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Personal > Teilzeit und Vier-Tage-Woche

Mehr Wirkung in weniger Zeit - so könnte es funktionieren

Der deutsche Arbeitsmarkt läuft auf ein Desaster zu, wenn es Organisationen nicht schaffen, dass ihre Beschäftigten in weniger Zeit mehr Wirkung entfalten. Eine Anleitung in sieben Schritten.

Mann in Hamsterrad
Ausbrechen aus dem Hamsterrad: Viele Beschäftigte stecken im Räderwerk zwischen sinnlosen Routinen und zusätzlichen Aufgaben. Dazu kommt der Zeitdruck. Eine KI-Software hat die Lage in ein Bild übersetzt.Bildquelle: KI-generiert/Shutterstock.com

Dem einen ist der Krötentag wichtig, dem anderen ein kleiner roter Zeitfresser-Stoffdrache und bei der sogenannten Pomodoro-Technik könnte man glauben, sie sei einem Fußballtaktikbuch entsprungen. An Ratgebern zum Zeitmanagement mangelt es nicht – zumindest nicht für einzelne Personen. Die Nachfrage ist auch hoch. Nach einer Forsa-Umfrage für die Krankenkasse DAK wollen allein 70 Prozent der unter 29-Jährigen Druck aus dem Stresskessel bei der Arbeit nehmen. Und das sind nur die Berufsanfänger. Was sollen da erst die 30- bis 45-Jährigen sagen, die praktisch in der Rushhour ihres Lebens stecken? Doch die meisten Tipps, von denen in Büchern oder Zeitungsartikeln zu lesen sind, bringen die Menschen im Alltag kaum weiter oder widersprechen sich sogar.

Am Ende steht die Erkenntnis, dass es ohne den Arbeitgeber nicht geht. Ihm muss es gelingen, dass mehr in weniger Zeit geschafft wird, ohne dass die Beschäftigten ausbrennen. Das ist eine der zentralen Aufgaben für Firmen in den kommenden Jahren. Denn der Personalmangel in Deutschland wird zu-, die Zahl der geleisteten Stunden abnehmen. Schon jetzt gibt es den Effekt. Bisher schaffen es nur sehr wenige Arbeitgeber, damit umzugehen. Unter anderem, weil die Probleme oft zu vereinfacht dargestellt werden. Zur Wahrheit gehören sieben große Widersprüche auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Und wer sich nicht sauber darauf einstellt, wird Schwierigkeiten bekommen – wobei es keine allgemeine Lösung gibt.

Paradox Nummer 1: Es wird mehr gearbeitet, doch nicht alles geschafft

Obwohl in Deutschland mehr Stunden geackert werden als je zuvor, bleibt irrwitzig viel Arbeit liegen. Im vergangenen Jahr waren es 54 Milliarden Stunden, vier Milliarden Stunden mehr als vor zehn Jahren. Und trotzdem reicht es nicht, weil es mehr zu tun gibt. Überall steigt der Bedarf: wegen der Alterung in der Pflege, wegen des Kitaausbaus in der Erziehung, wegen der Digitalisierung in der IT, wegen der Energiewende im Handwerk. Insolvenzverwalter sehen in einigen Branchen sogar eine direkte Verbindung zwischen Personalmangel und Pleiten. Das gilt vor allem für Betreiber von Pflegeheimen, aber auch schon im Handwerk.

Wer nach Lösungen sucht, wird fündig bei der Frage, wer den größten Beitrag zum Anstieg der Erwerbstätigkeit leistet: der öffentliche Sektor. In den vergangenen fünf Jahren entstanden gut zwei Millionen Stellen neu, mehr als ein Drittel davon in einem Bereich, den Staat und Sozialversicherung dominieren. Denn die öffentliche Verwaltung verschafft sich – und in der Folge den Unternehmen – immer mehr Arbeit durch immer mehr Vorschriften. Die Lösung liegt im Bürokratieabbau und in der Digitalisierung der Verwaltungen. Wer darauf spezialisierten Beratern zuhört, erfährt allerdings, dass nicht jede Amtsleitung auf Synergieeffekte und damit verbundene Personalkürzungen erpicht ist.

