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Technologie > Digitalisierung

KI für KMU

Je kleiner Unternehmen sind, desto größer wären die Vorteile durch Digitalisierung. Viele Firmen zieren sich oder gehen das Thema falsch an. Doch es gibt Hilfe.

Abschied von Akten: Klassische Ordner zu digitalisieren, hilft Unternehmen, effizienter zu werden. Bild: Shutterstock

Ein heißes Thema im deutschen Mittelstand ist die digitale Zeiterfassung. Vom Gesetzgeber bald gefordert, sind Tausende Unternehmen auf der Suche nach der passenden Software. Es gibt mehr als 170 Lösungen im deutschsprachigen Raum. Welcher Handwerksbetrieb soll da den Überblick behalten? Dabei sind die Bedarfe unterschiedlich: Der eine will nur Arbeitszeit und Pausen eintragen, der andere möchte unterscheiden können, was Werkstattzeit war, Fahrzeit zur Baustelle, Baustelle einrichten, Arbeitszeitpause oder Störungen. 

Es ist ein kleines Beispiel für das große Wort Digitalisierung: Überall gibt es Daten, die verarbeitet werden müssen. Es gibt Prozesse, die noch über Papier ablaufen. Und irgendwie weiß jeder, dass all diese Informationen und Daten eigentlich über digitale Werkzeuge effizienter gestaltet werden könnten. Müssten. Jeder hat das Ziel, die richtige Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben, natürlich möglichst vollständig und möglichst automatisiert. Doch die Worte „eigentlich“ und „könnten“ müssen stark betont werden. Der deutsche Mittelstand ist in der Breite hintendran.

Christopher Meinecke, Leiter digitale Transformation beim Digitalverband Bitkom, sieht drei wesentliche Entwicklungen, die den aktuellen Stand der Digitalisierung bei mittelständischen Betrieben beschreiben: Zum einen gab es während der Corona-Pandemie die Tendenz, vor allem in Hardware zu investieren. Viele brauchten für die Heimarbeit Laptops. Zum Zweiten verbreiteten sich Kollaborationstools. Aber hier blieben viele stecken. „Es gab Anlass zur Hoffnung, dass es im sogenannten New Normal nach den Lockdowns weiter transformiert wird, aber viele nächste Schritte werden seitdem nicht gegangen“, sagt Meinecke. „Corona war nicht flächendeckend über alle Branchen und Unternehmensgrößen hinweg ein Akzelerator für digitale Transformation.“

Und der dritte Punkt Meineckes ist ein typisch deutsches Phänomen. „Hierzulande verstehen viele unter Digitalisierung, Effizienzgewinne zu heben. Aber eben keine fundamentale Neuausrichtung der Geschäftsmodelle.“ Bei künstlicher Intelligenz sei es nun ähnlich. Zudem erkennt der Digitalisierungsexperte im Hinblick auf die Größe der Betriebe ein klares Muster: je kleiner, desto mehr ist noch zu tun. Was insofern paradox ist, als digitale Tools kleinen Betrieben bei bestimmten Herausforderungen noch mehr helfen könnten als großen – etwa zum Schließen der Fachkräftelücke. 

Ein wesentlicher Grund für die Behäbigkeit sei der eigene Erfolg, sagt Meinecke „Zehn Jahre Wachstum über fast alle Branchen hat uns in eine Situation gebracht, in der Bedarf für Veränderung nicht gesehen wurde.“ Jetzt, in der wirtschaftlichen Flaute, sei es umso schwerer. Ein weiterer, vor allem für kleine Betriebe wesentlicher Faktor seien die Beharrungskräfte in Teilen der Belegschaft, findet der Experte. Die Gewöhnung an Zettel, Stift und Excel ließe neue Technologien nur bedingt zu. „Die Veränderungsbereitschaft ist typischerweise in alternden Ländern und Volkswirtschaften geringer ausgeprägt, wir sehen das auch in anderen Ländern“, sagt Meinecke. Man dürfe sich da von einigen wenigen innovativen Konzernen nicht täuschen lassen. „Viele Beschäftigte tun sich schwer, Veränderungen zuzulassen.“

