Kettensägen-Klima im Mittelstand
Nikolas Stihl warnt: Hohe Energiekosten, Bürokratie und Fachkräftemangel gefährden den Wirtschaftsstandort Deutschland. Neue Investitionen werden vorerst ins Ausland verlagert.
Wie so oft begann der Weg des Unternehmens aber mit ganz anderen Produkten: Als der Maschinenbauer Andreas Stihl 1926 in Cannstadt bei Stuttgart sein A. Stihl Ingenieurbüro gründete, produzierte er zunächst Waschmaschinen und Dampfkessel-Vorfeueranlagen – das waren sozusagen „Turbolader“ für Dampfmaschinen.
Die Waschmaschinen (die „Freundin der Hausfrau“, die den „Waschtag zum Freudentag“ macht, so die erfolgreiche Werbung) retten das Unternehmen in den frühen 1930er-Jahren. Stets war es vorn dabei. Es investierte in die Entwicklung erster Sägemaschinen, stellte 1929 die erste „Baumfällmaschine“ vor – 46 Kilo schwer, getrieben von einem sechs PS starken Benzinmotor und zu bedienen von zwei Männern.
Schon zwei Jahre später waren die Geräte in Russland, Amerika und Kanada in Betrieb. Die Erfolgsgeschichte endete zunächst mit der Zerstörung des Werks während des Zweiten Weltkriegs.
Aus der Krise zum Erfolg: Die Geschichte von Stihl und die Herausforderungen am Standort Deutschland
Der Wiederaufstieg in Waiblingen, nordöstlich Stuttgarts hakte erst. Schon 1950 wurde die erste Kettensäge vorgestellt, die von einer einzelnen Person bedient werden konnte. Doch das Geschäft lief schlecht, nur ein Vergleichsverfahren konnte die Firma retten. 1959 dann der Durchbruch: Die „Contra“, in den USA vertrieben als „Lightning“, macht Andreas Stihl endgültig zum „Vater der Motorsäge“. Ab den 1970er-Jahren expandiert die Fertigung mit neuen Werken in den USA, Brasilien, der Schweiz und Österreich. In Waiblingen wird bis heute produziert.
Um so heftiger wiegt die Einschätzung des Enkels des Gründers, der 2012 von seinem Vater Hans Peter Stihl den Vorsitz übernommen hat und der sich weiterhin dem Standort Deutschland verpflichtet fühlt: „Die Schweiz ist für uns momentan günstiger als eine Investition in Deutschland“, sagte Nikolas Stihl in einem Interview mit der FAZ.
Ein Satz wie Donnerhall, angesichts der Lohnkosten im reichen Nachbarland. Die Gründe sind schnell aufgezählt: steuerliche Belastung, Lohnnebenkosten, Energiepreisen, Genehmigungsprozesse und die Kosten je Arbeitsstunde. Die Folge: Ein geplantes Stihl-Werk in Ludwigsburg wird nun – zumindest vorerst – nicht errichtet werden.
Stihl: Keine Investitionen in Deutschland – Bürokratie und Kosten belasten Mittelstand
Wer mit mehr als 20.000 Mitarbeitern in 160 Ländern tätig ist, kann den Weltmarkt nicht ignorieren. „In den nächsten fünf Jahren werden wir nicht in Deutschland investieren“, stellt Stihl gegenüber dem Handelsblatt klar.
Die Analyse fällt düster aus. Es sind nicht nur der inzwischen notorische Fachkräftemangel und die absehbar dauerhaft hohen Energiekosten, die dem Mittelstand das Leben in Deutschland schwer machen. Das Bürokratieentlastungsgesetz sieht Stihl als richtigen Schritt, aber eben nur als Tropfen auf den heißen Stein. Denn es wird vom Bürokratiemonster Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und der Nachhaltigkeitsberichterstattung CSRD überkompensiert.
