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Wohnmobilhersteller tricksen beim Gewicht

Fahrzeuge über 3,5 Tonnen kosten künftig Maut. Grund für die Hersteller von Wohnmobilen bei den Gewichtsangaben zu schummeln. Marktführer Hymer bekam deswegen Besuch vom Staatsanwalt.

Wohnmobil
Der Traum eines jeden Campers: Das eigene Wohnmobil.

Der Frühling winkt – zumindest im Kalender. Doch wohin, wenn die Pandemie noch nicht abgeklungen ist? Viele wählen das Wohnmobil – und nehmen so das eigene Zuhause in die Ferien mit. Die Versuchung ist groß, noch dies und das einzupacken. Das kann allerdings schnell gefährlich und teuer werden. Vor allem in Österreich sind die Regeln streng. Stellt die Polizei mehr als zwei Prozent Übergewicht fest, bekommt der Wohnmobillist die rote Karte – die Reise ist vorbei und eine saftige Strafe kommt obendrauf. Es kann aber noch schlimmer kommen: Im Falle eines Unfalls ermittelt auch die Versicherung, ob das von der Police umfasste Gesamtgewicht überschritten wurde. Ist dies der Fall, verweigert die Assekuranz den Schutz.


Das Problem: Die Hersteller schummeln beim Gewicht. Das wird mal mit halb vollen tank gemessen oder unterschlagen, dass Wohnmobile gerne von mehrköpfigen Familien benutzt werden, die mit ihrem Gepäck einiges auf die Waage bringen. Marktführer Hymer hat deswegen bereits unangemeldeten Besuch von der Staatsanwaltschaft bekommen.


Mobile mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 3,5 Tonnen, die man mit einem Führerschein der Klasse B bewegen darf, fahren schnell am Limit. Ist das Gefährt schwerer, wäre es für die meisten Chauffeure eine Reise ohne gültige Fahrerlaubnis. Dann bedarf es der Klasse C oder C1, mit der Mobile bis 7,5 Tonnen erlaubt sind. Für die gelten allerdings dann LKW-Verkehrszeichen und maximal 100 Stundenkilometer sind bindend. „Mit einem schwereren Mobil hat man erheblich höhere Mehrkosten“, erklärt der Schwetzinger Anwalt Manfred Zipper, der sich auf diese Thematik spezialisiert hat. Dazu zählen beispielsweise, Versicherung, Mautgebühren oder Kosten für Fähren. Somit bewegen sich viele Wohnmobilisten lieber im Rahmen der 3,5-Tonnen-Grenze. Für sie aber sind Angaben zur möglichen Zuladung ein besonders wichtiger Punkt bei der Kaufentscheidung.


Entsprechend tricksen die Hersteller. Sie geben die „Masse im fahrbereiten Zustand“ an. Die beinhaltet lediglich die Serienausstattung, einen 75 Kilogramm schweren Fahrer, Kraftstoff, Wasser und Gas. Wobei allerdings nicht mit vollen Tanks gerechnet wird. Andere verringern künstlich den Inhalt des Dieseltanks von 90 auf 60 Liter. Oder die Fahrt ist nur mit leerem Wassertank möglich, was besonders ärgerlich ist, wenn man unterwegs nicht auf einem Campingplatz übernachten will – dem eigentlichen Sinn eines Wohnmobils. Die Hersteller räumen sich zudem eine Toleranzmarge von fünf Prozent ein, weil angeblich die verarbeiteten Rohstoffe wie beispielsweise Holz nie genau gleich schwer seien. Bei drei Tonnen „fahrbereiter Masse“ wären das auch schon mal 150 Kilogramm. Die Experten der Fachzeitschrift Promobil halten diese Klausel für unzulässig, da das meiste Gewicht auf das Chassis entfällt und auch im Auf- und Ausbau nur noch wenig Holz verarbeitet wird.


Der ADAC rechnet lieber mit zwei Erwachsenen, zwei Kindern und üblichen Gepäck – insgesamt mehr als 450 Kilo -, um sich einen realistischen Überblick zu verschaffen. Schnell eng wird es vor allem bei den beliebten teilintegrierten Modellen. In einem Fall wären zwei Kisten Sprudel schon kritisch geworden. Laut ADAC blieb in einem Fall noch eine Zuladung von 20 Kilo. Ein Modell von Chausson war schon überladen, als die vierköpfige Familie zugestiegen war. Auch in vielen Fällen sind Campingutensilien, Schlauchboot oder Fahrräder schon des Guten zu viel.