Die Schritte, die dagegen helfen, beginnen bei der Strategie. „Die Geschäftsführung muss definieren, wie sich das Unternehmen als Ganzes digital entwickeln soll.“ Damit meint Meinecke ausdrücklich keine Insellösung in einzelnen Teams, sondern die Gesamtheit – was heute oft noch anders gehandhabt wird. Zudem müsse die digitale Transformation personell mit Verantwortlichkeiten verortet werden. Womit man beim berühmten CDO wäre, dem Chief Digital Officer. „Es braucht nicht zwingend die Position des CDO, aber jemanden, der die Rolle einnimmt und intern vertritt“, sagt Meinecke. Und jemand, bei dem die Verantwortlichkeiten zur digitalen Transformation zusammenlaufen und der die entsprechende Budgethoheit hat. Das liegt auch am Bringschuld-Problem. Der Erwartungsdruck, gern gemessen daran, wann Investitionen sich konkret auszahlen, ist gerade in Deutschland hoch und kurzfristig. Sich am Grad der Digitalisierung messen zu lassen, kann schnell unfair ausgehen.

Apropos Finanzen: Digitale Kompetenzen aufbauen, überzeugen, analoge Prozesse digitalisieren, kostet Geld. Meinecke spricht gern von einem Sondervermögen, ähnlich wie es die Bundesregierung für die Modernisierung der Bundeswehr ausgelobt hat. Selbst solche Etats nützen aber nur die Hälfte, wenn die Hausmacht fehlt. Wenn der CDO ins Controlling geht und sagt, dass statt Excel nun eine Software Einzug hält, muss auch der gesamte Vorstand dahinterstehen.

Nun sind die Unternehmen nicht allein auf der Welt. Gerade die Zusammenarbeit mit den Ämtern ist viel zu analog. „Die Schnittstellen zwischen Verwaltung und KMU müssen uns Sorgen machen“, sagt Meinecke. Er sieht für Deutschland vor allem ein Problem: „Wenn ich einen schlechten analogen Prozess digitalisiere, habe ich einen schlechten digitalen Prozess.“ Es gehe aber darum, dass eine Aufgabe erfüllt werde. „Wenn ich Menschen zu Verhaltensänderungen bringen möchte, müssen sie merken, dass der neue Weg auch eine Verbesserung darstellt.“ Bei all dem ist es Meinecke wichtig zu betonen, dass mittelständische Betriebe nicht allein sind: „Es gibt Angebote wie Mittelstandskompetenzzentren, die Digital Hub Initiative – ich rate immer dazu, es dort einfach mal zu versuchen.“

Vom Maler zum Berater

Es gibt auch immer Menschen, die helfen. Einer davon ist Michael Heil. Der Betriebswirt, Maler und Lackierer hat als Geschäftsführer eines Malerbetriebes mit 130 Mitarbeitern irgendwann angefangen, das Unternehmen zu digitalisieren. „Andere Betriebe wurden darauf aufmerksam und haben mich gefragt, ob ich das bei ihnen auch einführen kann. So bin ich Schritt für Schritt in die Beraterschiene gerutscht.“ Dann hat er Forschungs- und Transferprojekte angeschoben. Und daraus entstand sein heutiges Unternehmen, das E-Business-Kompetenzzentrum, das sich auf handwerkliche Betriebe und den Bausektor spezialisiert hat. Zu seinen Auftraggebern gehören die Ministerien für Wirtschaft und Klimaschutz sowie Bildung und Forschung. ­Handwerksbetriebe zu begleiten, wenn sie digitale Geschäftsprozesse einführen, ist für Heil mehr als nur ein Geschäft. „Wenn Sie forschen, sind Sie in der Entwicklung ganz innovativer Dinge unterwegs, verlieren aber schon mal die Bodenhaftung“, sagt er. „Und wenn man auf dem Hallenboden der Werkstatt zurückkehrt, werde ich geerdet und habe wieder Kontakt zur Realität.“

Die Handwerksbetriebe kommen auf ihn mit konkreten Problemen zu, zum Beispiel der digitalen Zeiterfassung. Oder sie wollen ihre Prozesse effizienter abwickeln. Heil und sein Team entwerfen dann eine Digitalisierungsstrategie nebst Plan, wie der Unternehmer sie gemeinsam mit seinen Mitarbeitern im Betrieb umsetzen kann. Einer von Heils wesentlichen Ratschlägen lautet, dass KMU nicht alles selbst machen sollten. „Grundsätzlich empfehle ich Betrieben, Branchenlösungen einzusetzen.“ Sie seien in der Regel hinreichend vielseitig in ihren Anwendungsmöglichkeiten, aber „viele nutzen diese Möglichkeiten viel zu wenig“, sagt der Berater. Oft ließen sich vorhandene Softwarelösungen vielseitiger anwenden, als es die Betriebe im Alltag machten. „Mein Rat lautet: Nimm lieber Kontakt auf mit deinem Softwareunternehmen und versuche, mit denen gemeinsam die Anwendung zu optimieren.“ Der übliche Fehler bestehe darin, sich „ganz viele Apps zu beschaffen“ – eine Lösung für digitale Zeiterfassung, eine für die Baustellendokumentation und so weiter. Das Problem bei Insellösungen ist, dass die Informationen nicht ausgetauscht werden können. Der Aufwand zur Pflege vieler Insellösungen einschließlich der Datensätze sei deutlich größer als der Nutzen.

