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Vergütung > Mitarbeiterzufriedenheit

Mit Geld nicht zu bezahlen

Unternehmen motivieren ihre Belegschaft verstärkt mit Angeboten für Familie, Gesundheit und Vorsorge. Die neuesten Vergütungstrends im Überblick.

Tief durchatmen: Manche Unternehmen lassen Yoga am Arbeitsplatz zu. Denn wer in sich ruht, ist leistungsfähiger und wird seltener krank.© Master1305/Shutterstock.com

Herzbeben in Spexard, einem Ortsteil von Gütersloh, Nordrhein-Westfalen. Rund 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter feiern schon den ganzen Tag über auf dem Außengelände von Werk 3 des Küchenherstellers Nobilia. Mit dabei: ihre Familien. Ein Riesenrad dreht fröhlich seine Runden und am Abend passiert das, worüber schon seit Stunden gemunkelt wurde. Deutschlands Nummer eins betritt die Bühne. Helene Fischer. Genaue Kosten unbekannt, sie dürften nennenswert sechsstellig sein. So feiern Firmen, denen es gut geht und die ihren Leuten etwas zurückgeben wollen. Eine Art Bonuszahlung, nur nicht in Geld.

Selten hat sich beim Thema Vergütung so viel getan wie in diesen Monaten. Die Gründe sind vielfältig: Die Anspruchshaltung der Mitarbeiter wächst, die der potenziellen Neuzugänge ohnehin. Das Gehalt gilt als Basis, aber reicht bei weitem nicht mehr aus, um sich als Unternehmen von der Konkurrenz abzusetzen. Vor allem werden in Krisenzeiten mit all dem rasanten Wandel Sicherheit und Gesundheit wichtiger als die Höhe der Entlohnung. Deshalb setzen Konzerne und auch Mittelständler verstärkt darauf, Mitarbeitern zu helfen, diese Fragen zu beantworten: Wie bekomme ich mein Leben und den Job bestmöglich in Einklang? Wie verringere ich Stress? Und bleibe psychisch wie physisch möglichst gesund? Und wie sorge ich fürs Alter vor? Oder für den Fall, dass ich doch einmal krank werde? 

Betriebe bauen ihre Angebote bei allem aus, was ihre Belegschaft widerstandsfähiger macht. Im Idealfall ist die Folge, dass Mitarbeiter seltener krank sind, sich durch einen guten Versicherungsschutz sicherer fühlen und spüren, dass sich ihr Arbeitgeber für sie als ganzen Menschen interessiert. Nicoletta Blaschke, Leiterin des Geschäftsbereichs Health & Benefits bei der Beratungsfirma WTW, zählt vier Dimensionen des „Wellbeings“ auf, wie der Komplex im Fachjargon heißt: physisch, psychisch, sozial und finanziell. Uneigennützig ist das nicht. Die meisten Unternehmen wollen damit die Produktivität verbessern. Gesunde arbeiten nachweislich motivierter und effizienter. Und für drei von fünf Beschäftigten sind Gesundheitsprogramme des Arbeitgebers ein entscheidender Grund, im Unternehmen zu bleiben oder ausschlaggebend, beim aktuellen Arbeitgeber zu bleiben. In Zeiten des Fachkräftemangels ein wichtiges Thema.

Neben den Versicherungen wird dabei immer mehr auch gefühlte Sicherheit wichtig. Sogenannte Employee-Assistance-Programme zum Beispiel nehmen unter anderem den demografischen Trend auf, dass sich bald immer mehr Mitarbeiter um ihre Eltern kümmern müssen. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt, oft wohnen und arbeiten deren Kinder nicht mehr in der Nähe. Dies belastet die Beschäftigten gedanklich. Und es birgt ein erhebliches Risiko für Unternehmen, weil viele Mitarbeitende ihre Arbeitszeit verringern oder sogar ausscheiden, etwa um die Eltern zu pflegen.

