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Technologie > Künstliche Intelligenz

So können auch kleinere Betriebe von KI profitieren

Künstliche Intelligenz kann viel, aber der Mittelstand zögert. Mit der richtigen Strategie lässt sich einiges gewinnen.

Wo geht’s lang? KI kann verwirren wie dieses Schnellstraßenkreuz. Und sie bietet viele Möglichkeiten. Nicht alle führen zum Ziel... © anucha sirivisansuwan/Shutterstock.com

Sophia wird nicht müde. Und sie zeigt, warum ausgerechnet künstliche Intelligenz Kundenservice schneller und persönlicher macht: Die KI beantwortet bei der Hotline einer Möbelkette bis zu 10.000 Kundenanfragen pro Monat. Sie gibt Auskunft über Öffnungszeiten, verfügbare Produkte, neueste Wohntrends. Sollte Sophia mit einer Anfrage konfrontiert werden, auf die sie keine Antwort hat, leitet sie an einen Mitarbeiter weiter. Der Chatbot entlastet die Servicekräfte von Routinen bei der Beantwortung von Kundenanfragen.

Technologien wie Sophia gibt es grundsätzlich seit einigen Jahren, nun versprechen die deutlich weitergehenden Fähigkeiten von Bard, ChatGPT und anderen noch persönlichere Beratungsqualität bei gleichzeitig weniger Arbeitsaufwand des Servicepersonals. Die Marktforscher von Gartner sehen bis 2024 ein Wachstum von 24 Prozent. Chatbots der neuen Generation könnten den Kundenservice von heute vollständig umkrempeln. Und das ist nur ein Anwendungsbereich von vielen.

Kein Wunder, dass nicht nur die Techbranche von einem Wirtschaftswunder durch künstliche Intelligenz spricht. Die Möglichkeiten sind immens, die Chancen eher unklar: Nach einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts IW Consult könnte die deutsche Wirtschaftsleistung um bis zu 330 Milliarden Euro wachsen – gut 8,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – wenn die Unternehmen verstärkt generative künstliche Intelligenz einsetzten.

Die Annahme lautet allerdings, dass mehr als die Hälfte der Betriebe das wirklich tun. Bisher, das ergab die Studie auch, sind es nur 17 Prozent. Eine Studie des Digitalverbands Bitkom nährt ebenfalls Zweifel an einem KI-Wirtschaftswunder, denn sie offenbart bei den Betrieben erhebliche Widerstände. 42 Prozent der Befragten stimmten zwar der These zu, dass KI einen Wettbewerbsvorteil bringt. Aber 60 Prozent gaben an, dass der Einsatz von generativer KI für sie derzeit kein Thema ist.

 
Dabei täte der wirtschaftliche Schub dem an Fachkräftemangel leidenden Standort sehr gut. Umgerechnet in konkrete Zeitersparnis zeigt sich: Im Schnitt könnten Arbeitnehmer durch den Einsatz von KI jährlich etwa 100 Arbeitsstunden einsparen, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) errechnet. Die Forscher gehen davon aus, dass bis 2030 rund 4,2 Milliarden Arbeitsstunden nicht mehr geleistet werden können, weil Mitarbeiter in Rente gehen und nicht mehr ersetzt werden können. KI habe zumindest das Potenzial, die entstehende Lücke fast vollständig zu schließen, sagt IW-Direktor Michael Hüther.

Für Amy Webb ist künstliche Intelligenz eine große Chance für Betriebe jeder Größe, wenn man nicht nur drüber redet, sondern auch aktiv wird. „Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, über den Hype hinauszukommen“, sagt die Wissenschaftlerin, die von Forbes als eine der „Five Women Changing the World“ ausgezeichnet wurde und in den USA Investmentfirmen, Konzerne und Regierungsbehörden berät. Sie verfolgt seit den 90er-Jahren die Entwicklung künstlicher Intelligenz und beschreibt im Interview mit Markt und Mittelstand den wesentlichen Fehler, den vor allem deutsche Unternehmen machen. „Die meisten Führungskräfte sehen KI derzeit als eine Möglichkeit, Kosten zu senken, also Personal abzubauen, die Effizienz zu steigern, und das ist wirklich der falsche Weg. Die größten Chancen liegen im Umsatzwachstum.“

