Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Zukunftsmärkte > Investitionsstreitigkeiten

Handelsabkommen Ceta: Das müssen Sie zu Schiedsgerichten wissen

Bald können Unternehmen aus Kanada und der EU Investitionsstreitigkeiten von einem Schiedsgericht klären lassen. So sieht es der Vertrag zum gemeinsamen Freihandelsabkommen Ceta vor. Wir klären die wichtigsten Fragen.

Das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta) ist seit September 2017 vorläufig in Kraft. Vorläufig heißt: Der Teil des Abkommens, der Zollfreiheit und einfacheren Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen sichert, wird umgesetzt. Vollständig in Kraft treten kann das Abkommen aber erst, wenn alle nationalen Parlamente das Abkommen ratifiziert haben. Erst dann wird auch das Investment Court System (ICS) seine Arbeit aufnehmen, das im Abkommen vorgesehen ist.

Hierbei handelt es sich um einen speziellen Gerichtshof, vor dem Streitigkeiten im Zusammenhang mit Investitio­nen europäischer und kanadischer Unternehmen mit den am Abkommen beteiligten Staaten verhandelt werden. Für deutsche Unternehmen erweitert sich dadurch der Rechtschutz bei Investitionen in Kanada, nicht aber in anderen EU-Staaten.

Für welche Fälle wird der Gerichtshof zuständig sein?

Künftig können Unternehmen vor dem ICS gegen eine Entscheidung durch den Staat klagen, von der sie sich geschädigt fühlen. „Wenn beispielsweise ein deutsches Unternehmen Solarpanels auf seiner Lagerhalle in Kanada verlegt und einen Teil des Stroms ins öffentliche Netz einspeisen will, der kanadische Staat aber die Einspeisevergütung kurz­fristig ändert, macht das möglicherweise die Investition unprofitabel“, erklärt Frank Bernardi, Experte für Prozessführung und Schiedsgerichtsbarkeit bei der Steuerberatungskanzlei Rödl & Partner. In diesem Fall könnte sich der deutsche Unternehmer an den Ceta-Gerichtshof wenden und den kanadischen Staat auf Schadensersatz verklagen.

Wie wird das ICS zusammengesetzt sein?

Der Ceta-Gerichtshof soll ein feststehendes Gericht sein, an dem 24 Richter tätig sind: 15 für Gerichtsverfahren der ersten Instanz sowie neun Berufungsrichter. Die Richter stammen zu jeweils einem Drittel aus der EU, Kanada und einem Drittland. Zur Verhandlung der Fälle werden innerhalb des Gerichts Kammern gebildet, denen jeweils ein Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedsstaats, ein Staatsangehöriger Kanadas und ein Staatsangehöriger eines Drittlands als Richter angehören.

Den Vorsitz einer Kammer führt dasjenige Mitglied des Gerichts, das Staatsangehöriger eines Drittlands ist. Die Richter werden vom gemischten Ceta-Ausschuss eingesetzt, der sich aus Vertretern der Europäischen Union und Vertretern Kanadas zusammensetzt. „Da sie davon ausgehen, dass es in den ersten Jahren höchstens eine Handvoll Klagen geben wird, sind die Richter nicht in Vollzeit am ICS beschäftigt, sondern stehen auf Abruf zur Verfügung“, erklärt Marc Bungenberg, Direktor des Europa-Instituts an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken.

Ab dem Zeitpunkt ihrer Ernennung dürfen diese Richter weder als Rechtsberater noch als Sachverständige oder Zeugen bei Investitionsstreitigkeiten tätig werden. Dafür, dass sie jederzeit abrufbar sind, erhalten die Richter eine pauschale Vergütung, die anteilig von allen beteiligten Staaten gezahlt wird und deren Höhe noch nicht feststeht.

Wo können Unternehmen schon heute gegen Staaten klagen?

Klagen eines ausländischen Investors werden normalerweise vor den nationalen Gerichten desjenigen Staates verhandelt, in dem die Investition getätigt wird. Zudem gibt es ein weltweites Netz von bilateralen Investitionsschutzabkommen, in denen von Schiedsgerichten die Rede ist. Diese sind mit nichtstaatlichen Richtern besetzt, die Kläger und Beklagte gemeinsam bestimmen. Deutschland hat solche Abkommen unter anderem mit Kenia und Vietnam. „Mit Staaten, deren nationales Rechtssystem als verlässlich gilt – wie etwa Norwegen, die USA und Australien –, verzichtet die Bundesrepublik auf bilaterale Abkommen“, erklärt Bungenberg.

