Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Finanzierung > Finance Summit

Europa ist zu kleinteilig

Die Struktur des europäischen Kapitalmarktes kann mit dem Wettbewerb aus Übersee nicht mithalten. Eine Konsolidierung ist überfällig.

Beim Finance Summit diskutierten Experten bei verschiedenen Panelen rund um die Themen Finanzen und Wirtschaft. Bild: Börse Stuttgart

„Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist so schlecht wie noch nie. Doch wir können ein neues „Made in Germany“ schaffen.“ Walter Sinn, Managing Partner bei der Beratungsgesellschaft Bain, ist trotz der dunklen Wolken am Konjunkturhimmel zuversichtlich. Zur Rückkehr der deutschen Wirtschaft an die Spitze müsse aber unbedingt das Thema Nachhaltigkeit einbezogen werden. „Zudem brauchen wir eine umfassendere Politik und eine höhere Geschwindigkeit.“  Eine wichtige Rolle schreibt Sinn auf dem Panel „Capital Markets“ des Stuttgart Finance Summit den Banken zu. Über sie würden in Europa mehr als 60 Prozent aller Kredite abgewickelt. „In den USA sind es nur 40 Prozent. Darum brauchen wir starke Banken, um den Finanzbedarf der europäischen Wirtschaft decken zu können“, plädiert Sinn.

Er sieht im nachhaltigen Umbau der Unternehmen die Triebfeder zu neuem Wachstum, das die öffentliche Hand befeuern kann. Grüne Transformation sei ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Der Inflation Regulation Act (IRA) in den USA zeige, welchen Schub ein einfach gestricktes Programm auslösen könne. Die Chance bestehe in Europa auch: „Wir sollten dass bei uns nicht mit zu viel Regulierung behindern“, mahnt Sinn. Tatsächlich sehen viele Kreditinstitute ihren Spielraum zunehmend eingeschränkt, wobei die Geldhäuser an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig sind, wie Michael Schleef, Chef der HSBC Deutschland einräumt: „Die Banken haben einiges dazu beigetragen, dass die Regulierung verschärft wurde. Mehr Eigenkapital hat sicher gutgetan. Gleichzeitig stehen wir vor einem Sammelsurium von Regelungen und Reportingpflichten, die behindern.“

Christian Ricken, Vorstandsmitglied der LBBW, hat sich mit den verschärften Regeln Basel 3 und 4 am Ende eines langen Prozesses „angefreundet“. Er verweist allerdings darauf, dass die neuen Taxonomie-Regeln die Banken bei der Unterstützung von Unternehmen deutlich einschränken. Die Politik habe die Kreditinstitute zum Transmissionsriemen ihrer grünen Vorgaben gemacht. Das hat Folgen: „Wir finanzieren zwischen 70 und 80 Prozent Firmen aus den Bereichen Energie, Verkehr und Bau“, so Ricken. Geld bekommen nun nur noch Unternehmen, die eine glaubwürdige Transformationsstrategie vorlegen können, beschreibt der LBBW-Vorstand den Kurs seiner Bank. Die Kreditprüfung sei dabei mit einem Riesenaufwand verbunden. Gerade bei mittelständischen Betrieben könne man die notwendigen Werte nur schwer ermitteln. Da müsse man sich mit Abschätzungen behelfen.

Sein HSBC-Kollege Schleef sieht darin aber auch eine gefährliche Fehlentwicklung am Markt. Um auf Nummer sicher zu gehen, würden Kredite vor allem für grüne Projekte vergeben: „Dabei wäre es besser in die Transformation zu investieren. Also in Projekte von Unternehmen, die sich von braun in Richtung grün bewegen.“ Heiko Beck, Chef der dwpbank, formuliert es sogar noch drastischer: „Es besteht die Gefahr, dass die Taxonomie zum Rohrkrepierer wird, wenn die Anleger nur noch in Windparks investieren.“ Er plädiert deshalb für eine differenzierte Definition, welche Projekte und Prozesse dem Geist der EU-Vorgaben entsprechen.

Um das Potenzial dieser Investitionen überhaupt erkennen zu können, bedarf es allerdings einer tiefgreifenden Analyse. Doch dafür werde in Europa immer weniger Geld ausgegeben, beklagt Christophe Tadié, Vorstandsmitglied von ODDO BHF. Derzeit gingen 3,5 Milliarden Euro in die Research-Abteilungen europäischer Banken. Vor knapp zehn Jahren waren es noch 5,5 Milliarden Euro. Das meiste Geld investieren Investoren aus den USA und Großbritannien in die Analyse der Unternehmen auf dem Alten Kontinent.

Die Entwicklung ist nach Ansicht von Tadié verheerend. Ohne die nötige Expertise würden die europäischen Banken – obwohl sie eigentlich eine so große Bedeutung bei der Finanzierung von Unternehmen haben – das Feld den Amerikanern überlassen. So verwundere auch nicht, dass immer mehr Unternehmen in Übersee nach Geldgebern suchen, da dort ihre Strategie durchdrungen und verstanden wird. „Start-up-Kultur ist eine Form von Industriepolitik. Bis zum Börsengang braucht es viele Zwischenschritte bei der Finanzierung“, pflichtet Sinn bei. Viele Neugründungen würden sowieso nie an die Börse kommen, weil sie zuvor an Private-Equity-Gesellschaften gingen. Damit mehr Kapital zu den Unternehmen gelangen kann, spricht sich Ricken für eine verstärkte Verbriefung von Krediten aus. „Verbriefungen haben aus der Vergangenheit einen schlechten Ruf. Die Qualität ist heute aber viel höher, weil viel genauer geprüft wird.“  Diese Chance hätten die Amerikaner nach der Bankenkrise schneller erkannt und sich früher angepasst. 

Für Schleef ist Europas Kapitalmarkt zu kleinteilig angelegt. „Die Amerikaner können viel mehr Kapital mobilisieren und entsprechend intensiver investieren als ein Fond bei uns.“ Dabei würden allein die Deutschen 30 Milliarden Euro in Wertpapiere investieren. Das Kapital sei also da. Man müsse es nur bündeln. Berater Sinn erwartet deshalb eine weitere Konsolidierung der europäischen Finanzbranche. Selbst die Landesbanken würden inzwischen einzelne Bereiche zusammenlegen, um so ihre Schlagkraft zu erhöhen. Er erwartet in den kommenden Jahren „große europäische Zusammenschlüsse“. Dadurch würden Banken und Versicherungen entstehen, die auch in der Lage seien, große Volumina zu stemmen. „Das ist nur eine Frage der Zeit. Mittelgroße Institute werden in zehn Jahren kaum bestehen können.“

Ähnliche Artikel