In den vergangenen zehn Jahren hat sich nach Angaben des TÜV das Leergewicht der Reisemobile um durchschnittlich 40 Prozent erhöht. Der Grund: Fahrsicherheitsassistenten, Bordelektronik, verstärkte Karosserien und viel technisches Zusatz-Equipment wie großer Kühlschrank, Fernseher, Standheizung oder Klimaanlage drücken aufs Gesamtgewicht. Die Hersteller geraten also immer mehr in ein Dilemma. Branchenführer Hymer, zu dessen Gruppe auch Marken wie Laika, Bürstner oder Dethleffs gehören, bekam Ende Januar sogar Besuch von Polizei und Landeskriminalamt. Die Beamten durchsuchten die Firmenzentrale in Bad Waldsee im schwäbischen Allgäu unter Federführung der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Man ermittle gegen Mitarbeiter der Erwin Hymer Group SE wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung im Zusammenhang mit Gewichtsangaben bei dem Verkauf von Wohnmobilen, bestätigt Staatsanwältin Melanie Rischke. Nähere Auskünfte könne man derzeit nicht erteilen. Sie will auch nicht kommentieren, dass so ein Personalaufgebot nicht gerade wegen eines einfachen Verdachts mobilisiert wird. „Wir arbeiten eng mit den Behörden zusammen“, versichert eine Hymer-Sprecherin. Zu Details könne man sich angesichts des laufenden Verfahrens nicht äußern. Der Hersteller aus Bad Waldsee, der zum amerikanischen Thor-Konzern gehört, hat im vergangenen Geschäftsjahr (30. Juli 2021), einen Umsatz von 2,7 Milliarden Euro erzielt. Das Rekordergebnis liegt 23 Prozent über dem Vorjahreszeitraum.


Bei falschen Angaben haftet der Händler bis 24 Monate nach Übergabe des Wohnmobils. Doch wie soll denn der Verkäufer das Wohnmobil auf Diät setzen und „abspecken“? Kann der „Mangel“ nicht behoben werden, haben die Kunden die Wahl: den Kaufpreis senken (Minderung) oder ganz vom Vertrag zurücktreten, wie das Oberlandesgericht Nürnberg bestätigt. Das Landgericht Heilbronn sah laut Spezialanwalt Zipper in einem übergewichtigen Mobil sogar ein Fall von arglistiger Täuschung. Der Sachverständige bestätigte dem Gericht, dass das ausgelieferte Fahrzeug ein Leergewicht von 3242,70 Kilogramm hatte. Im Fahrzeugschein waren 3095 Kilo angegeben. Für vier Personen und Gepäck wurde mit 330 Kilogramm dabei sogar weniger als der ADAC veranschlagt. Die Latte von 3,5 Tonnen wurde dennoch gerissen.


Überladene Fahrzeuge sind lebensgefährlich für Insassen und Umfeld. Viele unterschätzen die Schubwirkung schwerer Fahrzeuge und wissen nicht, wie sich das auf Verhalten und Bremsleistung auswirkt. So verändert ein mitgeführter Roller entscheidend die Eigenschaften der Hinterachse, was ehebliche Schleudergefahr bedeutet. Deshalb kontrolliert die Polizei vor allem während der Hauptreisezeit die rollenden Wohnzimmer.
Und immer mehr Menschen wollen einen Urlaub mit dem Wohnmobil verbringen. Die Pandemie hat  den Trend beschleunigt: Laut Caravaning Industrie Verband (CIVD) wurden im vergangenen Jahr 81.420 Fahrzeuge neu zugelassen. Das sind noch einmal 4,3 Prozent mehr als im Boom-Jahr 2020. Der Verband erwartet auch für 2022 positive Aussichten für die gesamte Branche. Allein in Deutschland sind mittlerweile rund 1,6 Millionen Campingfahrzeuge zugelassen.


Die Hersteller stecken in der Zwickmühle. Auf der einen Seite erwarten die Kunden immer mehr Komfort und technische Innovationen. Doch schwerer sollen die rollenden Appartements nicht werden, denn sonst dürfen die Kunden damit nicht fahren. Und schon droht die nächste Verschärfung. Mit Batterieantrieb oder einer Brennstoffzelle könnten den Mobilen der nächste Gewichtsschub bevorstehen. „Eine Anhebung der Gewichtsgrenze von 3,5 auf 4,25 Tonnen würde der Elektrifizierung von Reisemobilen einen enormen Schwung verleihen. Emissionsfreie Fahrzeuge sind innerhalb der geltenden Grenzen aufgrund des Mehrgewichts von Batterien kaum zu realisieren.“ warnt Hymer-Chef Martin Brandt.   

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