Firmen bieten unterstützt von Dienstleistern Rat und Tat, um das Gefühl von Überlastung nicht entstehen zu lassen. Einige Unternehmen haben ein Budget für Notfälle angelegt und helfen spontan, andere bieten den Mitarbeitenden bei Diagnose der Pflegebedürftigkeit eines Familienmitglieds eine feste Geldsumme sowie Zugang zu Pflegedienstleistern. „Das beruhigt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und führt dazu, dass sie weiterarbeiten können“, sagt WTW-Beraterin Blaschke. Der Arbeitgeber handele zwar nicht selbstlos, zeige aber seinen Beschäftigten, wie wichtig es ihm sei, dass er sein Leben insgesamt gut managen könne.

Die Firma sorgt vor

Für die Gesundheit der Beschäftigten gehören Vorsorgeangebote inzwischen zum Standard, zum Beispiel eine betriebliche Krankenversicherung (bKV). Sie wird durch den Arbeitgeber organisiert und meist auch finanziert. Es ist eine Zusatzversicherung zur gesetzlichen Absicherung. Ende 2022 haben rund 22.300 Unternehmen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine solche Kranken- oder Pflegeversicherung angeboten. Damit hat sich die Zahl der Betriebe seit 2015 mehr als vervierfacht. Gezählt werden nur die Arbeitgeber, die die Beiträge für ihre Mitarbeitenden vollständig tragen.

Mit der Zahl der Unternehmen steigt auch die Zahl der Beschäftigten, die von einer solchen Absicherung profitieren, kontinuierlich. Ende 2022 hatten knapp 1,8 Millionen Personen eine betriebliche Kranken- oder Pflegeversicherung. „Das Wachstum bei der betrieblichen Krankenzusatzversicherung zeigt die Bereitschaft der Arbeitgeber, sich für die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu engagieren. Es ist aber auch Ausdruck für den immer stärker werdenden Wettbewerb um Fachkräfte“, sagt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

Schon in älteren Umfragen hatten Fachkräfte der betrieblichen Krankenzusatzversicherung den Vorzug vor anderen Extras wie etwa Mobiltelefonen oder Fahrkarten für den Personennahverkehr gegeben. Mittlerweile wäre jedem vierten Arbeitnehmer solche Versicherung, die der Chef zahlt, sogar wichtiger als eine Gehaltserhöhung. „Zum einen wollten wir unseren Mitarbeitern etwas Gutes tun. Auch wir als Arbeitgeber profitieren von einem gesunden Team. Zum anderen ist die bKV ein wichtiger Faktor beim Halten und Gewinnen von Mitarbeitern“, sagt Maike Theine, Human Resources Managerin bei GKN Powder Metallurgy. Bei Einstellungsgesprächen seien die Bewerber immer positiv überrascht, wenn das Thema angesprochen werde.

Leistungen einer solchen Versicherung sind zum Beispiel Zweibettzimmer und Chefarztbehandlung im Krankenhaus sowie eine Zahnversicherung oder Vorsorgeuntersuchungen. Auch Familienmitglieder der Mitarbeiter können sich für die Leistungen entscheiden. Die Beschäftigten seien anfangs recht skeptisch gewesen, weil sie die Beiträge damals versteuern mussten, sagt Personalmanagerin Theine. „Doch als die ersten Mitarbeiter Leistungen aus der Versicherung in Anspruch genommen hatten, hat sich das geändert.“ Seit einigen Jahren können die Beiträge steuer- und sozialabgabenfrei gewährt werden, was die Situation für die Unternehmen nennenswert erleichtert.

