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Wie wahrscheinlich ist ein Blackout?

Die Angst vor dem totalen, langanhaltenden Stromausfall wächst. Schon malen die großen Versicherungskonzerne vorsorglich ein düsteres Bild von dem, was dann geschehen wird. Tatsächlich ist die Stromversorgung in den vergangenen Jahren stabiler geworden.

Totaler Stromausfall
Ein totaler Stromausfall ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

Wenn Allianz, Ergo, HDI und Co, die sich zum mächtigen Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zusammengeschlossen haben, warnend die Hand heben und öffentlich über die Folgen eines Blackouts diskutieren, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Tatsache, dass ausgerechnet der GDV das Szenario eines langanhaltenden Stromausfalls ausführlich in einem Beitrag auf seiner Homepage beschreibt, lässt schlimmes ahnen. Oder aber: Auch bei dem Verband hat sich eine gewisse Versicherungsvertreter-Mentalität ausgebreitet, die das genussvolle Schildern von Katastrophen als verkaufsfördernde Maßnahme schätzt.

 

Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften

Das Thema jedenfalls sorgt regelmäßig für hohe Quoten bei allen, die sich gerne gruseln, seit vor mehr als zehn Jahren das WBüro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag“ eine aufsehenerregende Studie veröffentlichte. Ihr Titel: "Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung.“ Der Inhalt alarmierte. Da war zum Beispiel zu lesen: WEin langandauernder Stromausfall wird die Bevölkerung in Unsicherheit und Angst versetzen sowie Gefährdungen von Leib und Leben mit sich bringen.“ Die Erfahrung seit Erscheinen der Studie 2011sieht dagegen so aus: Passiert ist nicht wirklich etwas. Obwohl Deutschland Kohlekraftwerke abschaltet, eigenen Atomstrom verbietet, Gas und Ölkraftwerke verteufelt, hat es bislang keinen langanhaltenden überregionalen Stromausfall gegeben.

Das heißt allerdings nicht, das nichts passiert ist oder nichts passieren wird. Und genau da setzt der GDV an und schildert beispielsweise das, was im Februar 2019 unter einer Brücke im Berliner Stadtteil Treptow-Köpenick geschehen war. Dort hatten Bauarbeiter zwei 110-Kilovolt-Leitungen mit je drei armdicken Kabeln durchbohrt. Es folgte eine Kettenreaktion: In mehr als 30 000 Haushalten fiel der Strom aus – mitten im Winter. Ampeln gingen aus, Straßenbahnen blieben stehen, kein Handyempfang mehr, kein Internet. Schulen und Kitas schickten die Kinder nach Hause in langsam auskühlende Wohnungen. Denn ohne Strom liefen auch zwei lokale Heizkraftwerke nicht mehr. Aufzüge blieben stecken, in Pflegeheimen versagten Beatmungs- und Dialysegeräte. "Ein Blackout gehört aktuell zu den größten Risiken für unser Land“, zitiert der GDV Wolfram Geier, den Abteilungsleiter für Risikomanagement und Internationale Angelegenheiten im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).


Jeder Stromausfall sei ein Wettlauf gegen die Zeit. Bei einem Krankenhaus war in Berlin 2019 das Notstromaggregat kaputt, Helfer der Feuerwehr organisierten ein neues. Patienten und Pflegebedürftige verlegten sie in nicht betroffene Stadtbezirke. Über das Deutsche Herzzentrum kontaktierten sie alle Einwohner mit künstlichem Herz – bei leerem Akku wären sie in akuter Lebensgefahr gewesen. Berlin bestand den Stresstest. Nach rund 30 Stunden waren die Leitungen repariert, der Ausnahmezustand beendet.
Doch die Versicherer legen nach: Schon die ersten 24 Stunden ohne Strom bringen das Leben, wie wir es kennen, zum Stillstand, heißt es in dem Bericht. Telefon und Internet fielen aus, U- und S-Bahnen bewegten sich nicht mehr, Flugzeuge blieben am Boden. Kein Bargeld mehr aus dem Automaten. In den Supermärkten liefen die Registrierkassen noch etwa 30 Minuten mit Notstrom, danach sagten sie keinen Piep mehr. "Ein großes Tiefkühlregal hält zwischen zwei und zehn Stunden durch, wenn wir die Kälte mit Rollos, die wir sonst nur nachts herunterlassen, speichern können“, lässt sich Björn Fromm, Präsident des Handelsverbands Berlin-Brandenburg zitieren. Danach beginne das Fleisch zu gammeln, die Pizza wird pappig, die Eiscreme flüssig. Nach 24 Stunden beginnt der Zusammenbruch des öffentlichen Lebens. "Leider sind wir in Deutschland auf die Folgen eines flächendeckenden Stromausfalls nicht ausreichend vorbereitet“, sagte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen.

