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Vergütung > Bürgergelderhöhung

Chef, die Arbeit lohnt sich nicht. Ich nehme lieber Bürgergeld.

Lohnt es sich angesichts der nächsten Erhöhung des Bürgergeldes noch, arbeiten zu gehen? Das beantworten immer mehr Menschen mit Nein und kündigen. Unternehmer sind angesichts des Personalmangels verzweifelt. Und die Regierung tut – nichts.

Lohnt sich die Arbeit bei einer Bürgergelderhöhung noch? Bild: Shutterstock

Die Beispiele häufen sich: Der Chefarzt eines Berliner Krankenhauses findet keine Pfleger mehr, die die Betten schieben. Bewerbungen? Fehlanzeige. Und die, die da sind, spielen mit dem Gedanken zu kündigen. Warum? „Bürgergeld lohnt sich mehr“, erhalte er als Antwort. Oder in der Reinigungsbranche. Dort zu arbeiten, ist aus mehreren Gründen kein Zuckerschlecken: Die Arbeitszeiten sind dann, wenn andere lieber schlafen, und Fensterputzer müssen mit Wind und Wetter zurechtkommen. Rund 700.000 Menschen sind hierzulande in der Branche tätig. Viele Firmen haben jetzt schon Mühe und Not, an hinreichend verlässliches Personal zu kommen. Nach neuesten Zahlen vergrößern sich ihre Sorgen in naher Zukunft zusätzlich. Warum? Wegen des Bürgergelds, das nun auch noch zum 1. Januar 2024 um zwölf Prozent erhöht wird. Die Reinigungs-Unternehmen stöhnen deswegen: Immer mehr Beschäftigte kündigen und begründen das damit, dass sich die Plackerei nicht mehr lohne angesichts der kleiner werdenden Differenz zwischen ihrem Arbeitslohn und dem Bürgergeld. 
 

In sieben von zehn Unternehmen gab es Kündigungen wegen des Bürgergelds

Ob dieser empirische Eindruck stimmt, wollte der Bundesinnungsverband des Gebäudereinigerhandwerks (BIV) genau ermitteln und befragte seine 2500 Mitgliedsunternehmen. Das Ergebnis: Knapp 30 Prozent der Unternehmen gaben an, dass bei ihnen „bereits mehrere Beschäftigte mit konkretem Verweis auf das Bürgergeld gekündigt oder eine Kündigung in Aussicht gestellt haben“. Weitere 40 Prozent haben Einzelfälle erlebt, wo das bereits passiert ist. 
Thomas Dietrich sieht darin einen Weckruf: „Dass das neue Bürgergeld bei sieben von zehn Unternehmen in Deutschlands beschäftigungsstärkstem Handwerk die Personalnot verschärft, sollte die Politik dringend alarmieren“, sagt der Bundesinnungsmeister der Gebäudereiniger: „Die Balance zwischen Fordern und Fördern sowie sozialem Ausgleich und Anreiz zur Arbeit darf nicht verloren gehen, sonst droht eine gefährliche Entwicklung für den Arbeitsmarkt, die Wirtschaft und die Leistungsfähigkeit unseres Standortes.“ 

Lohnt es sich, für die Differenz zwischen dem Gehalt und Hartz IV, inzwischen Bürgergeld, noch arbeiten zu gehen? Diese Frage ist seit Jahren heiß diskutiert und hochbrisant. In Zeiten, wo in vielen Branchen Personalmangel ein Thema ist, gilt das in doppelter Hinsicht: Es gilt die Balance zu wahren zwischen sozialer Gerechtigkeit und dem Ausnutzen von Leistungen zu Lasten der Allgemeinheit inklusive der Unternehmen. Diese Balance scheint mit der erneuten Erhöhung des Bürgergeldes jedoch aus dem Gleichgewicht zu geraten. 

Schon im Januar 2023 hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Bürgergeld-Leistungen um rund 12 Prozent erhöht. Jetzt steigen die Geldleistungen für eine Familie mit drei Kindern von bisher 1988 Euro ab dem nächsten Jahr auf 2230 Euro – plus die Kostenübernehmer einer Wohnung. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz erkennt „ein Problem mit dem Lohnabstandsgebot“. Und die FDP verlangt lautstark, die Arbeitsanreize für Sozialleistungsbezieher zu verbessern – was übrigens auch im Koalitionsvertrag steht. Dagegen steht die Front der Sozialverbände unterstützt vom arbeitnehmernahen Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). 

Sozialverbände, Arbeitnehmervertreter und Teile der Politik argumentieren: Dann erhöht doch die Löhne, allen voran den Mindestlohn! Der steigt im Januar von 12 auf 12,41 Euro. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang will ihn sogar auf 14 Euro anheben. Doch so einfach ist es nicht, wie das Beispiel Gebäudereiniger zeigt: Die Branchenmindestlöhne auch für einfache Hilfskräfte gelten in der Gebäudereinigung für praktisch alle Betriebe, und sie steigen zum 1. Januar 2024 von 13 auf 13,50 Euro. Fachkräfte und Beschäftigte in der Glas- und Fassadenreinigung erhalten von Januar 2024 an mindestens 16,70 Euro. 

Für 2,30 Euro mehr die Stunde geht keiner arbeiten

Doch diese Rechenspiele sind das eine. Die Frage, unter welchen Bedingungen sich die Arbeit auch lohnenswert anfühlt, ist etwas anderes. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat dazu kürzlich eine Studie veröffentlicht mit einer plakativen Rechnung: Im Vergleich zu einem Arbeitslosenhaushalt kommt die Familie, in der ein Elternteil arbeitet und mit Bürgergeld aufstockt zu Mehreinnahmen von 378 Euro. Mal angenommen, dass er oder sie dafür 38 Stunden arbeiten war, entspräche das einem rechnerischen Nettostundenlohn von 2,30 Euro. 

Das fühlt sich nicht nur für Beschäftigte in der Reinigungsbranche wenig an. Die sind laut der Bewertungsplattform Kununu übrigens bei weitem nicht die Berufsgruppe, die am schlechtesten verdient und am unzufriedensten ist. Hier sieht es in Bäckereien und Friseursalons besonders schlecht aus. Sie haben ohnehin mit steigenden Preisen zu kämpfen und einige müssen derzeit auch noch Corona-Hilfen zurückzahlen. Das neue Bürgergeld macht vielen nun zusätzlich Sorgen. „Die Schere zwischen Vollarbeit und Bürgergeld wird immer kleiner. Viele überlegen sich, ob es sich überhaupt noch lohnt, Vollzeit arbeiten zu gehen“, sagt Jens Schmidt, Obermeister der Friseurinnung in Heilbronn-Öhringen. Das höre er „durch die Blume“. Der Mix aus Minijob, Schwarzarbeit und Bürgergeld sei für viele sehr attraktiv. Ähnliches hört man von Handwerkskammern. Ulrich Bopp, Präsident der Handwerkskammer Heilbronn-Franken, meint: Das Problem beim Bürgergeld sei, dass der Abstand zwischen den Nettolöhnen und den erhöhten Sozialleistungen immer kleiner werde. Das sei nicht hinnehmbar, Arbeit müsse sich lohnen. Sozialverbände argumentieren dagegen: Wer Bürgergeld empfängt, zahlt nicht in die Sozialversicherung ein. Später bei der Rente würde sich das spürbar niederschlagen. Arbeit lohne sich auf lange Sicht also doch. Frage ist nur, ob da jeder heute schon dran denkt. 

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