Doch die beste Technologie nützt nichts, wenn die Belegschaft nicht abgeholt wird. „Das ist ein ganz wichtiges Thema und einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Umsetzung“, sagt Heil. Was nicht funktioniere, sei, wenn der Unternehmer sich für eine Lösung entscheide und sage: „Das machen wir jetzt so.“ Dann komme immer: „Das haben wir noch nie so gemacht.“ Oder: “Das haben wir doch immer anders gemacht.“ Heil sieht praktisch immer Ängste und Unsicherheiten. „Es ist völlig legitim, wenn Mitarbeiter etwa bei Einführung digitaler Zeiterfassung das Gefühl haben: ,Oh, jetzt wollen sie uns kontrollieren, jetzt wollen sie genau wissen, was wir machen.‘“ Unternehmer können in seinen Augen gar nicht oft genug darauf hinweisen, dass genau das nicht ihr Ziel ist. Dass sie vielmehr Abläufe verschlanken und Information besser erfassen wollen. Eine andere Gruppe der Beschäftigten will dagegen, dass es ihnen der Arbeitgeber mit moderner Technologie leichter macht. „Gute Fachkräfte erwarten mittlerweile von Unternehmen, dass sie digitalisiert sind.“ Also, dass Mitarbeiter Informationen über Smartphones erfassen können. „Viele Mitarbeiter haben digitale Kompetenz“, sagt Heil. „Aber das Schlimme ist, dass sie in vielen Handwerksbetrieben diese digitale Kompetenz vor der Hallentür der Werkstatt abgeben müssen, weil die digitalen Werkzeuge eben nicht vorhanden sind.“

Künstliche Intelligenz sei lange Zeit nichts für Handwerksunternehmer gewesen. „Aber jetzt stellen wir fest, dass viele Unternehmen mittlerweile mit Alltagsproblemen auf uns zukommen und wir diese über KI-Werkzeuge lösen können“, erklärt Heil. Da bekommt ein Elektrobetrieb monatlich über 1000 Lieferscheine, die noch in eine Excel-Liste abgetippt werden, um die Rechnungen zu kontrollieren. Für solche Arbeitsprozesse gebe es relativ einfache KI-Lösungen. 

Mit 180 Chatbot-Installationen gehört Kauz zu den regionalen Marktführern im Bereich Conversational AI und bezeichnet sich selbst als „Chatbot-Anbieter für den Mittelstand“. Das Unternehmen entwickelt seit sieben Jahren Chatbots und war als eines der wenigen deutschen Start-ups Teil des Beta-Programms von OpenAI, jenes US-Unternehmens, das mit ChatGPT die KI-Revolution für die breite Masse anstieß.

Unternehmen, die ihre Kundenkommunikation automatisieren wollen, bietet Kauz bereits ab 7500 Euro einen Proof of Concept an. Ein Prototyp kann innerhalb von zwei Wochen entwickelt werden. „Mit dem hybriden Chatbot verkürzen wir die Entwicklungszeit und den Aufwand für Chatbots um 50 bis 90 Prozent“, sagt Thomas Rüdel, Gründer und CEO von Kauz. „Bei der Entwicklung von Chatbots kommen wir jetzt in eine Preislage, in der auch Start-ups und sogar Kleinunternehmen wie Handwerksbetriebe die Möglichkeit erhalten, ihre Kundenprozesse zu optimieren.“ Wobei abzuwarten bleibt, wie OpenAI und ähnliche Anbieter ihre Preismodelle gestalten.

