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Einkauf, Marketing und Marken > Innovationskraft und Flexibilität: Wie die Amann Gruppe den Markt für Nähfäden dominiert

Wo Erfolg an vielen Fäden hängt

Die Amann Gruppe produziert seit 1854 hochwertige Nähgarne und behauptet sich erfolgreich gegen internationale Konkurrenz. Mit modernen Lagern und schnellen Lieferzeiten versorgt Amann renommierte Kunden.

Wolfgang Findeis, Arved Westerkamp, Peter Morgalla und Ivo Herzog
Die Geschäftsführung der Amann & Söhne GmbH & Co. KG: Wolfgang Findeis, Arved Westerkamp, Peter Morgalla und Ivo Herzog (von links nach rechts). Bildquelle: Amann Group

Siihht, siihht, siihht – der Lagerroboter rast von Ebene zu Ebene in dem Hochregallager das die Dimensionen einen Mehrgeschossigen Wohnblocks hat. In 75.000 Kartons sind Nähfäden aller Sorten untergebracht, die insgesamt 850 Tonnen auf die Waage bringen. Hier im schwäbischen Bönnigheim verbirgt sich ein Teil des Geheimnisses der Amann Gruppe. In Geburtsort des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss fertigt das Familienunternehmen schon seit 1854 Nähgarne und behauptet sich erfolgreich gegen die weltweite Konkurrenz. Zu Amann kommen alle, die hochwertige Nähte verarbeiten müssen. Dazu gehören beispielsweise Zulieferer aus der Autoindustrie die Sitze, Sicherheitsgute, Airbags oder Lederinterieur fertigen, aber auch Möbelhersteller, Produzenten von technischen Textilien und vor allem Edelmarken wie Boss, Gucci oder Hermés achten darauf, dass der Standard von Amann verarbeitet wird.

Wer in diesen Bereichen mithalten will muss flexibel sein: Amann beliefert jeden Kunden binnen 48 Stunden. Zu jeder Bestellung finden sich im hochautomatisierten Lager in Bönnigheim oder an den anderen Standorten in Tschechien, Rumänien, Vietnam, China, Indien oder Bangladesch die Garne in der genau richtigen Farbe und Qualität. Geliefert wird überwiegend für die jeweilige Region. Das ist besonders in der schnell drehenden Textilindustrie entscheidend. „Wenn eine große Marke neue Modelle bestellt, wird eine Lieferung binnen zehn Tagen erwartet“, erklärt Arved Westerkamp Vertriebschef bei Amann. Neben Kleider, Anzüge oder Casuals liefert der schwäbische Mittelständler auch die Garne für Taschen, Schuhe und Accessoires – unterschiedliche Materialien aber alles muss für die neue Kollektion in Ton und Aussehen passen. Inzwischen werden die Muster nicht mehr eingeflogen, sondern digitalisiert übertragen. „Das spart auch wieder zwei Tage Zeit“, verdeutlicht Westerkamp den Druck in der Branche.

Flexibilität ist Trumpf

Flexibilität ist Trumpf für die 2500 Beschäftigten von Amann, die 2023 einen Umsatz von 230 Millionen Euro erwirtschaftet haben. Denn bei Produktion einer neuen Kollektion denken Edelmarke und deren Auftragsfertiger zu allerletzt an den Lieferanten der Nähgarne. Der muss zur Stelle stehen, wenn er gerufen wird. Für Amann bedeutet das, dass das Unternehmen alle möglichen Produkte immer am Lager vorrätig haben muss. „Wir sind eng im Kontakt mit den Marken und ihren Herstellern und versuchen die neuesten Trends zu ermitteln“, beschreibt Westerkamp das Vorgehen. Zudem versucht das Unternehmen so, neue Aufträge zu sichern. „Dieses Geschäft baut auf intensive Kommunikation“, betont Westerkamp.