Paradox Nummer 2: Es gibt mehr Arbeitende und gleichzeitig mehr Arbeitslose

Die Zahl der Erwerbstätigen stieg im Jahr 2023 auf einen Rekordwert, und das mitten in der Rezession. Die Arbeitslosigkeit kletterte der Bundesagentur für Arbeit (BA) zufolge im Schnitt gleichzeitig um acht Prozent auf 2,61 Millionen. Für 2024 erwartet die BA ein weiteres Plus. Ein wesentlicher Grund dafür ist die zunehmende Migration nach Deutschland in den vergangenen Jahren. Es standen mehr Menschen zur Verfügung, einen Job zu übernehmen. Aber es gibt eben auch immer mehr, denen das bisher nicht gelingt.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) mag die Höchstwerte bei der Beschäftigung für 2023 bejubeln. „Das ist gut für unseren gemeinsamen Wohlstand, denn so können wir kraftvoll in die Zukunft investieren.“ Aber er ist mit seinem Nachsatz „Jede und jeder wird gebraucht“ allem Anschein nach zu optimistisch. Denn der Arbeitsmarkt ist zweigeteilt, wie auch die BA lauter erklärt, als es mancher in der Regierung hören möchte.

Die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt sich. Eine steigende Zahl an Menschen droht, dem Arbeitsmarkt dauerhaft verloren zu gehen. Gleichzeitig wird die Nachfrage nach gut qualifizierten Arbeitskräften erheblich steigen, für hinreichend Qualifizierte endet das Jobwunder der vergangenen Jahre keineswegs. Bis 2035 könnte die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte nach Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamts um bis zu 4,8 Millionen sinken. Dabei hat das Institut für Wirtschaftsforschung (IW) schon 2022 rund 1,34 Millionen offene Stellen und 970.000 Menschen auf Jobsuche ermittelt.

Die Lücke von 370.000 ist besorgniserregend genug, aber beim Blick auf die gewünschten Qualifikationen wird das Problem noch weitaus größer. Tatsächlich ließen sich 630.000 der 1,2 Millionen Stellen nicht besetzen, weil die benötigten Kompetenzen fehlten. Einige Branchen stehen unter Druck – das Baugewerbe, der Handel, die Zeitarbeit und Teile des verarbeitenden Gewerbes. Aber vor allem unternehmensnahe Dienstleister und das Gesundheitswesen sowie der Erziehungsbereich suchen fast schon verzweifelt. „Wir werden ziemlich schnell wieder in eine gravierende Personalknappheit kommen, wenn die Konjunktur anzieht“, sagt Enzo Weber vorher, der beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung den Bereich Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen leitet.

Jeder zweite Betrieb in Deutschland kann offene Stellen zumindest teilweise nicht besetzen, wie der Fachkräftereport der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) ergab. Im vergangenen Jahr blieben 1,8 Millionen Stellen unbesetzt. Der DIHK zufolge gingen so rechnerisch mehr als 90 Milliarden Euro an Wertschöpfung verloren. Eine skurrile Folge betrifft die Leiharbeiter. Wo sie früher die Deppen waren, die dieselbe Arbeit für weniger Geld machen mussten, ist es heute immer häufiger umgekehrt. In Mangelberufen kündigen Leute ihre Stelle und wechseln in die Leiharbeit, weil sie dort mehr verdienen und mehr Einfluss auf ihre Arbeitsbedingungen haben.

