Panzer statt Passat? Wie der Mittelstand auf den Rüstungsboom reagiert
Milliarden für die Rüstung locken selbst Autozulieferer. Der Mittelstand wittert im Kriegsboom neue Geschäfte. Doch der Einstieg ins Rüstungsgeschäft birgt Risiken.

Von Andreas Kempf
Es geht um gewaltige Summen. Gut eine Billion Euro wollen allein Deutschland und die EU-Kommission in den kommenden Jahren in Rüstung stecken. Viel Geld. Insgesamt gaben die Staaten weltweit im vergangenen Jahr 2,7 Billionen Euro für Panzer und Fregatten, Kampfflugzeuge und Munition aus, wie die Experten des schwedischen Sipri-Instituts berechneten. Die neuen Investitionsversprechen locken nicht nur die klassischen Rüstungsbetriebe wie Rheinmetall, Heckler & Koch, Diehl oder Renk, auch branchenfremde Firmen liebäugeln damit, jetzt große Aufträge einzuwerben.
Seiteneinsteiger, die ohne viel Hintergrundwissen versuchen, im lukrativen Geschäft mitzumischen, sollten sich allerdings mit den Besonderheiten vertraut machen. Sonst riskieren vor allem Mittelständler eine teure Panne. Kenner der Branche wissen: Bis ein konkreter Auftrag vergeben wird, vergeht oft Zeit – viel Zeit. Geschäfte mit Militärs und deren angeschlossenen Behörden erfordern gute Nerven, spezialisierte Juristen und vor allem Vertriebsexperten, die mit den komplexen Vergabeverfahren umgehen, die eigenen Möglichkeiten analysieren und dann letztlich Aufträge holen können.
Da ist auch das Thema Personal. Vor allem Mittelständler werden schnell feststellen, dass der Fachkräftemarkt trotz Rezession sehr angespannt ist. Die Großen der Branche grasen bereits die angeschlagene Autoindustrie ab. So wollen beispielsweise Rheinmetall und Hensoldt Mitarbeiter des Reifen- und Komponentenspezialisten Continental übernehmen. Der Bedarf der Branche ist jedenfalls riesig. Allein Rheinmetall hat die Belegschaft in den vergangenen drei Jahren von 23.000 auf 31.000 ausgebaut. Bei Diehl Defence ist die Zahl der Mitarbeiter im gleichen Zeitraum von 2800 auf 4400 gestiegen.
Doch nicht jeder kann in die Rüstungsindustrie wechseln. Neben fachlichen Anforderungen stehen manchem auch rechtliche Hürden im Wege. Rüstung ist sicherheitsrelevant. Deshalb redet der Staat mit entsprechenden Auflagen mit, wer in der Branche arbeiten darf und wer nicht. Headhunter sind inzwischen schon in den USA unterwegs. Sie hoffen, dass die enormen Kürzungen des US-Präsidenten in der Forschung und im Verteidigungsministerium manchen Experten zum Wechsel nach Europa verleitet.
Panzer statt Autos?
Die Großen der Branche saugen Fachkräfte ab, weil sie ihre Kapazitäten erweitern wollen. So soll Rheinmetall angeblich Werke von VW in Osnabrück oder Dresden übernehmen. Konkurrent KNDS hat bereits in Zwickau ein Waggon-Werk des Zugherstellers Alstom übernommen und will dort Panzer bauen. Eine Schwierigkeit: Die Hallen für den Autobau sind nur bedingt für die schweren Lasten der Panzermontage ausgelegt. Und gerade im europäischen Kontext bieten sich auch außerhalb Deutschlands Standorte an, zumal auch andere EU-Länder vom dicken Verteidigungsetat profitieren wollen.
Doch lohnt der Aufwand, einen neuen Standort aufzubauen? Aus Sicht der derzeit darbenden Autoindustrie sind Aufträge der Militärs lediglich Kleinserien mit entsprechendem Zusatzaufwand. „Wir sind gewohnt, in Millionen Stück zu denken. Da ist die Nachfrage aus dem Verteidigungsbereich eher übersichtlich“, sagt beispielsweise Arnd Franz, Chef des Stuttgarter Autozulieferers Mahle. Mit Aufträgen aus dem Militärbereich werde man die Probleme in der Autoindustrie nicht lösen können.
Doch mitten in der Rezession ist offenbar jeder Deckungsbeitrag willkommen. Deshalb sieht man sich auch bei Mahle die ungewohnte Branche näher an. Die Mischkonzerne Freudenberg und Schäffler zeigen ebenfalls Interesse. „Wir sehen ein wachsendes Geschäft, wenn auch im kleineren Umfang“, sagt Robert Friedmann, Chef von Würth. Das Familienunternehmen beliefert die Rüstungsindustrie schon heute vor allem mit Elektronikteilen. Der Markt sei wegen der vielen Vorgaben allerdings nicht einfach. „Wir hoffen, dass wir durch unseren starken Vertrieb aber von diesem wachsenden Feld profitieren können.“ Bei Würth ist jeder zweite der 88.000 Beschäftigten im Außendienst tätig.