Hier sieht Stihl Potenzial: „Man könnte sogar sehr viel Geld sparen, weil den Auflagen, denen die Unternehmen mit hohem Personalaufwand nachkommen müssen, Bedienstete im öffentlichen Dienst gegenüberstehen. Diese Beschäftigten würden zur Kontrolle nicht mehr benötigt und könnten dann teilweise den Fachkräftemangel beheben und so sinnvolleren Tätigkeiten nachgehen.“
Nikolas Stihl
Nicht begeistert: Unternehmer Nikolas Stihl sieht den Wirtschaftsstandort Deutschland in Gefahr – unter anderem wegen hoher Steuern, Energiepreisen und langen Genehmigungsprozessen. (Foto: Stihl)
Drohende Wirtschaftskrise
Gewerkschaftlichen Forderungen nach einer 32-Stunde-Woche erteilt er eine klare Absage. Sie würde heute zu einer Wirtschaftskrise führen. Schon in der Einführung der 35-Stunden-Woche in den 80er-Jahren sieht er eine der Ursachen für die wirtschaftliche Misere und die Arbeitslosigkeit der 90er, die erst durch Gerhard Schröders (SPD, Kanzler 1998 bis 2005) mutige Agenda 2010 beendet werden konnten. „Der gedankliche Zusammenhang zwischen Produktivität und Gewerkschaftsforderungen ist schon vor einiger Zeit verloren gegangen. Bisher sind die Entwicklungen mehr oder weniger spurlos auch am Arbeitsmarkt vorbeigegangen. Der Staatshaushalt ist zwar unter Druck, aber das merkt der Einzelne bisher noch nicht so sehr. Solange die Folgen nicht deutlich spürbar sind, ist es vielleicht verständlich, dass man da etwas sorgloser in die Zukunft schaut.“
Made in Germany Made by Vielfalt: Unternehmer warnen vor sozialen und politischen Herausforderungen"
Martin Herrenknecht vom gleichnamigen Tunnelbaumaschinenproduzenten sekundiert: „Die Ampel zerstört den Mythos von ,Made in Germany.‘“ Auch er sorgt sich um den Stammsitz in Deutschland, den er gerne halten möchte, investiert aber folgerichtig im Wachstumsmarkt Indien. Seine Fachkräfte rekrutiert Herrenknecht inzwischen auch in Argentinien, Spanien, Marokko, Lettland und Litauen, weil in Deutschland keine zu finden sind.
Wie Herrenknecht sieht auch Stihl den Sozialstaat in akuter Schieflage und kritisiert unter anderem das Rentenpaket 2 von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit den Zusatzkosten von 30 bis 40 Milliarden Euro, die nicht aus dem Umlagesystem selbst, sondern aus dem Bundeshaushalt finanziert werden müssen. „Mich wundert, dass die junge Generation nicht deutlicher fragt, wo die Generationengerechtigkeit bleibt.“
Sorge bereitet dem Motorsägen-Unternehmer der Aufstieg der AfD. „Teile der AfD sind gesichert rechtsextremistisch. Die Partei ist völkisch und aus wirtschaftspolitischer Sicht schädlich. Würden die AfD-Forderungen umgesetzt, dann würde es Deutschland erheblich schaden. Wir können als Unternehmer nur hoffen, dass die AfD in keinem wesentlichen Entscheidungsgremium der Bundesrepublik maßgeblichen Einfluss gewinnt. Ich spreche keine Wahlempfehlung aus, glaube aber, es ist die Aufgabe von Unternehmern, sich entsprechend laut und öffentlich zu äußern. Auch wenn das sicherlich nicht bei jedem gut ankommt, aber das gehört letztendlich mit dazu.“
Folgerichtig ist Stihl Mitglied der Initiative „Made in Germany Made by Vielfalt“, in der sich schon 2019 über 40 Familienunternehmen organisiert haben, unter anderem Vorwerk, Fischer, Boehringer Ingelheim, Kienbaum und Rossmann, und die unmittelbar vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland im Herbst eine zweite Informationsoffensive gestartet hat. Grundgedanke der Initiative: Es hat einen Grund, dass es „Made in Germany“ und nicht „Made by Germans“ heißt.
Stihl revolutioniert die Kettensäge-Branche: Millionen-Investition in Elektrosägen und US-Produktion
Der nächste große Schritt für Stihl ist die Integration der Wertschöpfungskette bei den immer beliebter werdenden Elektrosägen. Schon Stihls Großvater setzte wegen technischer Schwierigkeiten mit Zulieferern darauf, alle wesentlichen Teile selbst zu produzieren, bei den Produkten mit Verbrennungsmotoren gilt das bis heute. Die Nachfrage nach den einfacher und komfortabler bedienbaren Elektrogeräten wächst stetig, auch weil sie in der Gesamtbilanz günstiger zu betreiben sind als die stärkeren Benziner, deren Treibstoff ebenfalls in die Betriebskosten eingerechnet werden muss.
Ein weiterer Vorteil ist die Emissionsfreiheit – weniger, weil Kettensägen nennenswerte CO2-Probleme verursachen, sondern weil der Arbeiter sich naturgemäß nahe am Gerät befindet. Bis 2035 sollen in den entwickelten Märkten 80 Prozent der Sägen mit Akku verkauft werden. Auch diese sollen mittelfristig komplett im eigenen Haus gefertigt werden. Eine Elektromotorenfertigung in Waiblingen soll im nächsten Jahr starten. Und um die Produktion von Elektrogeräten auszubauen, kündigte Stihl im Juni eine Investition von 60 Millionen Dollar an – allerdings aus guten Gründen in den USA.