„Zukunft passiert nicht einfach“ – Gespräch mit Kreativpapst Frederik Pferdt
Frederik Pferdt ist einer der bekanntesten Deutschen im Silicon Valley. Er zeigt, wie wir mit Kreativität und Neugier unsere Zukunft aktiv gestalten.

Markt und MIttelstand: Gab es angesichts der Entwicklungen rund um künstliche Intelligenz jemals eine spannendere Zeit für Innovatoren?
- Frederik Pferdt: Wie leben ganz klar in einer besonderen Zeit. Wenn ich hier in Santa Cruz die Surfer beobachte, muss ich genau daran denken. Wir können uns entscheiden, die Welle abzuwarten oder zu lernen, sie zu reiten. Ich möchte jede Welle mitnehmen, jede Chance nutzen.
Was ist für Sie Innovation?
- Was viele übersehen ist, dass es nicht nur die großen Durchbrüche sind. Neues beginnt in Wahrheit mit kleinen Experimenten, mit Ausprobieren. Mit einer Frage, die man sich stellt. Was kann ich heute anders machen? Ich will diesen Zukunftsgeist entfachen, denn Zukunft passiert nicht einfach. Sie wird von denen erschaffen, die den Mut haben, sie zu gestalten. Man darf eben nicht zu sehr in Routinen verfallen, diesem Automatismus stattgeben, den unser Gehirn so liebt.
Ihr Buch heißt „Radikal besser“. Was steckt dahinter?
- Radikal bedeutet auf die Wurzel konzentriert, das Wesentliche. Und darum geht es mir: Ich will, dass Menschen nicht nur eine etwas bessere Zukunft für sich erfinden, sondern tatsächlich diesen großen Wurf für sich machen. Dafür sollten wir uns auf die zentrale Frage konzentrieren: Wie möchte ich mich in Zukunft fühlen? Dann merkt man, dass Zukunft nicht etwas ist, auf das man warten muss, das irgendwie passiert, sondern man kann sie aktiv gestalten.
In Ihrem Buch ist der Begriff Zukunftsgeist zentral. Was meinen Sie damit?
- Ein Begriff, der auch im Amerikanischen sehr geläufig ist, ist Zeitgeist – um das Hier und Jetzt zu beschreiben. Das vergleicht man in der Regel mit dem Vergangenen. Ich möchte aber nach vorne schauen und frage: Welche Zukunft möchte ich erschaffen? Diesen Zukunftsgeist zu entfachen, ist gar nicht so leicht.
Weil unser Gehirn Routinen liebt und am liebsten im Stromsparmodus arbeitet?
- Ja. Und es ist darauf konditioniert, sich auf das Negative zu konzentrieren. Wenn wir innovieren, arbeiten wir sozusagen gegen unsere Evolution. Unsere Vorfahren mussten Gefahren frühzeitig erkennen. Stichwort Säbelzahntiger: Was riecht hier anders? Was könnte eine Gefahr sein? Unser Fokus liegt auf dem Negativen, was falsch gehen könnte, wo der Fehler liegt, was schiefgehen mag. So sind wir trainiert und aufgewachsen.
Der sogenannte Negativity Bias.
- Medien nutzen den sehr geschickt, weil negative Schlagzeilen besser geklickt werden. Studien sagen, dass man vier oder fünf positive Erlebnisse haben muss, um nach einem negativen Erlebnis wieder positiv zu denken. Wir müssen damit umgehen lernen. Das ist möglich, braucht aber Training. Deshalb gebe ich in meinem Buch praktische Anleitungen, wie man das eigene Gehirn trainieren kann, optimistisch zu denken, offen zu sein und nicht im Autopiloten zu leben.
Dazu gehört auch, Dinge, die auf uns einprasseln, positiver aufzunehmen.
- Wir haben mit jeder Entscheidung die Möglichkeit, unsere Zukunft zu bestimmen. Aber wir müssen auf externe Schocks nicht in Opferhaltung reagieren, sondern als Autor. Unsere Entscheidungen sollten nicht durch Neid oder Ablehnung bestimmt sein. Nötig sind Bewusstsein und Training, um wirklich offen zu reagieren, neugierig und vielleicht auch mit mehr Freundlichkeit.
Sie haben sehr viele technologische Durchbrüche erlebt und mit initiiert. Gibt es ein Muster? Welchem Typus Mensch gelingt das besonders oft?
- Also, es ist nicht die Luft, die hier im Silicon Valley vielleicht anders riecht als an anderen Orten (lacht). Ich habe sechs Dimensionen entdeckt, die Menschen auszeichnen, die solche Durchbrüche aktiv auslösen. Organisationen müssen menschliche Fähigkeiten wie Optimismus, Offenheit, Neugier, Experimentierfreude und Empathie fördern. Die sechste ist deine eigene Superkraft, deine eigene Stärke zu erkennen.
Wenn das einfach wäre, würde es jeder machen.