Neben der Krankenversicherung ist die betriebliche Altersvorsorge (bAV) immer wichtiger, um seine Beschäftigten zu halten oder anzulocken. Ein Grund ist das zunehmende Bewusstsein, die gesetzliche Rente allein werde nicht ausreichen, sodass viele zusätzlich vorsorgen müssten. Der Arbeitgeber kann mit der betrieblichen Altersvorsorge helfen. Er unterstützt zum einen finanziell, zum anderen hilft er auch bei organisatorischen Fragen. Und ein Unternehmen bekommt als Großabnehmer bei den Versicherern häufig bessere Konditionen oder hat zumindest eine bessere Verhandlungsmacht. Und mittlerweile können auch kleine und mittlere Unternehmen mit vertretbarem Aufwand betriebliche Altersversorgung anbieten. Doch gute bAV-Angebote zu haben, nützt nur halb, wenn die Kommunikation nicht optimal ist. Die Beschäftigten sollten die Angebote hinreichend kennen, also mitbekommen, dass es sie gibt. 82 Prozent der Unternehmen geben zu, ihre Mitarbeiter verstünden die komplexen Anlagekonzepte nicht.

Das ist vor allem deshalb ärgerlich, weil solche Vorteile nur einmal ausgegeben werden können. Und gerade bei allem was die Mitarbeiter neben dem Gehalt binden kann, haben viele Mittelständler keine klare und vor allem auch nachhaltige Linie. Mit teils überraschenden Folgen: „Familienunternehmen haben erkannt, dass sie mehr machen müssen und das tun auch viele, aber manchmal ist es sogar zu viel und am Thema vorbei. Wir sehen hier regelmäßig Einsparpotenzial“, sagt WTW-Expertin Blaschke. Es gebe gute Vorsätze und teilweise sogar ein großes Angebot, aber das werde nicht immer mit System zusammengestellt. Wo es bei den Konzernen im Deutschen Aktienindex Dax seit langem spezialisierte Abteilungen für Vergütung und Benefits-Strategie gibt, fehlt im Mittelstand oft die Erfahrung oder auch die benötigte Kapazität.

In einer Umfrage ermittelte WTW, dass 58 Prozent der Unternehmen meinen, ihre aktuelle Benefits-Strategie sei nur wenig effektiv. Es gibt aus Sicht von Blaschke ein zentrales Problem. „Die Wirksamkeit des Benefits-Angebotes steht und fällt mit der Kommunikation.“ Diese sei oftmals noch analog und statisch. „Häufig kennt nur ein geringer Prozentsatz der Beschäftigten im Mittelstand die Programme, die ihr Arbeitgeber anbietet“, stellt Blaschke fest. Deshalb solle die intelligente und regelmäßige Kommunikation der Angebote auch via App und andere digitale Kanäle den Unternehmen etwa fünf Prozent der Gesamtausgaben für flexible Vergütungsbestandteile wert sein.

Dabei wächst das Angebot stetig. Ein Beispiel ist Julia Neuen, vierfache Mutter und Doppel-­Gründerin. Ihr Start-up Storchgeflüster aus dem niedersächsischen Langwedel ist inzwischen die größte Plattform für Onlinekurse bei Kinderwunsch und Schwangerschaft im deutschsprachigen Raum. 2022 gründete sie zudem Peaches Benefits, um die Anzahl der Frauen in Fach- und Führungspositionen zu steigern und Unternehmen familienfreundlicher zu machen. Weltweit bieten Firmen Beschäftigten sogenannte Fertility Benefits an. Der Trend ist im deutschen Mittelstand bisher wenig bekannt. Neuen hat Modelle aus dem Ausland an die gesellschaftlichen und ethischen Anforderungen in Deutschland angepasst. 

Unternehmen bekommen eine White-Label-Lösung. Dem Datenschutz werde Genüge getan, weil die Personalabteilung des Unternehmens keinerlei Infos erhalte, welche Mitarbeitenden die Benefit-Leistungen von Peaches nutzten, sagt Neuen. Die Personaler bekommen ein Dashboard, damit sie sehen können, ob sich das Engagement lohnt, aber eben keine Namen.