Die Zukunftsforscherin wundert sich über die Entwicklung in Deutschland. „Das Land verliert wegen der demografischen Entwicklung Arbeitnehmer, doch es passiert nichts, um über Bildung und Technologie Ersatz zu finden.“ Bundesregierung und Unternehmen investierten in dieser Frage zu wenig. Sie vermisst „den Willen, strategische Risiken zu übernehmen“. Webb befürchtet, dass die aktuelle technologische Revolution an der wichtigsten Volkswirtschaft Europas vorbeigeht. „Die Angst vor KI ist weit verbreitet. Es fällt schwer, sich zu fokussieren, wenn man unsicher ist“, stellt Webb fest. „Wir sollten aber nicht über die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen reden, sondern darüber, was man tatsächlich tun kann.“

Hendrik Reese, KI-Experte der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC, erlebt täglich, wie Mittelständler mit der Einführung von KI-Technologien umgehen. „Es gibt hohe Unsicherheit. Viele spüren, dass man den Erfolg nur im Digitalen und konkret mit künstlicher Intelligenz fortschreiben kann. Aber entweder haben sie keine Ideen zum Einsatz von KI oder zu viele. Und dann ist die Situation oft so, dass sie nicht wissen, wo und wie sie anfangen sollen. Dazwischen gibt es leider relativ wenig.“

Viele sehen das Thema also auf sich zukommen, hadern aber mit den Optionen, was sie konkret damit machen. Wie nähere ich mich? Wie gehe ich als Geschäftsführer damit um? Reese antwortet erst mal grundsätzlich: „Nicht alles, was man kann, sollte man auch tun.“ Heißt: Statt möglichst viele einzelne Lösungen zu nutzen – und das womöglich noch in verschiedenen Abteilungen unterschiedlich – ist ein gesamtheitlicher Blick nötig. Was sind die wesentlichen Probleme, die KI für mein Unternehmen lösen kann? Ist die Skalierung einer Einzellösung auf lange Sicht möglich? Passt die Technologie zu meinem Qualitätsanspruch? Und zu meinen Werten?

Tempo, Tempo

PwC-Experte Reese stimmt der These von Webb zu, dass zu viele Betriebe KI vor allem zur Effizienzsteigerung nutzen wollen und sich dabei zu wenig Gedanken machen, wie sie Geschäftsmodelle mit KI verändern oder gar neue erschließen können. Das Problem ist, dass das sonst die internationalen Wettbewerber übernehmen. Und die müssten gar nicht aus den altbekannten Regionen kommen, sagt Reese. „Der Dreikampf China, USA und Europa könnte bald größer werden. Spieler aus anderen Regionen wie beispielsweise Indien treten durch KI auf den Plan und überspringen womöglich Technologien.“ Das kann deutsche Firmen dort treffen, wo sie führend sind: bei Maschinensteuerung, im Automobilsektor, bei digitalen Medizinprodukten. Viele klassische Produkte, die als unangreifbar galten, bekommen immer mehr Softwareaspekte und werden deshalb anfälliger für Disruption. Dieses Risiko unterschätze so mancher, glaubt Reese. Auch deshalb sei mehr Geschwindigkeit nötig.

Woran hakt es? Fehlendes Wissen? Zu teuer? Kein geeignetes Personal? „Das lasse ich alles nicht gelten“, antwortet der Berater. Zwar steige das Bewusstsein, was mit KI alles möglich sei, es mangele aber an Einsicht, wie gewaltig die Umwälzungen seien. Wer den Einsatz von künstlicher Intelligenz sauber strukturieren will, braucht zunächst ein Kompetenzcenter im Haus, das die gesamte Organisation im Blick hat. Denn am Ende kann praktisch jede Geschäftseinheit von KI-Lösungen profitieren, aber das muss gesteuert werden. Schließlich müssen auch die externen Partner, Kunden und Lieferanten einbezogen werden.