Der Kontakt zu den verschiedenen Branchen reicht aber für ein Unternehmen nicht, das hunderte von verschiedenen Garnvarianten auf Vorrat produziert. In den wichtigen Absatzländern beobachten deshalb Spezialisten vor Ort den Markt, um Konjunktureinflüsse oder besondere Ereignisse früh zu erkennen. Da können beispielsweise Trends über die sozialen Medien eine Marke in einem bestimmten Land hochpuschen oder über Nacht ins Abseits verbannen. Selbst Nobelmarken unterlaufen Werbepannen. Und schon schlägt dies auch auf die Nachfrage bei Amann durch. In der Autoindustrie führen Nachfrageschwankungen dazu, dass die Konzerne bei ihren Zulieferern weniger abrufen als ursprünglich bestellt. Solch ein Trend ist ebenfalls nur durch intensive Marktbeobachtung erkennbar. „All diese Informationen benötigen wir auch, um Schwerpunkte setzen zu können. Bei der Vielfalt der Branche kann man sich sonst schnell verzetteln“, erläutert Westerkamp.

Bloß kein Maschinenstillstand

Textilproduktion erfolgt im Hochakkord. Jede Minute setzen die Maschinen bis zu 5000 Stiche. Für die Produzenten ist also entscheidend, dass die Garne nicht nur schnellstmöglich zur Verfügung stehen. Sie dürfen bei der Hochleistungsproduktion auch nicht reißen. Jede Minute Maschinenstillstand könnte die Marge pro Stück gefährden. Amann hat daraus einen weiteren Verkaufsvorteil entwickelt: „Wir kennen die Maschinen oft besser als die Kunden selbst, weil wir im intensiven Austausch mit den Herstellern sind. Unsere Berater-Team optimieren vor Ort die Anlagen, so dass die Produktion möglichst effizient läuft“, erklärt Westerkamp, der gleichzeitig Chef von Südwesttextil ist.

Bei dem schwäbischen Familienunternehmen hängt der Erfolg eben an vielen Fäden. Dazu gehören Innovationen, mit denen sich der Mittelständler immer wieder Marktvorteile verschafft. Schon um 1900 lagen Fäden aus Kunstseide im Regal. Da sind die meisten der heutigen Kunden von Amann noch gar nicht gegründet worden. Seit den 1960er Jahre wird Polyester verarbeitet. Daraus entsteht 1980 mit „Saba“ ein Allzweckzwin, der bis heute als „Alleskönner der Nähfaden“ gilt. Aber auch elastische Fäden, die beispielsweise für Unterwäsche, Sport- und Badebekleidung, sind eine Eigenentwicklung. Bei Amann verrät man nicht, wie hoch der eigene Aufwand für Forschung und Entwicklung ist. Der findet vor allem im 2017 errichteten Innovation Lab statt. ist. Dort wurde 2020 ein Nähfaden zur Serienreife gebracht, der zu 100 Prozent aus recycelten PET-Flachen entsteht. Aktuell entwickelt Amann Fäden, die sich unter bestimmten Bedingungen auflösen und so das Recycling von Textilien wesentlich erleichtert.

Kampf um Fachkräfte

Ob für Marktbeobachtung, Entwicklung, Logistik oder schnelle Produktion: in allen Bereichen benötigt das Familienunternehmen sehr gute Fachleute. Kein leichtes Unterfangen in einer Region, wo Unternehmen wie Porsche, Bosch, Audi oder Mercedes sogar mit Bus und Bahn leicht erreichbar sind. Die locken auch die bestehenden Experten an. Um die Spezialisten besser an sich zu binden, hat der Fadenhersteller zusammen mit den benachbarten Textilunternehmen Olymp Bezner, Hero Textil und Rich & Royal sowie den Hohensteiner Instituten den Fortbildungsverbund „Next Level Textil“ gegründet. Hier werden sogenannte „Young Professionals“ mit Zusatzkursen, Praktika in den anderen Unternehmen und Erfahrungsaustausch mit den Geschäftsleitungen auf ihre nächsten Karriereschritte vorbereitet. „Ich kann das zusätzliche Wissen jeden Tag anwenden“, bestätigt IT-Spezialist Tim Knappich, der das Programm im vergangenen Jahr durchlaufen hat. Aber auch durch Praktika, Ausbildung und verschiedene Fortbildungsprogramme, erschließt sich Amann die nächste Generation an die notwendigen Spezialisten und baut das Wissen in den eigenen Reihen aus. Dabei impft Amann dem Nachwuchs das Credo der Firma ein: Flexibilität ist Trumpf.

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