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Die Kicker vom Schlossberg

Der Aufsteiger 1. FC Heidenheim versucht in der Bundesliga den Spagat zwischen Spitzenfußball und Tradition. Getragen wird der Verein vom Mittelstand.

So sehen Sieger aus: Trainer Frank Schmidt startete in Heidenheim 2007, damals in der Oberliga. Bildquelle: picture alliance/dpa | Heiko Becker

Der Aufstieg ist für die Anhänger des 1. FC Heidenheim gelebte Routine. Jetzt müssen auch die Fans von Bayern München, Borussia Dortmund oder VfB Stuttgart die Stufen zum Schlossberg erklimmen, um über der Stadt an der Brenz auf 550 Metern in Deutschlands höchstgelegenes Stadion zu gelangen. Solche Gäste belegen in der kommenden Bundesligasaison, dass der Klub von der Schwäbischen Ostalb auch sportlich Spitzenhöhen erklommen hat. Ob der Provinzverein mehr als eine Saison in der 1. Liga mitkicken wird, ist ungewiss. Doch für die Verantwortlichen – allen voran Klubchef Holger Sanwald – ist eines sicher: „Wir bleiben uns treu.“

Für die Heidenheimer ist das mehr als ein Lippenbekenntnis. Bodenständigkeit und eine bescheidene Politik gehören zu den Besonderheiten eines Vereins, der in vielerlei Hinsicht anders ist als die millionenschweren Klubs aus München, Dortmund, Frankfurt oder Köln. Hier ist alles eine Nummer kleiner und soll auch so bleiben. Die Stadt Heidenheim hat rund 50.000 Einwohner. Das entspricht den durchschnittlichen Besucherzahlen bei Heimspielen von Hertha BSC Berlin, die jetzt da weiterkicken, wo Heidenheim herkommt: 2. Liga. Dabei hat allein Investor Lars Windhorst 375 Millionen Euro in den Hauptstadtverein gesteckt. Die Heidenheimer hatten in der 2. Liga 40 Millionen Euro zur Verfügung. Meister Bayern München setzte zuletzt 639 Millionen Euro um. Es wirkt ein bisschen, als sei ein Mittelständler in der großen Konzernwelt angekommen.

Das neue Umfeld wird für den Verein von der Ostalb allerdings einige Veränderungen mit sich bringen. Klubchef Sanwald stellt sich auf einen Spagat ein: „Einerseits ist es wichtig, dass wir unseren Kernwerten – Bodenständigkeit, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit und Fleiß – treu bleiben und unsere DNA nicht verändern. Andrerseits müssen wir uns weiterentwickeln, professioneller aufstellen – in allen Bereichen. Das haben wir auch schon in der Vergangenheit so gemacht.“ Der Aufstieg schiebt auch das Zahlenwerk in neue Dimensionen: „Unser Gesamtetat steigert sich auf rund 60 Millionen Euro. Den größten Anteil machen die höheren TV-Geld-Einnahmen aus“, rechnet Sanwald vor. Allerdings steigen auch die Kosten für die Spieler, die rund die Hälfte des Etats ausmachen, Und der Aufwand für Sicherheit und Personal. „Darüber hinaus haben wir Investitionen in die Infrastruktur zu tätigen, um die Anforderungen der Deutschen Fußball Liga beispielsweise für die TV-Produktionen und Medienrichtlinien zu erfüllen“, sagt der Klubchef, nennt aber keine genauen Zahlen.

„Geradeaus und ehrlich“ singen die Fans zu Beginn der Heimspiele. So geben sich auch die Verantwortlichen, allen voran Trainer Frank Schmidt, seit 16 Jahren an der Brenz tätig und damit dienstältester Fußballehrer im deutschen Profifußball. Der knorrige 49-Jährige, der nur mal für zwei Spiele aushelfen wollte, hat den Klub seit 2007 von der Oberliga bis ins Fußballoberhaus geführt. Er ist die Identifikationsfigur des Vereins und würde wohl auch bei einem Abstieg nicht infrage gestellt. Geradeaus und ehrlich sei Schmidt, bescheinigen ihm Spieler und Umfeld. Trotz der ruppigen Art kennen sie seine Maxime, die auch den Verein prägt: „Bei uns steht der Mensch im Vordergrund.“ Schmidt und Sanwald betreiben seit Jahren eine besondere Personalpolitik. Sie suchen sich Spieler aus, die vor allem menschlich zu Heidenheim passen. Die beiden bauen dabei auf ihre lange Erfahrung. Viele Spieler kommen direkt aus der Region. Das garantiert Verbundenheit und Kontinuität. „Deswegen können wir mit geringeren Mitteln wettbewerbsfähig bleiben“, erklärt Sanwald. 

400 Seiten Sponsoren

Auch das Geld für den 1. FCH kommt überwiegend aus der Region „Wir verstehen uns als Mittelstandsverein“, unterstreicht Marketingchef Markus Gamm. Rund 500 Unternehmen finden sich auf der Sponsorenliste, ein Wälzer mit mehr als 400 Seiten, der im Stadion ausliegt. Seit 1910 ist Voith mit dem Verein verbunden. Der Heidenheimer Anlagenbauer ist Namensgeber für das Stadion und sieht für sich positive Effekte: „Wir steigern damit unsere Bekanntheit auch außerhalb der Region und unserer Branche, was uns beim Recruiting neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hilft – und was durch den Auf stieg des 1. FCH sicherlich noch verstärkt wird“, sagt eine Sprecherin. Wie viel Geld an den Verein fließt, will der Konzern allerdings nicht verraten.