Was komplex klingt, lässt sich vereinfachen, wenn man KI mit Cloud-Infrastruktur zusammen denkt, so ein Unternehmen sie denn nutzt: „In 99 Prozent der Fälle wird KI in der Cloud entwickelt und betrieben“, sagt Reese. Außerdem gibt es bei künstlicher Intelligenz eine klare Entwicklung, Standards zu nutzen und an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Firmen müssen nicht mehr alles selbst programmieren.
Für die nennenswerte Zahl an Betrieben, die mit SAP-Software arbeitet, dürfte sich ohnehin einiges ändern: Der Softwarekonzern setzt nun auch auf KI, die „fundamental verändert, wie Menschen mit unserer Software arbeiten“, sagt Konzernchef Christian Klein. SAP hat Ende September den digitalen Assistenten Joule vorgestellt, der in konzerneigenen Cloud-Anwendungen in Form eines Chatfensters zur Verfügung stehen soll. Joule kann Geschäftszahlen heraussuchen, Stellenanzeigen vorformulieren oder Genehmigungen erteilen, ohne einzelne Menüs aufrufen zu müssen. Im Hintergrund läuft generative KI, die natürliche Sprache verarbeiten kann.

Nächste Revolution

Was Joule im Detail können wird, hat SAP noch nicht gesagt. Weitere Einsatzszenarien in Bereichen wie Beschaffung und Kundenmanagement werden noch bekannt gegeben, genau wie die Kosten. KI soll vor allem helfen, die komplexen SAP-Systeme leichter bedienbar zu machen. Klein spricht von der „nächsten großen Revolution“ und ergänzt: „In Zukunft – und die Zukunft ist nah – werden wir Fragen an einen Co-Piloten stellen, und er wird uns intelligente Antworten geben.“ SAP bietet den Service in der Public Cloud an, den eigenen Rechenzentren. Nur so lasse sich die Datenqualität sicherstellen, heißt es. Derzeit nutzen deutlich weniger als die Hälfte der mittelständischen SAP-Kunden die Public Cloud.

Neben den Softwareherstellern wollen auch große Beratungen an der Unsicherheit verdienen, die rund um KI herrscht. BCG, weltweit Nummer zwei, wollte genau es wissen. 750 Berater probierten weltweit im Rahmen einer Studie aus, wie sich generative KI auf ihre Aufgaben auswirkt. Das Ergebnis ist alarmierend: Zwar förderte KI die Leistung der Berater bei kreativen Tätigkeiten um 40 Prozent. Als es aber um „wertmaximierenden Lösungen“ ging, der Kern des Geschäfts, senkte der KI-Einsatz die Beraterleistung um 23 Prozent.

BCG-Zentraleuropachef Michael Brigl urteilt: „Wir hätten zum einen nicht gedacht, dass diese Technologie unsere Leistung bei kreativen Dingen so deutlich verbessert. Zum anderen hätten wir aber auch nicht erwartet, dass sie bei analytischen Problemlösungsfindungen so schlecht funktioniert.“ Der 49-Jährige warnt vor einem „uneingeschränkten und unkontrollierten Einsatz“ von KI bei Wissensarbeitern. „Es besteht die Gefahr, dass Technologiegläubigkeit und auch Bequemlichkeit dazu führen, dass es zu schlechteren Ergebnissen kommt.“ Die Studie brachte weltweit Aufmerksamkeit, weil die Nervosität rund um KI derzeit so hoch ist. Beruhigt hat sie die Diskussion nicht.

Was für viele Betriebe zum Vertrauen in KI-Technologien beitragen dürfte, sind die entstehenden Prüfsysteme. Europäische Vertreter gelten in der Branche als führend: die Schweizer SGS, Bureau Veritas aus Frankreich und die deutschen Größen Dekra, TÜV Süd und TÜV Rheinland. TÜV Nord hat mit TÜVIT eine Tochtergesellschaft gegründet, die seit 2019 auch künstliche Intelligenz zertifiziert. Noch gibt es keine Prüfpflicht für KI-Anbieter. Aber die EU-Kommission arbeitet daran. Die Auflagen für KI-Anwendungen könnten streng sein. 

