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Wie Trumpf das Geschäft mit Quantentechnologie forciert

Der Mittelständler will sich mit Innovationen in der Quantentechnologie zukunftsfest machen. Eine Ausgründung von Trumpf arbeitet an einem eigenen Mikrochip. Ein Blick hinter die Kulissen.

Was köchelt denn da? Im Labor von Festo ermittelt ein Quantensensor die Zusammensetzung der Biomasse. Quelle: Trumpf Group

Die Flüssigkeit ist milchig trüb. Schläuche ragen aus dem Laborglas, und daneben baut ein Laptop verschiedene Diagramme auf. „Da sind Partikel dabei, die sind viel zu groß“, stellt Maria Tratzmiller fest. „Der Kunde hat das schon vermutet.“ Die trübe Brühe ist ein Schleifmittel, das durch einen Filter gereinigt werden soll. „Das geschieht aber nur unzureichend“, urteilt die Cheftesterin bei Qant, einer Ausgründung des Maschinenbauers Trumpf. Ihre Analyse gelingt mit einem Quantensensor. „Damit können wir mit einer Messung beispielsweise in einer Flüssigkeit Bestandteile nach Anzahl, Größe, Ausrichtung, Geschwindigkeit und durch künstliche Intelligenz sogar nach Form bestimmen“, erklärt Michael Förtsch, der Chef des Start-ups. Letztlich lassen sich damit künftig Prozesse feiner steuern.

 

Entwickelt haben die Stuttgarter den vielseitigen Fühler zusammen mit dem Sensorspezialisten Sick aus Baden-Württemberg. Damit können auch Partikel in Pulver oder Gasen so umfangreich untersucht werden, wie es sonst nur mit einer ganzen Kette von Sensoren annähernd möglich wäre. Der Automatisierungsspezialist Festo aus Esslingen am Neckar setzt den Sensor bereits zur Steuerung von Bioreaktoren ein.