Mit Einrichtung des ICS erhalten kanadische Investoren Rechtssicherheit auch in denjenigen europäischen Staaten, deren Rechtssystem als unsicher gilt, etwa Rumänien und Bulgarien. Bei Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten innerhalb der EU sind die nationalen Gerichte zuständig. „Der EuGH betont, dass ein schiedsgerichtlicher Investitionsschutz nicht wünschenswert ist, sondern man innerhalb der EU gegenseitig staatlichen Gerichten vertraut“, so Bungenberg. Das bleibt auch nach Ein­richtung des ICS so.

Wie profitieren Unternehmen von der Einrichtung des ICS?

Experten verweisen auf zwei Hauptvorteile:

1. Tempo: Das ICS muss Urteile innerhalb eines Jahres sprechen. „Nachdem der Kläger den Sach­verhalt vorgebracht hat, haben die Richter 180 Tage Zeit für Konsultationen und weitere 180 Tage, um den Beteiligten eine Rückmeldung zu geben“, stellt Bernardi in Aussicht. Auch die Tatsache, dass sich das Gericht nicht erst konstituieren muss, sondern fest eingesetzt ist, beschleunigt die Verhandlung und sorgt zudem für bessere Kostenplanbarkeit.

2. Überprüfbarkeit: Bei normalen Schiedsgerichten gilt das gesprochene Urteil, ohne dass es eine Möglichkeit der Berufung gibt. Am ICS wird es ein separates Berufungsgericht geben, das Urteilssprüche in zweiter Instanz formell und inhaltlich prüft.

Und gibt es auch Nachteile?

Normale Schiedsgerichte bestehen aus drei Richtern, von denen einen der Kläger, einen der Beklagte und den dritten die jeweilige Schiedsgerichtsinstitution bestimmt, an der verhandelt wird. „Diesen Einfluss haben Investoren und Beklagte vor dem ICS nicht, da dessen Richter von den beteiligten Staaten ernannt werden“, erklärt Bungenberg.

Gab es nicht große Proteste gegen Ceta?

Schon während die Verhandlungen zu Ceta liefen, gingen Demonstranten in Europa gegen die Einrichtung dieses Gerichtshofs auf die Straße. Privatwirtschaftliche Konzerne könnten Staaten unter Druck setzen, die dann nicht mehr im öffentlichen Interesse agierten, warnten sie. So schaffte es etwa 2008 der italienische Ölkonzern Eni, eine millionenschwere Entschädigung für den Entzug seiner Förderkonzession in Venezuela zu erwirken. Belgien sah im ICS außerdem einen Verstoß gegen das Unionsrecht und erhob Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Ende April hat der EuGH geurteilt, dass das Konzept des Ceta-Gerichtshofs im Einklang mit Unionsrecht sei. 

Ab wann können Unternehmen denn vor dem ICS klagen?

Nun, da der EuGH sein grundsätzliches Okay zur Einrichtung des ICS gegeben hat, sind die EU-Staaten und Kanada in der Pflicht, das Vorhaben durch eigene Umsetzungsgesetze zu ermöglichen. Mit nationalen Umsetzungsnormen sagen die Staaten zu, die Urteile des ICS so zu vollstrecken, als hätten eigene staatliche Gerichte sie gesprochen. Wenn alle Umsetzungsgesetze ratifiziert sind, wird der Ceta-Gerichtshof eingerichtet – „vermutlich inner­halb der nächsten drei Jahre“, orakelt Bernardi.

Was müssen Unternehmen bis dahin noch tun?

Nichts. Unternehmen müssen ihre AGB oder sonstigen Vertragsgrundlagen nicht an die neue Schiedsgerichtsbarkeit anpassen. 

Wie sieht die Zukunft solcher Schiedsgerichte aus?

Im Vertragstext des Freihandelsabkommens Ceta steht bereits, dass Kanada und die EU darauf hinwirken wollen, eine Art internationalen Schiedsgerichthof einzurichten, dem sich alle Staaten der Welt anschließen. Privatwirtschaftliche Investoren könnten dann ihre Interessen vor ein und derselben Instanz vortragen. Inwieweit sich ein solcher Plan aber tatsächlich umsetzen lässt, steht in den Sternen.

Ähnliche Artikel