Da freuen sich auch Wirtschaftsprüfer. Sie setzen auf die mit der Regulierung einhergehenden Berichterstattungspflichten sowie auf die Prüfung interner Prozesse, um Risiken zu verringern. Hier bilden sich gerade neue Allianzen wie Certifai: Gegründet haben das Unternehmen Ende 2022 Dekra, die Wirtschaftsprüfern von PwC und der Innovationsfonds der Stadt Hamburg. Das Trio will Vertrauen in KI-Produkte aufbauen. PwC-Experte Reese nennt es einen „Elchtest für KI-Modelle“. Je nach Komplexität kann so ein Check zwischen zwei Wochen oder mehreren Monaten dauern. Meistens läuft er parallel zur Entwicklung der KI-Produkte und nicht erst nach Fertigstellung – um Zeit zu sparen.
Die Entwicklung erinnert an die Zeit vor 100 Jahren, als das Auto seinen Siegeszug antrat. Damals wurde die Dekra gegründet – die unabhängigen Prüfer sollten Vertrauen stiften und für Sicherheit sorgen. Jetzt gilt dasselbe für künstliche Intelligenz. Leider ist das bei Hardware deutlicher einfacher als mit Dingen, die man nicht greifen kann.

TECHNOLOGIE MIT SEHR LANGEM ZEITHORIZONT

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Ist KI ein Hype oder eine echte Chance auch für kleinere Unternehmen?

Künstliche Intelligenz ist ein wichtiges Thema für Unternehmen jeder Größe, aber es mag sich im Moment wie ein Hype anfühlen, weil wir alle so viel darüber reden. Die Realität ist, dass es KI schon seit 100 Jahren in verschiedenen Formen gibt. Es handelt sich um eine Technologie mit einem sehr, sehr langen Zeithorizont und wir haben also viele Jahre vor uns. Ich denke, die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, über den Hype hinauszukommen. Führungskräfte sollten lernen, was KI genau ist. Was kann sie leisten? Was kann sie nicht? und wie kannst du sie in deinem Unternehmen nutzen?


Ist KI ein gutes Mittel, damit ­Mittel­ständler ihre Größennachteile ­gegenüber Großkonzernen verringern ­könnten?
Mittelständische Unternehmen können KI unter anderem nutzen, um ihre Effizienz zu steigern. Gibt es zum Beispiel kreative Wege, um weniger Geld für den Betrieb auszugeben? Gibt es kreative Wege, um mehr Kunden zu erreichen? Das geht jetzt schon. Allerdings müssen sich die Mittelständler überlegen, wie sie ihre Daten nutzen wollen. Und das ist eine der Herausforderungen bei KI und Unternehmen. Es gibt echte Probleme mit der Cybersicherheit: Wie wirst du deine Kundendaten schützen? Wem gehören deine Geschäftsdaten? Es gibt also viele Möglichkeiten, KI zu nutzen, aber du musst dir sehr genau überlegen, wem du die Daten deines Unternehmens überlässt und welchen Zugang sie haben.


Wo liegen die größten Chancen für KI?
Ich denke, einige der größten Chancen für KI sind kontraintuitiv. Es geht darum, neue Geschäftsfelder zu schaffen. Die meisten Führungskräfte sehen KI derzeit als eine Möglichkeit, Kosten zu senken, also Personal abzubauen, die Effizienz zu steigern, und das ist wirklich der falsche Weg. Die größten Chancen liegen im Umsatzwachstum. Welche Bereiche kann dein Unternehmen erforschen, die du bisher nicht erschlossen hast? Gibt es neue Produkte, die du anbieten kannst? Neue Dienstleistungen? Neue Geschäftsmodelle? Ich glaube, dass das gerade in Deutschland sehr wichtig ist, weil viele deutsche Unternehmen in einer Art Stagnation leben.