Gegen die Misere helfen im Wesentlichen zwei Maßnahmen: In Krisenzeiten nicht dem Reflex verfallen, Personal zu entlassen, dass man später im Aufschwung nicht mehr wiederbekommt. Das haben viele Unternehmen schon verinnerlicht, wie BA-Chefin Andrea Nahles sagte. Auch raten Fachleute dazu, die mehr dafür zu tun, ein möglichst guter Arbeitgeber zu sein. Wo weniger gehen, müssen wenige neue geholt werden. Das beginnt beim geschickten Verhalten gleich zum Start und endet im Trennungsmanagement, damit die, die gehen, möglichst gut über ihr altes Unternehmen sprechen.

Paradox Nummer 3: Obwohl die Arbeitszeit sinkt, fühlen wir uns gestresster

Die Folgen der Personalknappheit sehen wir jetzt schon im Alltag. Es fällt schwer, Überstunden abzubauen. Immer wieder springt man für erkrankte Kollegen ein. Züge fallen aus, weil die Bahn zu wenig Leute hat. Die Überlastung des Personals in den Schulen und Krankenhäusern ist besorgniserregend. Handwerker sind kaum zu bekommen. All das stresst die Menschen zusätzlich. Gepaart mit einer gewissen finanziellen Sättigung zumindest in Teilen der Gesellschaft führt das zu dem Wunsch, weniger Stunden pro Woche zu arbeiten. Schon heute gehört die Teilzeitquote hierzulande zu den höchsten in Europa. Dazu kommt die aktuelle Diskussion rund um die Vier-Tage-Woche. Die Arbeitszeitverkürzung der vergangenen Jahre und dazu die kaum steigende Arbeitsproduktivität kann dem Standort angesichts der demografischen Entwicklung stärker zusetzen als die hohen Energiekosten.

Sind die Deutschen fauler als der Rest? Für die Antwort braucht es einen präzisen Blick: 34,6 Stunden arbeitet ein Erwerbstätiger im Schnitt in der Woche, das ist der drittletzte Platz in Europa. Das liegt aber an der hohen Teilzeitquote. Deutschlands Stärke, der hohe Frauenanteil auf dem Arbeitsmarkt, wirkt sich in dieser Statistik negativ aus. Frauen arbeiten im Schnitt nur 21,4 Stunden pro Woche. Betrachtet man nur die Erwerbstätigen in Vollzeit, liegt Deutschland mit 39,5 Wochenstunden im oberen Drittel. 43 Prozent der Frauen und 31 Prozent der Männer in dieser Gruppe machen Überstunden – in keinem EU-Land fallen mehr an. Umfragen zufolge wollen die Vollzeitler weniger arbeiten, die in Teilzeit länger. Hier gibt es reichlich ungenutztes Potenzial für Unternehmen. Durch den Abbau unfreiwilliger Teilzeit würde sich das jährliche Arbeitsvolumen um 691 Millionen Stunden erhöhen, wie das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) errechnet hat.

Eine gute Maßnahme wäre, Kinder- und Altenpflegebetreuung schneller auszubauen. Bereits jetzt verlassen sich hier viele Unternehmen nicht mehr auf den Staat. Der beste Ausweg ist aber, die bestehende Arbeitszeit besser zu nutzen. Zeitfresser, etwa wenig effektive Meetings, dürfte es praktisch in jedem Betrieb geben. Und künstliche Intelligenz könnte hier das schaffen, was Technologie bisher nur bedingt erreicht hat: Die Produktivität nennenswert zu erhöhen. Großes Potenzial haben vor allem kleine und mittlere Betriebe. Viele haben einen geringen Digitalisierungsgrad, weil sie selbst recht einfach zu einzurichtende Software meiden.

Paradox Nummer 4: Arbeiten, ohne produktiv zu sein

Unstrittig wird die Zeit am Arbeitsplatz nicht immer so sinnvoll eingesetzt, wie sie könnte. Im Gesundheitswesen kostet Bürokratie per Zettelwirtschaft Zeit, die am Patienten verbracht werden sollte. Und im Büro haben wir uns eine höchst fragmentierte Arbeitsform angewöhnt von permanenten Unterbrechungen, gepaart mit sinnarmen Meetings und Machtspielen, die gerade Führungskräften Kraft und Zeit rauben. Wer kann schon von sich behaupten, seinen Arbeitstag tatsächlich um die wesentlichen Aufgaben herum zu strukturieren?