Die Aufträge sind in der Krise so verlockend, dass einige Unternehmen sogar ihre Grundsätze streichen. Viele Jahre hat Bosch aus Prinzip nicht mit der Rüstungsindustrie zusammengearbeitet. Heute sagt Konzernchef Stefan Hartung: „Wir wollen unseren Beitrag leisten und schauen uns die Möglichkeit derzeit genau an.“ Auch der Maschinenbauer Trumpf schaut sich um, obwohl die sehr christlich geprägte Eignerfamilie Leibinger eigentlich mit Waffen nichts zu tun haben will und Geschäfte damit im Gesellschaftsvertrag ausschließt. Doch der Laserspezialist könnte sein umfangreiches Wissen bei der Drohnenabwehr einbringen. Peter Leibinger, Aufsichtsratschef und Trumpf-Miteigentümer, deutete bei einer Rede im Rahmen der Münchener Sicherheitskonferenz eine „Zeitenwende“ im Unternehmen an. „Auch wir in der Wirtschaft müssen unseren nötigen Beitrag zu einer wehrhaften Demokratie neu bewerten und damit den Wert der Verteidigungsfähigkeit und der notwendigen Güter innerlich bejahen“, sagte er.
Rüstung ist zwar komplex, aber dennoch können auf diesem Feld auch kleinere Unternehmen punkten. So hat Hirsch Engineering aus Eichstätt noch vor vier Jahren 95 Prozent des Umsatzes mit der Autoindustrie erwirtschaftet. Inzwischen produziert das Unternehmen Teile für Triebwerke, Turbopumpen und Regelsysteme für die Luft- und Raumfahrtindustrie. Die Hälfte des inzwischen verdoppelten Umsatzes prägen Kunden aus dem Rüstungsbereich. Aber auch Chef Thomas Hirsch warnt: „Man sollte nicht unterschätzen, wie unterschiedlich die Anforderungen in Auto- und Rüstungsindustrie sind.“

Ungeahnte Chancen
Der Bedarf der Militärs bietet aber auch branchenfremden Unternehmen bisher ungeahnte Chancen. So dringt künstliche Intelligenz in der Verteidigung schnell vor. Das ist eine Erkenntnis aus dem Ukraine-Krieg. Dort hat die systematische Auswertung von Kommunikationsdaten, Videos und Satellitenbildern dazu beigetragen, dass die Verteidiger sich trotz begrenzter Mittel bisher gegen die russische Übermacht stemmen konnten. KI wird aber auch bei Cyberangriffen und der Verbreitung gefälschter Nachrichten zunehmend eingesetzt.
Mit Avilus ist in Ismaning bei München sogar ein neues Unternehmen entstanden. Rund 100 Ingenieure haben eine KI-gesteuerte Rettungsdrohne entwickelt, die verletzte Soldaten von der Front abtransportieren soll. Die Anfrage kam von der Bundeswehr. Die Militärs haben am Beispiel Ukraine gesehen, dass Ärzte direkt an der Front schnell umkommen und sind dann nicht zu ersetzen. Siesollten also besser hinter der Front arbeiten. Das Flugobjekt hat eine Spannweite von acht Metern und wird von zwölf Elektromotoren angetrieben. Die Reichweite beträgt rund 60 Kilometer. „So viel brauchen wir in der Praxis nicht. In der Regel reichen 20 bis 30 Kilometer“, erklärt Avilus-Chef Ernst Rittinghaus. Eine KI steuert die Rettungsdrohne autonom. Geflogen wird in nur 30 Metern Höhe, was den Abschuss erschwert. Die Systeme seien mehrfach ausgelegt, sodass auch einzelne Treffer den Flug nicht stoppen könnten, sagt Rittinghaus. Im Extremfall könnte sie aber per Fallschirm immer noch sicher landen.
Die erste Serie soll Anfang 2026 bereitstehen. Langfristig will die Bundeswehr mehr als 200 der selbstfliegenden Rettungsinseln beschaffen. Bei einem Konflikt mit Russland müssten nach Ansicht von Peter Biebertaler jeden Tag 1500 Schwerverletzte geborgen und versorgt werden. Der Leiter der Unfallchirurgie im Münchener „Klinikum Rechts der Isar“ war als medizinischer Berater an der Entwicklung der Drohne von Avilus beteiligt. Er kennt sich mit den Problemen an der Front aus. Er versorgt mit seinen Kollegen seit drei Jahren Verletzte aus dem Ukraine-Konflikt. Die einzelne Rettungsdrohne kostet derzeit weit mehr als eine Million Euro. Allerdings ist dies immer noch weit weniger als der Preis, der für einen Hubschrauber aufgerufen wird.
