Zollmanagement macht immun gegen Handelskrieg
Strafzölle, Vergeltungsschläge, Brexit – deutsche Firmen müssen sich für den Umgang mit Handelsbarrieren rüsten. Die gute Nachricht: Zollzahlungen lassen sich managen. Die schlechte: Daraus entstehen neue Probleme.
Der Handelskrieg hat ein erstes deutsches Opfer gefordert: Der Autobauer Daimler wird in diesem Jahr voraussichtlich weniger Gewinn erwirtschaften als im Vorjahr. Zuvor hatten die Stuttgarter für 2018 ein etwas höheres Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) in Aussicht gestellt. Jetzt dürfte es vor allem wegen der chinesischen Strafzölle auf Autoimporte aus den USA leicht sinken.
Denn der Dax-Konzern baut einen Teil seiner SUVs für den chinesischen Markt im US-amerikanischen Bundesstaat Alabama. Eine internationale Lieferkette, die vor kurzem noch betriebswirtschaftlich sinnvoll erschien, wird plötzlich zum Bremsklotz. Konkurrent BMW produziert sogar fast jedes fünfte Auto für den chinesischen Markt in den USA. Die Münchener wollen nun ihre Preise in China erhöhen.
Zollmanagement noch stiefmütterlich behandelt
Was Daimler und BMW gerade widerfährt, könnte auch global tätigen deutschen Mittelständlern drohen. Denn der Handelsstreit spitzt sich zu. Damit rückt bei vielen Unternehmenschefs ein Thema auf die Agenda, das in Zeiten der Globalisierung zuletzt nur noch ein Schattendasein fristete: das Zollmanagement.
„Fast jedes Unternehmen kann beziffern, wie viel Steuern es zahlt. Wie hoch die Zollzahlungen sind, wissen dagegen selbst hochprofessionelle Großkonzerne oft nicht“, konstatiert Eva Rehberg von der Unternehmensberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ebner Stolz. Dies führe dazu, dass Zoll in vielen Unternehmen als fixe Größe akzeptiert werde, meint die frühere Zollbeamtin: „Das ist aber nicht der Fall: Unternehmen haben diverse Möglichkeiten, um Zollzahlungen zu reduzieren oder sich sogar komplett befreien zu lassen.“
Zoll vermeiden durch Produktionsverlagerung
Die naheliegende Variante, um Handelsbarrieren zu umgehen, ist, im jeweiligen Absatzmarkt zu produzieren: So hat etwa Harley Davidson angekündigt, Teile seiner Produktion aus den Vereinigten Staaten nach Europa zu verlagern. Die US-Kultmotorradmarke gehört zu den größten Verlierern in der Folge der europäischen Vergeltungszölle.
Der Fokus auf den Absatzmarkt ist aber zu eng, wenn es um Zölle geht: „Zwei Drittel der weltweiten Warenströme finden konzernintern statt“, sagt Frank Schöneborn, Steuerexperte und Partner bei der Unternehmensberatung EY. Entsprechend sollten Unternehmen die internen Wertschöpfungs- und Lieferketten begutachten, rät der Experte.
Gibt es zwischen Ländern, in denen das Unternehmen produziert, zollrechtliche Präferenzabkommen, die genutzt werden können? Lohnt es, Güter auf anderer Bearbeitungsstufe zu importieren? Das kann etwa bei Autos oder Textilien der Fall sein, die als Endprodukt in vielen Ländern der Welt hochverzollt werden. Schöneborn warnt aber: „Eine Verlagerung der Produktion zieht oftmals eine teure Wegzugsbesteuerung nach sich, was so manchem Supply-Chain-Manager nicht klar ist.“
Lohnkosten und Länderrisiken einkalkulieren
Zollexpertin Rehberg warnt ebenfalls vor voreiligen Schritten: „Lieferketten anzupassen ist aufwendig. Der Schritt erfordert daher Planungssicherheit über die künftige Höhe von Zöllen.“ Genau die haben Unternehmen momentan aber nicht – weder im von den USA angezettelten Handelsstreit noch im Hinblick auf den Austritt Großbritanniens aus der EU.
Zudem sind Freihandelsabkommen zwar ein wichtiges, aber bei weitem nicht das einzige Entscheidungskriterium für einen Produktionsstandort: die Lohnkosten, das Steuerregime, die Nähe zu Lieferanten und die Infrastruktur sowie Länderrisiken müssen ebenfalls beachtet werden.
Bevor Unternehmen also gravierende Eingriffe ins operative Geschäft vornehmen, sollten sie zunächst prüfen, ob sie bereits alle administrativen Möglichkeiten ausschöpfen, um Zollzahlungen zu senken. „Gerade Mittelständler überlassen die Zollabwicklung häufig ihren Spediteuren“, sagt Rehberg. In der Folge verlieren sie selbst teilweise den Überblick über die Zollabläufe und das Gefühl für mögliche Vereinfachungen. So bezahlen viele Unternehmen Zoll, obwohl sie es gar nicht müssten.
Zollager für Zwischenlagerung nutzen
Eine mögliche Lösung ist die Nutzung von Zolllagern. In dem Fall entfällt der Zoll zunächst, bis die Waren aus dem Zolllager entnommen werden. Nur für den Teil, der in der EU verbleibt, entstehen dann die Einfuhrabgaben. Der Aufwand für die Einrichtung eines solchen Lagers ist Rehberg zufolge nicht zu unterschätzen, weshalb sich manchmal die Nutzung eines Spediteurzolllagers anbietet.
Allerdings schicken Unternehmen Waren häufig nicht nur zur Zwischenlagerung rund um die Welt, sondern auch, um sie in dem jeweiligen Land weiterzuverarbeiten. Hier kommen die Verfahren der passiven und aktiven Veredlung ins Spiel.