Spezialsensoren für Prothesen

Aus Biomasse will der Mittelständler kompostierbare Materialien entwickeln. Sie sollen beispielsweise in Pharmazeutika, Verpackungen oder Kosmetik verwendet werden. Basis der Biomasse sind Algen, deren Zustand, Anzahl und Entwicklung mit dem Quantensensor gezielt beeinflusst werden können. „Wir messen die Happiness der Algen und sorgen so für den optimalen Zustand im Reaktor“, erklärt Förtsch lachend. Das verhindere eine zu geringe oder zu große Vermehrung.
Bei Qant arbeitet man auch an Sensoren, die in der Lage sind, kleinste Nervenimpulse zu erkennen. Die Idee: diese Impulse mit neuen Prothesen zu verbinden, die dann präzise das umsetzen, was an Befehlen vom Gehirn ausgeht. Hier arbeitet Qant bereits mit einem Prothesenhersteller zusammen und holt sich Anregungen wie Wünsche von Patienten. „Das ist ein Thema, das mich persönlich sehr bewegt“, gesteht Förtsch. Prinzipiell erfüllen bereits alle Komponenten die Erwartungen. Nun geht es darum, den Sensor in die Prothese zu integrieren – und dann: testen, testen, testen. „In ein, zwei Jahren“ soll der Sensor die Marktreife erreicht haben.
„Wir denken vom Problem her“, erklärt Förtsch den grundsätzlichen Ansatz seines Unternehmens, das sich der Entwicklung und Anwendung der Quantentechnologie verschrieben hat. Dabei stand das Wissen von Trumpf Pate. Der Maschinenbauer ist mit der industriellen Anwendung von Lasertechnik zum Weltmarktführer aufgestiegen. Man hat viel Erfahrung mit den Möglichkeiten, die Licht als Werkzeug bietet. In der Quantenphysik werden kleinste Teilchen so beeinflusst, dass sie eine bisher nie erreichte Menge von Informationen transportieren können. Doch während die meisten Entwickler Elektronen bei minus 272 Grad beeinflussen, arbeitet man bei Qant mit Photonen – winzig kleinen Lichtpäckchen – bei Raumtemperatur. Das ist die Voraussetzung für eine spätere industrielle Anwendung.
„Wir wandeln Strom in Licht und dann wieder in Strom“, versucht sich Förtsch an einer einfachen Erklärung. Im Ergebnis können so wesentlich mehr Daten gemessen und übermittelt werden. In zwei bis drei Jahren will das junge Unternehmen auch einen Mikrochip entwickelt haben, der auf der Basis von lichtgesteuerter Quantentechnologie arbeiten soll.
Damit dringt die Ausgründung des schwäbischen Maschinenbauers zu Technologien vor, die die Rechner und somit viele Innovationen von morgen prägen werden. Sogenannten Quantencomputern wird zugetraut, dass sie wesentlich mehr Daten verarbeiten können als herkömmliche Maschinen. Sie wären zum Beispiel in der Lage, den gesamten Schienenverkehr abzubilden, Verspätungen zu erfassen und den Fahrplan Dutzender Züge in Sekundenbruchteilen anzupassen. Für gestresste Bahn-Kunden besteht also doch noch Hoffnung.
Trumpf-Technikchef Peter Leibinger geht davon aus, dass diese Technologie bald neue Standards setzen wird. Der Maschinenbauer will deshalb von Anfang an vorne mitmischen und investiert 100 Millionen Euro in diesen Bereich. Wie bei Qant denkt man auch bei Trumpf im benachbarten Ditzingen vom Problem her. Wie kann eine quantenbasierte Software beispielsweise Bleche so optimal schneiden, dass kaum noch Ausschuss übrig bleibt? Die Antwort würde wieder einen Wettbewerbsvorteil für Trumpf bedeuten. „So wie wir mit unseren Lasern heute unverzichtbar für die Halbleiterfertigung als Komponentenlieferant sind, so wird es auch im Quantencomputing essenzielle Komponenten ‚Made in Germany‘ geben.“ „Quantenphysik wird unser Denken verändern“. Das sind Sätze, die man von Leibinger immer wieder hört.
Milliardenmarkt lockt
Die 60 „Qanties“, wie sie sich selbst nennen, wollen also mit kleinsten Teilchen Großes bewegen. Dabei setzen sie auf einen Markt, der schon bis Ende der Dekade ein Volumen von 2,3 Milliarden Euro erreichen soll. Sie konkurrieren dabei mit den Großkonzernen der Welt, die ganz andere Möglichkeiten bei der Finanzierung haben. So wollen die USA in den kommenden Jahren 20 Milliarden Dollar in die Entwicklung der Quantentechnologie stecken. Die Bundesregierung hat zwei Milliarden Euro freigegeben. Davon fließen 50 Millionen zu Qant und dessen Entwicklungspartner. Die Chancen sind immens: McKinsey geht allein für den Bereich Quantensensorik von einem Wachstum des Marktes in den kommenden zehn Jahren auf bis zu sieben Milliarden Dollar aus. Auch andere schwäbische Mittelständler wie Sick und Festo entwickeln Produkte in diesem Bereich – oft in Kooperationen.

Mit ihrem ungewöhnlichen Raumtemperatur-Ansatz hat sich Qant nach eigener Aussage einen zeitlichen Vorsprung erarbeitet. Den taxiert Firmenchef Förtsch auf „drei bis vier Jahre“ vor allem in der Sensorik. Dabei will man schnell wachsen. Bis Mitte 2023 sollen es schon mehr als 100 „Qanties“ sein. „Die herkömmlichen Rechner werden durch Quantencomputer allerdings nicht verdrängt“, schränkt Förtsch ein. Für simple Rechenaufgaben sei die neue Technologie beispielsweise nicht geeignet. Es gehe auch nicht zwingend um mehr Geschwindigkeit. „Doch wir können damit Fragen angehen, die man mit herkömmlichen Rechnern nicht lösen kann“, hebt Förtsch hervor. Darum schwebt ihm ein Chip vor, der die herkömmlichen Rechner um eine zusätzliche Eigenschaft erweitert. Eines Tages soll es Computer mit „Qant inside“ geben.
Seiner Ansicht nach müssen sich selbst die Entwickler in mittelständischen Betrieben schon jetzt mit den neuen Möglichkeiten beschäftigen und überlegen, wie man die neuen Chips in ihre Maschinen integriert. Nur so gelinge es den Unternehmen, ihren Innovationsvorsprung zu halten. „Wer sich mit Quantencomputer erst beschäftigt, wenn sie auf dem Markt sind, hat zehn Jahre Entwicklung aufzuholen“, warnt Förtsch. <<
 

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