Peaches betreut die Mitarbeiterinnen in vielen Phasen, die wichtig sind für Frauen: Bei weiblichen Gesundheitsthemen, im Kinderwunsch, während der Schwangerschaft, bei der Geburt, während der Elternzeit, nach einer Fehlgeburt – und auch wenn es zurück in den Job geht. Im Ausland haben Fertility Benefits dazu geführt, dass in den Unternehmen die Rekrutierungsquote steigt und dass die Frauen, die solch ein Angebot haben, in den Unternehmen geblieben sind und auch schneller wieder aus der Schwangerschaft zurückkommen. Zudem schaffen es diese Betriebe, mehr Frauen in Führungspositionen zu holen. Allerdings sind die Krankenkassensysteme im Ausland oft anders als in Deutschland.

Genussvolle Firmenevents

Auch bei den Events ziehen immer mehr Arbeitgeber die soziale Karte. Etwa wenn es um Schokolade geht. Es gibt wohl kein Produkt, wo Wahrheit und Wahrnehmung so weit auseinanderliegen. Wenn ein US-Konzern die Verbraucher mit Pseudo-Regionalität und glücklichen Kühen darüber hinwegtäusche, dass sich in Afrika Kinder bei der Kakaoernte die Finger abschnitten, müssten wir dagegen etwas tun, dachten sich die Gründer von Theyo in Berlin. Also aufklären. Als die Corona-Lockdowns das Interesse an Firmenveranstaltungen aus der Ferne erhöhten, war ihre Idee vom Start weg erfolgreich. Firmenevents mit genussvollem Schokoladentest – online oder in Präsenz – und ethisch wertvoller Botschaft.

Bei den Theyo-Workshops naschen Kolleginnen und Kollegen nicht nur gemeinsam, oft vor dem Bildschirm aus der extra zugesandten Testkiste, sondern lernen auch, welche Schokolade man guten Gewissens essen kann. „Wir kriegen sehr viel Rücklauf, dass sich das Verhalten der Menschen ändert, wenn sie an unseren Workshops teilgenommen haben“, sagt Moritz kleine Bornhorst, der Theyo gemeinsam mit Madita Best gegründet hat. „Viele Gäste greifen danach nicht mehr zur Supermarktschokolade – viele sind geschockt. Es ist eine andere Form von Veranstaltung und gibt dem Firmenevent mehr Relevanz.“ Das Unternehmen, das Theyos Dienste in Anspruch nimmt, zeigt sich den eigenen Beschäftigten gegenüber in Alltagsfragen als umsichtig. Und hofft außerdem, die Mitarbeitenden so zu halten – ganz ohne mehr Gehalt.

Prognose Gehaltsentwicklung 2024 

Wie sich die Entlohnung entwickeln dürfte, ermittelt die Beratungsfirma Kienbaum Jahr für Jahr in einer großen Umfrage. Für 2024 erwarten die Experten ein Plus von 4,7 Prozent brutto. Das liegt nennenswert über der erwarteten Inflationsrate von ungefähr drei Prozent. Fast alle befragten Unternehmen wollen die Kosten für höhere Gehälter ausgleichen, indem sie produktiver werden und vor allem wachsen. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit dem Gehaltsplus im Mittelfeld. In Frankreich sollen die Bezüge um 4,2 Prozent steigen, in Österreich um 6,5 Prozent.

Das Topmanagement in Deutschland wird wohl 4,5 Prozent mehr Geld bekommen, Spezialisten und Fachkräfte sogar 5,4 Prozent – die einzigen, deren Plus über dem Schnitt liegt. Regionalen Unterschiede sind vor allem beim Einstiegsgehalt erheblich, wie die Beratung Robert Half ermittelt hat. Hamburg liegt 15 Prozent über dem Durchschnitt, München 14 Prozent, Frankfurt zwölf Prozent. Allerdings sind die Lebenshaltungskosten in diesen Städten auch überdurchschnittlich hoch. 

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