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Zukunftsmärkte > Start-ups

Wie es der deutschen Gründer-Szene wirklich geht

Auf den ersten Blick geht es Start-ups in Deutschland derzeit schlecht. Und man macht es ihnen schwerer als nötig. Doch gute Ideen werden besser gefördert denn je.

Einige Start-ups haben im vergangenen Jahr aufgeben müssen. Nicht jede Idee trägt, oft fehlt Geld als Treibstoff. Allerdings sind viele Neugründungen weiter auf dem Höhenflug. Bild: Shutterstok

Die Lage ist scheinbar eindeutig: In Deutschland werden weniger Firmen gegründet, gleichzeitig melden mehr Start-ups Insolvenz an. Und das Geld fließt immer spärlicher. Heißt: Der Mittelstand von morgen wächst nur langsam heran. Geschichte erzählt, könnte man denken. Es wäre zu einfach.

Tatsächlich sind 2023 hierzulande so viele Start-ups pleite gegangen wie nie zuvor. Der Datendienst Startupdetector hat 297 Insolvenzen bei Jungfirmen gezählt, 65 Prozent mehr als 2022. Besserung ist den Experten zufolge nicht in Sicht. Sie erwarten für 2024 noch mehr Pleiten. Betroffen waren im vergangenen Jahr auch sehr bekannte Namen: Beim Berliner Onlinehändler Social Chain hing zum Beispiel Georg Kofler mit drin. Auch der Solarautoanbieter Sono Motors aus München musste in die Insolvenz. In den meisten Fällen mangelt es an Geld von Investoren. Viele schreckten mit Brückenfinanzierungen zurück. Die gestiegenen Zinsen sind zudem gerade für junge Firmen ein großes Problem.

Parallel sank 2022 die Zahl der neuen Firmen dem KfW-Gründungsmonitor zufolge um 57.000 auf 550.000. Für 2023 kommen die Zahlen noch, sie dürften aber kaum besser aussehen. Das alles verwundert nicht, denn 2023 flossen nur noch sechs Milliarden Euro frisches Kapital in die jungen Unternehmen – deutlich weniger als 2022 und 2021. Hier lohnt sich aber ein Blick auf die Einzelheiten. „Die Venture-Capital-Töpfe sind noch relativ voll und gerade im Bereich Seed sehe ich da überhaupt kein Problem“, sagt Frank Thelen, einer der bekanntesten Investoren hierzulande. Anders stehe es um die finanzielle Ausstattung in der späteren Wachstumsphase. „Wir kommen aus einem Umfeld, das wahrscheinlich zu progressiv bewertet hat, die Multiples sind massiv runtergekommen in öffentlichen Märkten.“ Das verunsichert jene Gründerinnen oder Gründer, die sich fragen, wann er oder sie welche Wachstumsrunde zu welchen Bewertungen machen können. Dass es 2023 einen Rekord bei den Insolvenzen von Start-ups gab, ist für Thelen kein Problem. „Junge Firmen müssen scheitern. Man muss einfach immer besser werden und 2020 und 2021 waren zu gute Jahre für Start-up-Finanzierungen, jetzt folgen zu Recht mehr Insolvenzen.“

Gute Ideen finden Geldgeber

Ob die finanzielle Talsohle schon durchschritten ist? Unklar. Je nachdem, wen man fragt, lauten die Antworten mal „Ja“, mal „Nein“. Wagniskapitalgeber sind zudem stark mit ihren bestehenden Investments beschäftigt. Dass die Gesamtmenge der Investitionen sinkt, muss keine allzu schlechte Nachricht sein. Für die wirklich guten Ideen ist Geld genug da, hört man im Markt überall. Schwieriger wird es für Kopien bestehender Geschäftsmodelle und zu wolkige Konzepte. Die Branche konzentriert sich so automatisch auf weniger Firmen, die dafür aber erfolgversprechender sind. Das ist für das Ökosystem auch eine gute Nachricht.