Der renommierte Sozialpsychologe David Price hat den Begriff Faulheitslüge geprägt und meint damit die Schuldgefühle, die viele empfinden, wenn sie „nicht genug“ tun. Die meisten Menschen leben in der Illusion, jede Minute des Arbeitslebens – scheinbar – produktiv sein zu müssen – oder sein zu können. „Egal, wie viel wir erreicht oder gearbeitet haben, wir glauben nie, dass wir eine Pause verdient haben“, sagt Price. Doch Rastlosigkeit ist etwas anderes, als wirkungsreich zu arbeiten. Keine Pausen zu machen, macht niemanden effektiver. Zwar liegt beim Thema Produktivität der größte Hebel im Kampf für eine bessere Arbeitswelt, aber hier gilt es, viel geschickter festzulegen, wie sich Wirkung erzeugen lässt und wie nicht.

Die Pseudo-Perfomance-Party sei noch in vollem Gange, meint Price. Viele laufen hektisch herum, sonnen sich in Meetings und verwechseln Geschäftigkeit mit Produktivität. Business ist nicht Busyness, aber genau das setzt sich nur sehr langsam durch. In der Wissenschaft werden diese Gewohnheiten „Skripte“ genannt. Routinen, die sich mal bewährt haben und sich auch dann noch halten, wenn sie nicht mehr sinnvoll sind – und zahlreiche falsche Entscheidungen bedingen.

Die Zukunft der Arbeit kann nur gelingen, wenn Zeit neu bewertet wird. Das Beharren auf (Pseudo-)Effizienz führt zu immer mehr krankheitsbedingten Ausfällen und unmotivierten Beschäftigten. Dabei nimmt die qualitative Belastung zu. Neue Managementmethoden setzen auf mehr Selbststeuerung und Verantwortung auf allen Hierarchiestufen. Das allein wäre nicht negativ, ginge es nicht oft einher mit immer kleinteiligerer Erfolgsmessung über digitale Technologien. Die Produktivität steigt dennoch nicht.

Die Lösung klingt profan. Statt möglichst viele Arbeitsstunden „busy“ zu sein, sollten Arbeitgeber ihren Leuten – wenn möglich – erlauben, zeitlich flexibel zum geforderten Ergebnis zu kommen. Erwiesen ist, dass Teilzeitbeschäftigte produktiver handeln, eben weil sie viel weniger Zeit für eingefahrene Skripte haben. Mehr Flexibilität bieten auch Arbeitszeitkonten. Überstunden entstehen in der Regel nicht in den Wochen, wo es brennt und Vollzeitkräfte auch mal 50 Stunden ran müssen, sondern in den Wochen, wo 30 Stunden reichen würden, aber 40 abgesessen werden. Jahreszeitkonten erlauben Arbeitgebern und Beschäftigten die Flexibilität, die hier nötig ist.

Paradox Nummer 5: Führungskräfte werden schlecht benotet, aber hofiert wie noch nie 

Der größte Zeitfresser ist mangelnde Motivation. Und die speist sich ganz maßgeblich durch das Verhalten der direkten Führungskraft. Gut drei Millionen Menschen zählen in Deutschland dazu. Auf der einen Seite sind sie so begehrt wie nie, wechselwillig und voller Ansprüche, die vor einigen Jahren noch undenkbar schienen. Auf der anderen Seite zeigen Umfragen, dass gerade in Deutschland immer mehr Beschäftigte unter toxischem Verhalten ihrer Vorgesetzten leiden und ihre Motivation verlieren, was Betriebe enorm viel wirkungsvolle Arbeitszeit kostet. Cholerische oder chaotische Chefinnen und Chefs und das ungesunde Betriebsklima, das sie erzeugen, sind der größte Auslöser für Burn-out im Betrieb und der wesentliche Grund, warum Mitarbeiter ein Unternehmen verlassen wollen.