Die KI-Drohnen sind im Gegensatz zu Hubschraubern zudem leichter zu warten. Kommt der Patient am Ziel an, werden der Speicher und eventuell beschädigte Teile schnell ausgetauscht. Dann ist die Drohne wieder startbereit. Sie kann auch in der Nacht fliegen – die KI macht’s möglich. Avilus-Chef Rittinghaus sieht nichts Verwerfliches darin, dass die Entwicklung auf Basis von militärischen Vorgaben begonnen wurde. „Wir sind die Guten, weil wir Menschenleben retten.“ Er sehe in zivilen Anwendungen für die kommenden Jahre Wachstumsraten, von denen die Autoindustrie nur träumen könne.
Die hohe Nachfrage aus dem Verteidigungsbereich ruft inzwischen auch die Lokalpolitik auf den Plan. So verfolgt der frisch gewählte Ingolstädter Oberbürgermeister Michael Kern (CSU) die Idee eines „Campus for Defence and Protection“ im Süden der Stadt. Das Forschungs- und Fertigungszentrum soll der lokalen Wirtschaft neue Impulse geben, die die Probleme des kriselnden Audi-Konzerns besonders zu spüren bekommt. „Das ist kein Plan B für den Standort Ingolstadt, sondern ein Plan A plus – die Weiterentwicklung unseres Erfolgsmodells mit mehr Vielfalt, mehr Innovation und größerer Resilienz“, versichert Kern.
Zeitenwende in der Rüstung: Deutschland setzt auf Stärke und Solidarität
Im Jahr 2025 plant die Bundesregierung Deutschlands Verteidigungsausgaben auf etwa 95 Milliarden Euro zu erhöhen. Diese Summe setzt sich zusammen aus:
- dem regulären Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) von 53,25 Milliarden Euro
- zusätzlichen 22 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Bundeswehr
- Weitere rund 20 Milliarden Euro stammen aus verteidigungsbezogenen Ausgaben anderer Ressorts.
Auf europäischer Ebene hat die EU im März 2025 das Verteidigungsprogramm „Readiness 2030“ (zuvor „ReArm Europe“) vorgestellt. Ziel ist es, bis 2030 bis zu 800 Milliarden Euro für die europäische Verteidigung zu mobilisieren. Ein Bestandteil dieses Plans ist der „Security Action for Europe“ (SAFE)-Fonds, der 150 Milliarden Euro an Darlehen für gemeinsame Rüstungsprojekte bereitstellt.
Diese Entwicklungen spiegeln die verstärkten Bemühungen wider, die Verteidigungsfähigkeiten sowohl Deutschlands als auch der EU angesichts aktueller sicherheitspolitischer Herausforderungen zu stärken.
Wer profitiert von deutschen Waffen?
Ein genauerer Blick auf die Exportzahlen offenbart interessante Muster: Top 5 Empfängerländer deutscher Rüstungsexporte 2024:
- 1. Ukraine: 8.137.164.112 Euro - Hauptsächlich zur Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg
- 2. Singapur: 1.217.944.022 Euro - Strategischer Partner in Südostasien, Fokus auf maritime Sicherheit
- 3. Algerien: 558.719.786 Euro - Wichtiger Partner in Nordafrika, Kooperation im Bereich Grenzsicherung
- 4. Vereinigte Staaten: 298.518.591 Euro - NATO-Partner, Austausch von Hochtechnologie-Rüstungsgütern
- 5. Türkei: 230.842.622 Euro - NATO-Mitglied, komplexe sicherheitspolitische Beziehungen
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Bundeswehr in Zahlen
Nach Jahren des Schrumpfens ist die Bundeswehr seit dem Jahr 2016 personell wieder auf Wachstumskurs. Derzeit sichern über 260.000 Menschen – 181.630 in Uniform und 81.635 in Zivil – die personelle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr.
Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr werden in vier Statusgruppen eingeteilt (Stand: Dezember 2024):
- Soldatinnen und Soldaten auf Zeit - (113.386)
- Berufssoldaten - (57.668)
- Freiwillig Wehrdienstleistende - (10.304)
- Freiwillig Wehrdienstleistende im Heimatschutz - (272)
Derzeit leisten 24.698 Frauen Dienst als Soldatinnen bei der Bundeswehr, was einem Anteil von über 13 Prozent entspricht.
Mehr Informationen erhalten Sie direkt bei der Bundeswehr hier.