Obwohl die deutsche Start-up-Szene im internationalen Vergleich immer noch hinterherhinkt, sieht Christoph Büth von der NRW.Bank in den vergangenen Jahren „eine sehr erfreuliche Entwicklung, auch wenn im Moment die Stimmung im Bereich Venture Capital Finanzierung etwas gedämpft ist“. Optimistisch stimmt den Experten Risikokapital und Eigenkapital-Finanzierung, dass sich das Ökosystem danke vieler Institutionen und Initiativen positiv entwickelt hat. Das schlage sich in steigenden Gründungszahlen und in der Mentalität nieder. „Für Studienabgänger ist es heute normal geworden, sich als Unternehmer oder Unternehmerin selbstständig zu machen.“

Genau wie Investor Thelen sorgt sich Büth um die späteren Wachstumsrunden, wo mehr Kapital gebraucht wird, um ein junges Unternehmen wirklich auszubauen und das Geschäft auch international auszurollen. „Ich denke, wir haben eine gute Ausstattung, was die Finanzierung in der Frühphase angeht“, sagt er. „Woran es in Deutschland weiter mangelt, ist die Möglichkeit, Investorenkonsortien zusammenzustellen, die in der Lage sind, auch größere Beträge über zehn Millionen Euro in einer Finanzierungsrunde einzusammeln. „Da brauchen wir mehr Investoren hier aus Deutschland und mehr institutionelles Kapital.“ Viele blicken deshalb gespannt nach Frankfurt zur Europäischen Zentralbank. Zinssenkungen täten der gebeutelten Start-up-Szene gut, dann wäre auch für sie wieder mehr Geld da. Denn je höher die Zinsen sind, umso lukrativer sind für große institutionelle Investoren andere Anlageklassen.

Zudem herrscht Optimismus, dass die Investoren bald wieder mehr Geld in junge Firmen stecken. Dabei geht es vor allem um Geschäftsideen rund um künstliche Intelligenz, aber auch um Themen wie Quantencomputer, Energie und Elektromobilität. Angesichts der geopolitischen Lage ist es wenig verwunderlich, wenn Investoren abwarten. Wer seine Idee aber zu Ende gedacht hat, bekommt genug Geld. Das zeigen gerade die großen Erfolgsgeschichten, die es vor allem rund um künstliche Intelligenz gibt: Mistral AI aus Paris warb 385 Millionen Euro ein, der Übersetzungsdienst Deepl aus Köln knapp 100 Millionen Euro. In ganz Deutschland floss 2023 rund eine Milliarde Euro in KI-Start-ups. Die Hälfte davon floss auf das Konto von Aleph Alpha. Das Heidelberger KI-Start-up ist der Stern am deutschen Gründerhimmel.

Berlin liegt vorn – noch

Aber auch dahinter sieht es nicht mau aus: 2023 sind mit Deepl, dem Energieanbieter 1Komma5 Grad und dem KI-Rüstungsunternehmen Helsing immerhin drei junge Unternehmen zum Einhorn aufgestiegen, werden also von Investoren mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet. Unter den 50 attraktivsten Tech-Start-ups sind immerhin zehn deutsche dabei, wie die Plattform Tech Tour errechnet hat. Diese zehn Firmen haben seit ihrer Gründung bisher 1,6 Milliarden Euro bei Investoren eingesammelt. Vier von ihnen sind rund um Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien tätig: die Energiespeicher-Firma CMBlu, das Wasserstoff-Speicher- und -Transportunternehmen Hydrogenious, das Münchener Cleantech-Unternehmen Twaice und der Ladesäulenanbieter Numbat.

Die Liste ist ein Beleg dafür, dass sich im Hinblick auf die regionale Verteilung in Deutschland viel getan hat. Berlin ist nach einer Studie des Beratungshauses EY zwar weiterhin der wesentliche Standort für Start-ups gemessen an der Finanzierung, aber der Abstand zu München verringert sich. Wurden in der Hauptstadt 2023 noch 2,4 Milliarden Euro verteilt, waren es in Bayern, vor allem München und Umland, 1,7 Milliarden Euro. „München hat sich extrem gut entwickelt, aber es geht ja nicht um München gegen Berlin, sondern wir brauchen viele gute Gründungshubs. Und Ziel ist es ja noch viel mehr zu haben“, sagt Helmut Schönenberger, Vizepräsident der TU München und CEO des Entrepeneurship-Center UnternehmerTUM. So mancher wünscht sich für das Öko-System, dass es ähnlich wie in Paris oder im Silicon Valley hierzulande die eine Region gäbe, weil dann eben dort die ganzen Kapitalgeber, Gründer, Anwälte und so weiter an einer Stelle wären. Aber in der föderalistischen Struktur Deutschlands sind viele gute Universitäten aufs ganze Land verteilt – was im positiven Sinn auch ein Alleinstellungsmerkmal ist. Apropos Universitäten: Hier sieht Schönenberger noch viel Aufholpotenzial. „Wir haben über 400 Hochschulen in Deutschland und wir sind richtig gut, was Forschung und Lehre betrifft. Aber wir sollten die Unis so öffnen, dass neben Forschung und Lehre die Themen Innovation und Gründung wirklich auf Augenhöhe sind.“