- Dazu gehört natürlich, mit Schwierigkeiten umzugehen. Mit Dingen, die man nicht weiß und auch nicht einschätzen kann. Unser Gehirn ist darauf programmiert, Sicherheit zu suchen. Wir suchen immer den sicheren Weg und lieben es auch, zu planen. Aber Sicherheit ist eine Illusion, weil Zukunft immer ungewiss ist. Und die besten Entscheidungen entstehen eben, wenn wir nicht nur nach Sicherheit, sondern nach Möglichkeiten suchen.
Wie wichtig ist die Kunst, Fragen zu stellen?
- Der Neurologe und Philosoph Irvin Strauß beschreibt den Menschen als Fragetier. Das Wort finde ich klasse. Als Kinder sind wir darin besonders gut, verlernen es aber irgendwann. Dabei wecken Fragen unsere Neugier. Hinter allen großen Erfindungen stecken Fragen. Die Google-Gründer Larry Page oder Sergey Brin fragten, wie sie die Informationen dieser Welt organisieren und allen Menschen zu jeder Zeit zugänglich machen können. Apple-Chef Steve Jobs wollte wissen, wie wir die Art und Weise revolutionieren können, wie Menschen Musik erleben. Uns kommen rund 50.000 Ideen pro Tag, das ist nicht die Kunst. Die Kunst ist, die besten Fragen zu stellen.
Im Buch plädieren Sie für Upside-Down-Fragen. Was ist das?
- Es hilft manchmal, die Fragen umgekehrt zu formulieren. Nicht: Wie kann ich ein besserer Partner sein? Sondern: Wie kann ich ein schlechterer Partner oder eine schlechtere Partnerin in meiner Beziehung sein? Das aktiviert zusätzlich Neugier und führt manchmal zu anderen Lösungen.
Sie haben eben das Experimentieren als wichtige Dimension genannt. Damit ist vermutlich nicht der Chemiebaukasten gemeint.
- Experimentieren ist ein Zwiegespräch mit der Zukunft. Wir Menschen warten immer auf den perfekten Plan. Aber für mich ist der beste Plan, einfach zu starten, Dinge im Kleinen erlebbar zu machen. Diese kleinen Experimente zeigen, was funktioniert und was nicht. Denn Zukunft entsteht eben nicht durch den perfekten Plan, sondern durch kleine, mutige Schritte im Hier und Jetzt. Der Weg in die Zukunft ist gepflastert von diesen Experimenten, diesen kleinen Schritten, mit denen wir immer wieder ausprobieren, wie sich etwas anfühlt. Der Weg wird nicht bestimmt von dieser großen Vision, die meistens fünf oder zehn Jahre vorausschaut und eher Ängste auslöst.
Empathie ist eine weitere Dimension.
Klingt sehr weich.
- Empathie hilft uns, nicht nur unsere eigene Zukunft besser zu machen, sondern auch die anderer Menschen. Wir erkennen Probleme, indem wir durch die Augen von anderen Menschen auf die Welt schauen. Empathie bedeutet aber nicht nur Empathie für andere, sondern auch für sich selbst und besonders für das zukünftige Ich. Studien haben herausgefunden, dass man sich das zukünftige Ich als jemand Fremdes vorstellt. Je mehr Empathie man zum zukünftigen Ich aufbaut, desto besser werden auch die Entscheidungen im Hier und Jetzt.
Das müssen Sie erklären.
- Wer sich das zukünftige Ich nicht vorstellt, investiert auch weniger in die Altersvorsorge oder in einen gesunden Lebensstil – um einfache Beispiele zu nennen. Da gibt es faszinierende Studien, wie es einen verändert, wenn man bestimmte Fragen zu Ende denkt: Wie möchte ich leben? Mit wem möchte ich leben? Was möchte ich tun? Mit viel Empathie für dieses zukünftige Ich entscheide ich im Hier und Jetzt besser.
Bald werden uns den Tag über KI-Agenten begleiten. Auch Maschinen werden empathischer.
- Menschen werden eine immer intimere Beziehung zu ihren Technologien aufbauen. Wir werden der KI Fragen stellen, die wir einem anderen Menschen so nicht stellen würden. Umso mehr werden wir aber auch verstehen, was menschliche Fähigkeiten sind, die uns weiterbringen. Wir werden auch lernen, wie wir mit anderen Menschen anders umgehen können, wie wir liebevoller sind, offener sind, optimistischer.
KI wird uns menschlicher machen?
- Absolut. Und kreativer. Technologie wird uns helfen, uns wieder auf die Zukunft zu freuen. Ich kann es kaum erwarten, in der Zukunft zu leben, weil ich davon überzeugt bin, dass es ein besserer Ort sein wird. Dass ich mich in Zukunft besser fühlen werde. <<
Das Gespräch führte Thorsten Giersch.
Der Optimist
Frederik G. Pferdt hat als Googles Chief Innovation Evangelist eine der berühmtesten Kreativkulturen der Welt geprägt und unterrichtete mehr als ein Jahrzehnt lang an der Stanford University über Innovation. Er hat Hunderttausende in Organisationen wie den Vereinten Nationen, dem Deutschen Fußballbund DFB und der US-Raumfahrtbehörde Nasa trainiert.