Die emotionale Bindung an den Arbeitgeber sank in Deutschland auf den schlechtesten Wert seit 2012, wie die Meinungsforscher von Gallup herausfanden: Aktuell möchten 23 Prozent der Beschäftigten in Deutschland in einem Jahr nicht mehr bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber tätig sein. 42 Prozent wollen den Absprung binnen drei Jahren wagen. „Es gibt nur einen kleinen Anteil der Arbeitnehmer, die gute Führung am Arbeitsplatz erleben“, sagt Pa Sinyan, bei Gallup Chef der Niederlassungen in Europa, dem Nahen Osten und Afrika. Schuld daran sind viele Faktoren, aber vor allem seien es schlechte Chefinnen und Chefs. Viele von ihnen werden in den Befragungen als respektlos, nicht inklusiv, unethisch, halsabschneiderisch und beleidigend beschrieben. Ein Grund für schlechte Laune bei den Führungskräften: Sie stecken im Dauerkrisenmodus und haben operativ so viel Wandel zu managen, dass fürs Kümmern um die eigenen Leute weniger Zeit bleibt.

Wie es besser geht, zeigt die Forschung. Martin Puppatz, Professor für Wirtschaftspsychologie an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management hat 5000 Führungskräfte in Deutschland im Hinblick auf das sogenannte Big-Five-Modell analysiert. Es gilt seit rund 30 Jahren als Goldstandard der Persönlichkeitspsychologie und lässt Vergleiche mit anderen Ländern zu. Deutsche Chefinnen und Chefs sind weit über Durchschnitt bei „Gewissenhaftigkeit“. Sie lieben detaillierte Planung, Disziplin, Struktur, haben ein hohes Kontrollbedürfnis und neigen zum Perfektionismus. In von Agilität geprägten Zeiten und einer Arbeitswelt, die nach flexiblen Strukturen und schnellen Entscheidungen giert, haben solche Typen Probleme.

Die zweite der fünf Kategorien ist Offenheit – und hier sind deutsche Manager unterdurchschnittlich vertreten. Viel mehr neigen sie zum Gegenpol Beständigkeit. Man liebt hierzulande etablierte Prozesse und hält gern am Status quo fest. Auch die dritte Kategorie Verträglichkeit ist keine Domäne der deutschen Führungskräfte. Wir pflegen einen hierarchischen, statusorientierten Habitus und fahren gern kompetitiv die Ellbogen aus. Besser sieht es in den Kategorien vier und fünf aus, nämlich Extraversion und Neurotizismus. Deutsche Führungskräfte gehen gern auf andere zu, haben ein hohes Aktivierungsniveau und suchen soziale Interaktion. Neurotizismus ist das, was man umgangssprachlich „dickes Fell“ nennt. Die Forscher sahen bei diesen Big Five hierzulande praktisch keine Veränderungen zur Befragung Anfang der 90er-Jahre. Während sich die Welt stark verändert hat, bleiben die deutschen Chefinnen und Chefs gleich. Bestmögliche Wirkung lässt sich so nicht erzeugen. Wandel würde sehr viel bringen.

Paradox Nummer 6: Arbeitgeber tun mehr, doch die Mitarbeiter werden unzufriedener

Mangelnde Motivation kostet den Arbeitgebern viel Zeit. Dazu kommt der Aufwand, wenn Mitarbeiter wechseln – selbst, wenn man sie ersetzen kann. Recruiting ist aufwendig, die Einarbeitung auch, womöglich entstehen temporär Lücken. Hilfreich ist also in mehrfacher Hinsicht, die Beschäftigten bei Laune zu halten. Dafür gibt es Kickertische, Obstkörbe, Yogakurse, Home office, flexible Arbeitszeiten, krachende Betriebsfeiern, kostenloses Mittagessen, Purpose-Offensiven, Sportangebote, Weiterbildung auf einem völlig neuen Niveau, Buddy-Systeme, Reverse-Mentoring, betriebliche Altersvorsorge und natürlich Dienstwagen oder alternativ das E-Bike nebst Jobticket. Die Liste der Maßnahmen ließe sich fortsetzen. Nie wurde so viel getan. Doch genau jetzt sind die Menschen so oft krank, unzufrieden und unmotiviert wie praktisch noch nie, seit die Laune gemessen wird.