Optimistisch stimmt, dass drei wesentliche Hemmnisse für junge Gründer in Deutschland zumindest ein wenig geschrumpft sind – auch wenn aus Sicht praktisch aller Fachleute noch viel zu tun ist. Mentalität, Hürden für Frauen und Bürokratie. Viele junge Leute scheuten das Gründen auch deshalb, weil sie Angst davor hätten, im Falle des Scheiterns stigmatisiert zu werden, findet Frank Thelen. „Es gibt in Deutschland schon mehr Gehässigkeit als in den USA.“ Er fordert eine andere Einstellung. Gründer und Gründerinnen schafften eben die benötigten Innovationen und neue Ideen.

Thelen beobachtet auch, dass sich viele aus den falschen Motiven selbstständig machen. „Zu gründen, um Geld zu verdienen oder um mehr Flexibilität zu haben, ist einfach kein guter Plan.“ Gründen sei enorm hart und viele würden das Arbeitsvolumen unterschätzen. „Deswegen sollte man nur gründen, wenn man wirklich für das Thema brennt. Wenn man sagt, ich kann von morgens bis abends an nichts anderes mehr denken“, rät Thelen.

Frauen haben es immer noch schwerer, als Gründerin durchzustarten und an Kapital zu kommen. Tanja Lenke, CEO von She-Preneur, will selbstständigen Frauen dabei helfen, ein Unternehmen aufzubauen. „Frauen haben ganz andere Herausforderungen“, sagt sie. Sie würden sich viele Sachen nicht trauen und oft viel kleiner denken. Sie seien viel vorsichtiger beim Thema Gründung und auch beim Investieren. Auch Lenke ließ sich bei ihrer ersten Gründung von Kunden jeden Stock hinhalten, über den sie gesprungen ist, arbeitete praktisch rund um die Uhr. „Die Auftraggeber wollten teilweise alle gleichzeitig etwas von mir. Ich wollte mich selbstständig machen, damit ich freier bin und damit ich mich eben auch mehr entfalten kann, aber das Gegenteil war der Fall.“ So gründete sie 2016 nach Hamsterrad und Sinnsuche ihre zweite Firma She-Preneur. Kundinnen sind junge Frauen, sie sich selbstständig machen wollen. Aber auch solche, die schon sehr weit gekommen sind und nun eher vor der Frage stehen, wie sie mit weniger Zeitaufwand mindestens dasselbe erreichen. „Bei denen geht es thematisch vornehmlich um den Aufbau von Strukturen und um das Thema Selbstorganisation“, sagt Lenke.

Die Zahl der Gründerinnen steigt zwar, aber die Motive sind nicht immer ideal, meint sie. „Viele Frauen machen sich eher aus einer Not heraus selbstständig und nicht, weil sie das gerne möchten“ – oft nach der Geburt, wenn sie nicht mehr die Möglichkeit haben, in ihren alten Job zurückzukehren und mehr Flexibilität brauchen, als es ihr Arbeitgeber gestattet. Viele kommen in Teilzeit nicht mehr in ihre vorherigen Aufgaben und fühlen sich „zu wenig herausgefordert und haben das Gefühl, ihr Potenzial wird nicht mehr genutzt“, sagt Lenke. Da kommt die Selbstständigkeit wie eine Verheißung daher. Aber: „Frauen wollen oft alles perfekt machen und stehen sich dadurch selbst im Weg.“ Und sie würden gerade im Hinblick auf das Honorar „viel zu klein denken“.

Das dritte Hemmnis für Gründerinnen und Gründer ist die Bürokratie. Zwar hat der Start-up-Verband zusammen mit der Bundesregierung im Rahmen der nationalen Start-up-Strategie 130 Maßnahmen entwickelt und rund die Hälfte bereits umgesetzt, aber der Weg ist noch weit. „Deutschland ist kein einfacher Standort für Start-ups. Ein Unternehmen zu gründen, das wird einem an allen Ecken und Enden schwer gemacht. Das andere ist, dass anders als zum Beispiel in den USA Rentenfonds nicht in Start-ups investieren. Das heißt, es gibt weniger Kapital“, sagt Sara Marquart, die mit ihrem Bruder Planet A Foods gegründet hat und erfolgreich ist. Andererseits: „Wir sind Unternehmer und haben die Aufgabe, aus den Rahmenbedingungen, die uns gegeben werden, das Beste zu machen. Man kann viel jammern und viel klagen, aber wir schauen nach vorne und freuen uns jeden Tag ­darauf, die Firma größer zu machen.

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