Beispiel: Ein Unternehmen importiert Bauteile aus einem asiatischen Landnach Deutschland, um sie hierzulande zu einer Maschine zusammenzubauen und mit Technologie auszurüsten. Das fertige Produkt wird dann in die USA exportiert. „Wenn ein Unternehmen eine aktive Veredlung beantragt, muss es den Import der Bauteile aus Asien nicht verzollen“, erklärt die Zollexpertin.
Bei der passiven Veredlung ist der Weg umgekehrt: Waren werden exportiert, im Ausland weiterverarbeitet, und bei der Wiedereinfuhr ist nur der Mehrwert zu verzollen, nicht die Ware an sich. Außerdem sollten Unternehmen die Klassifizierung ihrer Waren prüfen, rät Rehberg: „Hier gibt es durchaus Spielraum, und manchmal kann eine andere Einordnung viel Geld sparen.“
Fracht und Lizenzen aus Produktpreis rausrechnen
Besonders viel gewinnen lässt sich, wenn es Unternehmen gelingt, die Berechnungsgrundlage für den Zoll zu senken. „Der Zollwert muss nicht dem Preis des Produkts entsprechen“, räumt Rehberg mit einem verbreiteten Missverständnis auf. So müssen etwa Kosten für Fracht, Grundlagenforschung oder Lizenzen nicht in jedem Fall beziehungsweise nicht in voller Höhe verzollt werden. Hier lohnt sich eine Prüfung.
Dafür muss das Unternehmen den Zollbehörden allerdings alle Bestandteile des Preises aufschlüsseln können – keine leichte Übung. Denn selbst wenn diese Informationen im Marketing oder im Controlling vorlägen, erreichten sie oft die für die Zollabwicklung zuständigen Einheiten nicht, stellt Rehberg fest: „Viele Unternehmen lassen Optimierungsmöglichkeiten beim Zoll liegen, weil der interne Informationsfluss schlecht ist.“
Zollmanagement im Unternehmen nicht klar zugeteilt
Zoll ist eine klassische Querschnittsfunktion: Diverse Abteilungen im Unternehmen haben zwar Berührungspunkte, darunter Einkauf, Vertrieb, Logistik und die Steuerabteilung. Allerdings haben nur selten alle Bereiche dieselben Informationen, geschweige denn dieselben Interessen.
Erschwerend kommt hinzu, dass Unternehmen im grenzüberschreitenden Handel mit gegenläufigen Bestrebungen der lokalen Verwaltungen zu kämpfen haben: Steuerbehörden sind daran interessiert, dass ein Unternehmen vor Ort möglichst viel Gewinn erzielt. Zollbehörden wollen dagegen beim Import möglichst hohe Zölle eintreiben, was allerdings den später im Land zu versteuernden Gewinn schmälert.
Betriebsprüfung führt zu bösem Erwachen
„Unternehmen sind heute mit der Situation konfrontiert, dass das lokale Finanzamt die Preise der eingeführten Waren als zu hoch, der Zoll sie jedoch als zu gering betrachtet. Entsprechende Betriebsprüfungen seitens der Verwaltungen erfolgen nicht abgestimmt und fallen manchmal sogar Jahre auseinander“, sagt EY-Verrechnungspreisexperte Schöneborn. „Dieses Dilemma ist für die Unternehmen eine Herausforderung, die es rasch zu lösen gilt. Denn sowohl spätere Nacherhebungen seitens des Zolls als auch eine Doppelbesteuerung kosten Net Cash.“
Zoll, Steuer und die im Controlling angesiedelte konzerninterne Preiskalkulation müssen deshalb eng miteinander verzahnt sein. Andernfalls drohen handfeste finanzielle Nachteile, wie kürzlich der Fall des Sensorenherstellers Hamamatsu Photonics zeigte. Die deutsche Vertriebstochter des japanischen Konzerns hatte als Zollwert den Verrechnungspreis angegeben. Sie konnte die importierten Produkte hierzulande am Ende aber nur zu geringeren Preisen verkaufen als ursprünglich geplant und kam in die Verlustzone.
Das japanische Mutterwerk ließ die Preise unterjährig unverändert und korrigierte das deutsche Ergebnis erst nachträglich mit einer Gutschrift nach oben. So zahlte das Unternehmen in Deutschland zwar Steuern, bekam die offensichtlich zu hohen Zollabgaben aber nicht zurück: Hamamatsu war doppelt bestraft.
Wiederspruch zwischen Steuer und Zoll
Auch eine Klage half nicht, denn der Europäische Gerichtshof urteilte aus Sicht von Experten überraschend, eine nachträgliche Anpassung des Zollwertes sei nicht möglich. „Wenn ein Unternehmen Verrechnungspreise festlegt, sollte es diese auch unterjährig überwachen und bei Bedarf nachjustieren und dabei Zollexperten einbinden“, rät Schöneborn. Teure Überraschungen seien sonst nur eine Frage der Zeit. Heute gibt es dagegen in vielen Unternehmen zwei Werte für ein und dieselbe Ware: den für die Steuer relevanten internen Verrechnungspreis und den Zollwert.
Der Widerspruch zwischen Steuer und Zoll wird durch den drohenden Handelskrieg noch verschärft. Die Überprüfung der Verrechnungspreisdokumentation wiederum ist derzeit das schärfste Schwert der Finanzverwaltung im Kampf gegen die Steuervermeidung. Unternehmen stehen daher vor einem Dilemma: Ärger mit der Steuerbehörde, mit der Zollverwaltung oder finanzielle Nachteile in Kauf nehmen? Auf sie kommen ungemütliche Zeiten zu.
Der Artikel gehört zu einem Thema aus der „Markt und Mittelstand“-Ausgabe September 2018, die am 7. September erscheint. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.