Das hat neben dem (Fehl-)Verhalten der Chefinnen und Chefs noch einen weiteren Grund: Das Geld für die sogenannten Benefits wird bei weitem nicht immer zielgerichtet ausgegeben. Bei allem, was die Mitarbeiter neben dem Gehalt binden kann, „fehlt es vielen Mittelständlern an einer nachhaltigen Strategie“, sagt Nicoletta Blaschke, Leiterin des Geschäftsbereichs Health & Benefits bei der Beratungsfirma WTW. Dazu kommt, dass viel nicht unbedingt viel hilft. Weniger kann mehr sein.

Konzernen im Deutschen Aktienindex Dax haben seit langem spezialisierte Abteilungen, die sich um Benefits kümmern. Ein Mittelständler kann und muss sich das vielleicht nicht leisten. Aber etwas mehr Erfahrung und Expertise würde schon helfen. Mehr als die Hälfte der Unternehmen meinen einer WTW-Umfrage zufolge, ihre Benefits-Strategie sei wenig effektiv. Und selbst wenn das Unternehmen eine gute Strategie für die Benefits hat, wissen die eigenen Mitarbeiter oft nicht, was es alles gibt. Wer hier nachschärft, hebt die Motivation deutlich.

Paradox Nummer 7: Zu viel Effizienz lässt die Unzuverlässigkeit steigen

Fristen verstreichen, Rückrufe bleiben aus, Handwerker kommen nicht. Die Misere auf dem deutschen Arbeitsmarkt inklusive des Mangels an hinreichend fähigem Personal zeigt sich in unserer Kerntugend – der Zuverlässigkeit. Dabei ist sie gefragt in einer Zeit, in der vieles aus der Bahn zu geraten scheint. Künstliche Intelligenz wird zumindest auf Jahre nicht für Zuverlässigkeit sorgen – das müssen schon wir Menschen machen.

Wissenschaftler streiten sich zwar, inwiefern die Zunahme an Unzuverlässigkeit derzeit messbar ist. Aber das liegt wohl eher am Mangel an Studien. Einig sind sich Forscher allerdings in der Behebung des Problems. Das beste Mittel gegen Unzuverlässigkeit ist Widerstandsfähigkeit. Die lässt sich zum Teil leicht erreichen: Ein kleiner Überhang bei der Personalplanung mag ineffizient erscheinen, doch Puffer sorgen für Stabilität, zufriedene Kunden und glücklichere Mitarbeiter. Mehr Zeit einzuplanen, spart am Ende Zeit.

Zum Schluss noch ein weiterer Widerspruch, wenn man so will. Irgendwie haben beide Seiten recht, die so erbittert um die Zukunft der Arbeit streiten. Die These „Die Arbeitswelt funktioniert so einfach nicht mehr, weil die Menschen ausbrennen“ ist genauso richtig wie die Aussage von Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: „Ich befürchte, die ganze Gesellschaft hat durch staatliche Fürsorge, durch Rettungsprogramme, Doppel-Wumms und alle möglichen Formen der staatlichen Abfederung vergessen oder verlernt, dass das Geld auch erwirtschaftet werden muss. Dass es am Ende von unser aller eigener Leistung abhängt. Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit.“ Das mag stimmen, aber berechtigt ist auch die Rückfrage. Tun die Arbeitgeber genug dafür, dass die Arbeit auch möglichst viel Bock macht?

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