Schleppender Umgang

Der Verein ARMID, in dem 400 Aufsichts- und Beiräte von Betrieben mit einem Umsatz von 100 bis 500 Millionen Euro zusammengeschlossen sind, hat in einer Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen herausgefunden, dass nicht einmal zwei Prozent der Aufsichts- und Beiräte KI zur Effizienzsteigerung der Gremienarbeit einsetzen. Die Zurückhaltung deckt sich auch mit dem Befund des Digitalverbandes Bitkom, wonach nur 15 Prozent der deutschen Unternehmen generative KI einsetzen, obwohl die Potenziale dieser Technologien erkannt werden. „Die Ergebnisse unserer Befragung zum KI-Einsatz von Aufsichts- und Beiräten sind enttäuschend. Sie belegen den oft schleppenden Umgang mit neuen Technologien in Deutschland“, sagt ARMID-Vorsitzender Klaus F. Jaenecke. „Gerade Aufsichtsgremien sollten mit gutem Vorbild vorangehen und Topmanagement und Mitarbeiter dazu inspirieren, offener mit neuen digitalen Angeboten umzugehen.“ Dabei kann KI bestimmte Fragen der Gremienarbeit sehr wohl sinnvoll unterstützen. Die Software kann zum Beispiel What-If-Szenarios mit konkreten Zahlen blitzschnell formulieren, Berichte verfassen, das Risikomanagement verbessern oder die E-Rechnungslegung analysieren.

Bei aller KI-Euphorie betont Oliver Herzig, Global Vice President Product beim Accounting-Software-Unternehmen Sage: „Vielen wäre schon geholfen, wenn sie sich die Daten zunutze machten, über die sie bereits verfügen.“ Die Mehrzahl der KMU habe große Menge, die zuweilen wahre Schätze enthielten. Sie können diese Daten beispielsweise nutzen, um wichtige Probleme zu erkennen, zu analysieren und zu lösen. Ein gutes Beispiel sind Cashflow-Daten: Die Überwachung der Geldein- und -ausgänge ist von entscheidender Bedeutung, um die wahre finanzielle Situation eines Unternehmens zu beurteilen. Wer zahlt zu spät und welche Trends lassen sich daraus ablesen? Bei wem müssen die Verantwortlichen nachfassen? Und wann? Ist jetzt der richtige Zeitpunkt für die Anschaffung eines neuen Lieferwagens? Oder den Umzug in ein neues Gebäude?

„Nicht wenige Unternehmen tun sich jedoch schwer damit, ihre Daten sinnvoll aufzuschlüsseln“, sagt Herzig. „Allzu oft bleiben Daten isoliert und sind für die Entscheidungsfindung nur von begrenztem Nutzen.“ Wichtige Erkenntnisse lassen sich nicht nur durch die Analyse von Daten des eigenen Unternehmens gewinnen. Von Geodaten über Verkehrsdaten bis hin zu Umweltdaten gibt es viele öffentlich zugängliche Datensätze, die KMU viel zu selten nutzen.

Familienunternehmer Michael Kern aus Burladingen sieht vor allem im Vertrieb großes, womöglich sogar überlebenswichtiges Potenzial für viele KMU. „Bis in vier oder fünf Jahren wird das traditionelle Konzept des Vertriebs so nicht mehr funktionieren“, sagt er. Kern sitzt in der Geschäftsführung der Spindel Full Service GmbH. „Vor allem der Vertrieb von Industriebetrieben muss im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung künftig anders funktionieren“, sagt er. „Vielen ist das noch nicht bewusst, aber Google kann zum besten Außendienstler werden.“ Vor sieben Jahren baute er den digitalen Vertrieb nicht zuletzt durch Suchmaschinenoptimierung auf. Heute gewinnt das Unternehmen rund 90 Prozent seiner Neukunden über Google und ist Marktführer in seiner Branche. „Google ist der perfekte Neukundenkanal. Ein Vertriebler kann immer nur an einem Ort gleichzeitig sein. Google ist hingegen omnipräsent und kann dadurch immer zur richtigen Stelle am richtigen Ort sein“, sagt Kern. Gänzlich sieht Kern den Außendienst allerdings nicht aussterben. „Es wird ihn nach wie vor geben, aber viel punktierter.“

Wie die genannten Beispiele belegen, geht es bei der Digitalisierung nicht nur um Technologie, sondern um die richtige Einstellung, darum, auf die richtigen Mitarbeiter zählen zu können, um das Beste aus den eigenen Daten herauszuholen. Die Kombination mit der Agilität und Kreativität, für die KMU bekannt sind, müsste ihnen eigentlich dabei helfen, die bestehenden und künftigen wirtschaftlichen Herausforderungen zu meistern.

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