Auto baut. Wenn der stehen bleibt, ruht die Produktion. Das ist bei Autos schlimmer als bei Kühlschränken, denn bei deren Fertigung gibt es noch Lagerkapazitäten als Puffer. Die Automobilindustrie ist hingegen eine Perlenkette an Einzelkomponenten, die in Echtzeit durch die Produktionshalle fließen müssen. Kunden mit bis zu etwa einer Milliarde Umsatz können immer etwas mutiger sein, aber die ganz Großen produzieren oft so stark optimiert, dass neue Produktionstechnik manchmal jahrelang validiert werden muss.
Also ist Innovationsfeindlichkeit kein Problem der Autoindustrie?
Die sind keineswegs innovationsfeindlich, die wären nur einfach irre, wenn sie sagen: Toll, Innovation! Mache ich sofort. Selbst wenn sie völlig überzeugt sind – und unsere Kunden bei Tesla und Mercedes sind völlig überzeugt – kaufen die erst einmal zwei Systeme und prüfen die. Und wenn sie in diesem Jahr solide waren, bekommen wir 15 Hausaufgaben, die wir bitte erledigen sollen. Dann validieren sie noch ein Jahr mit fünf zusätzlichen Systemen. Und dann können wir über die großen, skalierenden Anwendungen reden.
Zwei Systeme werden nicht die Welt kosten und also – zunächst – keine großen Umsätze bringen?
Ein Unternehmen wie unseres lebt, wenn es die Basistechnologie hat, in einer Ochsentour. Man wird von seinen Kunden erzogen und muss die Demut aufbringen, das mit sich geschehen zu lassen. Da gewinnen beide Seiten. Das führt schon zu solidem Wachstum, besonders in den USA. Wobei das vergangene Jahr gerade in Deutschland etwas schlechter lief. Das waren Sondereffekte der aktuellen Konjunktur. Wenn man zwei Jahre lang Miele in Gütersloh bearbeitet, damit die ihre Produktion modernisieren und dann kurz vor Abschluss entschieden wird, in Deutschland nicht mehr zu produzieren, ist das natürlich frustrierend.
Also setzen Sie jetzt verstärkt auf die USA?
Wir haben Niederlassungen in San Francisco und Boston und einen amerikanischen CEO. Und wir setzen dort schon mehr um als in Deutschland.
Ronnie Vuine, herzlichen Dank für all die interessanten Ausführungen. Das Gespräch führte David Harnasch
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