 

Alles Panikmache oder reale Gefahr?

Es gibt eine Reihe von Risiken, die einen Zusammenbruch des Stromnetzes hervorrufen können. Hackerangriffe etwa. Oder extreme Wetterereignisse wie im vergangenen Jahr im Ahrtal. Das muss nicht in Deutschland passieren, um dennoch hierzulande die Katastrophe auszulösen. Da die Stromnetze eng verknüpft sind, genügt ein Totalausfall in einer Region, um das Netz großflächig ins Wanken zu bringen. Ein Störfall in Mailand kann auch Hamburg treffen. Dazu kommt menschliches Versagen. Um dem Kreuzfahrtschiff "Norwegean Pearl“ eine gefahrlose Überfahrt von der Meyer Werft in Papenburg zur Nordsee zu ermöglichen, wurde 2006 eine vermeintlich unkritische Stromleitung an der Ems vorübergehend abgeschaltet. Normalerweise ist das Routine, nur dass die Verantwortlichen in diesem Fall versäumt hatten, den Netzbetreiber vorab zu informieren. Stromausfälle von bis zu zwei Stunden in verschiedenen Teilen Europas waren die Folge, berichtet wiederum der GDV. Dazu kommt die Energiewende, die zu einer hohen Abhängigkeit von regenerativen Energien führt, die den Nachteil haben auch mal einfach nicht zu liefern. "Dunkelflaute“ lautet hier das Stichwort, das sich Experten zuraunen. Gleichzeitig steigt der Stromverbrauch etwas durch die Elektromobilität.


Bislang hat aber keines dieser Risiken einen Blackout hervorgerufen. Im Gegenteil, die Bundesnetzagentur rechnet jährlich die Minuten aus, die jeder Deutsche durchschnittlich ohne Strom verbringen musste. Die Zahl sinkt seit Jahren. 2019 waren es noch mehr als zwölf Minuten, 2020 bereits nur noch genau 10,73. Der Grund ist, dass vor allem die Kraftwerksbetreiber nach Kräften der Gefahr vorbeugen. Sie spielen regelmäßig den sogenannten "Lastabwurf“ durch. Dabei werden bestimmte Großverbraucher automatisch nicht mehr beliefert, wenn kritische Werte im Netz erreicht sind. Den drohenden kompletten Zusammenbruch können sie so vermeiden. Im sogenannten laufend aktualisierten "Gridcode“ stimmen die Energieversorger ihre Vorgehensweise dabei ab.


Kathrin Stolzenburg vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn, befasst sich seit Jahren mit der Ausfallsicherheit von Stromnetzen. Das deutsche zähle zu den sichersten der Welt, betonte sie bereits im Jahr 2017 und wurde bislang durch die Ereignisse bestätigt. "Die Wahrscheinlichkeit, dass der Strom in Deutschland ausfällt und dass es zu einem langanhaltenden und großflächigen Stromausfall kommt, die ist sehr, sehr gering“, zitiert sie der Deutschlandfunk. "Das heißt aber nicht, dass sie bei Null liegt.“
Immerhin: Im Rahmen einer Sicherheitsforschungsinitiative hat das Bundesforschungsministerium zahlreiche Projekte gefördert, um Schwachstellen in der Stromversorgung zu beseitigen. Die Projekte tragen Decknamen, wie im Spionagethriller: "TankNotStrom“ zum Beispiel beschäftigte sich mit der Frage, wie die Energie- und Kraftstoffversorgung von Tankstellen und Notstromaggregaten bei einem langfristigen Stromausfall sichergestellt werden kann. Im Projekt AlphaKomm ging es um eine ausfallsichere Kommunikationsplattform.


Der GDV hängt an seine Darstellung noch einen Werbeblocker und macht damit deutlich, dass er bewusst drastische Schilderungen in seinem jüngsten Beitrag zum Blackout wählte: Manche Folgen eines Stromausfalls ließen sich mithilfe einer Versicherung auffangen. Versicherbar seien vor allem Sachschäden wie verdorbene Ware oder die Folgen von Wassereinbrüchen oder Bränden. "Weitergehende Schäden, wie Image- oder Kundenverlust sind in der Regel nicht versicherbar“, warnen die Versicherer. Ähnliches gelte für den Zusammenbruch von Lieferketten. Allerdings betreiben die Versicherer Erwartungsmanagement: Wenn zu viel kaputt geht, stoße das Versicherungsprinzip – alle zahlen für wenige Betroffenen - an seine Grenzen. Hier könnten öffentlich-private Partnerschaften eine Lösung sein, meint der GDV und ruft damit vorsorglich nach dem Staat.

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