Beim Medizinproduktehersteller Paul Hartmann, auch aus Heidenheim und seit 20 Jahren weiterer Hauptsponsor des Klubs, erlebt man ebenfalls, wie sich der Erfolg des Heimatvereins auf den Firmenalltag überträgt: „Der Aufstieg des FCH ist Gegenstand vieler Mitarbeiterunterhaltungen wie auch Kundengespräche“, berichtet eine Sprecherin. Der Hersteller von Binden, Pflastern und Blutmessgeräten erhofft sich ebenfalls eine Sogwirkung hinsichtlich der eigenen Personalakquise. „Die Stadt Heidenheim rückt allgemein stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und damit auch potenzieller Bewerber. Zudem erhöhen Freizeitangebote die Attraktivität eines Standorts. Dazu gehört auch der Besuch erstklassiger Fußballspiele“, teilt das Unternehmen mit. Das trage dazu bei, bestehende Mitarbeiter zu binden und potenzielle Bewerber für Hartmann zu interessieren. 
„Für unsere Wirtschaft ist die bundesweite Wahrnehmung des FCH ein sensationelles Geschenk.“, unterstreicht Markus Maier, Präsident der Industrie- und Handelskammer Ostwürttemberg. Die im Dreieck Aalen, Ulm und Schwäbisch Gmünd gelegene Region gehört zu den wirtschaftlich besonders prosperierenden im deutschen Süden. Voith setzte im vergangenen Geschäftsjahr 4,2 Milliarden Euro um. Die Hartmann-Gruppe kam auf 2,3 Milliarden Euro. Im benachbarten Oberkochen ist Zeiss beheimatet. Der Optik- und Messgeräte-Konzern erzielte zuletzt sogar 8,8 Milliarden Euro. Wettbewerber um Spezialisten aller Sparten ist die angrenzende Region Ulm – eine der deutschen Wachstumszentren schlechthin. „Der Klub trägt dazu bei, dass Ostwürttemberg als Standort attraktiv für Unternehmen wie für Fachkräfte ist“, freut sich IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler.

„Wir haben uns die Region erarbeitet“, umschreibt Vereinschef Sanwald, dass der 1. FCH auch wirtschaftlich eine lange Strecke zurückgelegt hat. „Als ich hier anfangen habe, hatten wir faktisch fast keine Sponsoren, kein Geld, keine gute Mannschaft“, erinnert sich der 56-Jährige, ohne den das Wunder von der Ostalb nicht gelungen wäre. Der Vereinsboss kam 1995. Er setzte sich seinerzeit in einer Kampfabstimmung durch. Da war Heidenheim ein schwächelnder Verein in der Landesliga Baden-Württemberg. Der studierte Ökonom konnte mit kaufmännischem Sachverstand und seiner Persönlichkeit überzeugen. „Ich konnte schon immer gut mit Menschen“, sagt Sanwald.

Der VIP-Bereich ist ausverkauft

Jetzt muss der Vereinsboss auch im Umgang mit seinen Sponsoren einen Spagat vollziehen: „Die Bundesliga hat einen deutlich höheren Marketingwert. Das mediale Interesse – deutschlandweit, aber auch international – ist eine völlig neue Dimension. Wir werden unsere Sponsoringerlöse deshalb von bislang rund zehn Millionen Euro auf rund 15 Millionen Euro steigern können“, sagt Sanwald. Der VIP-Bereich im Stadion ist für alle 17 Heimspiele dank Rekordnachfrage bereits ausverkauft. Eingemietet haben sich laut Sanwald „überwiegend mittelständische Unternehmen aus unserer schwäbischen Region zwischen Stuttgart und Augsburg.“

Nicht alle Mittelständler können die neuen Preise mitgehen. Dafür hat Sanwald eine Lösung parat: „Wer für sein Sponsoring beim FCH nicht mehr zahlen möchte oder kann, dem bieten wir partnerschaftlich an, die Leistungen entsprechend anzupassen.“ Bei einem der beiden Traditionssponsoren klingt das dann so: „Hartmann bleibt stabil in seinem Sponsoring und unterstützt den FCH durch Verzicht auf Werbeleistungen, wodurch der Verein durch zusätzliches Werbeinventar weitere Partner und Sponsoren akquirieren kann.“

Vielleicht gelingt es dem Klub ja auch, sich in der 1. Bundesliga zu halten. Dann könnte Sanwald ehrgeizige Pläne wieder aus der Schublade holen. Dort liegt schon seit 2019 eine Studie, die einen Ausbau des Stadions auf 23.000 Plätze vorsieht. Dabei wird aber kaum einer auf die Idee kommen „Likos Kiosk“ abzureißen, der mitten in der Gegengeraden steht und 500 Plätze kostet. Der war schon vor dem Stadion da. Und bleibt dort. „Damit man nie vergisst, wo man herkommt. Das schadet nicht“, sagt Trainer Frank Schmidt.

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