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Management > Renaissance der Szenarioplanung

Flexibilität durch Planung

Volatilität wird immer mehr zum Hauptproblem für den Mittelstand. Die Szenarioplanung bietet einen Lösungsansatz.

Die Eurokrise verunsichert nicht nur die Finanzmärkte, sondern auch die mittelständischen Unternehmen. 72 Prozent der Mittelständler geben an, dass die Eurokrise die Planungssicherheit verringert und sich so negativ auf die eigene Geschäftstätigkeit auswirkt. Das ergab eine aktuelle Studie der Commerzbank unter 4.000 kleinen und mittleren Unternehmen.  „Volatilität wird immer mehr zum Hauptproblem für den Mittelstand“, sagte Commerzbank-Vorstand Markus Beumer bei der Vorstellung der Studie und sieht eine Renaissance der Szenarioplanung.  

Dahinter verbirgt sich der Versuch, verschiedene Varianten der Zukunft abzubilden und sich auf unterschiedliche Entwicklungen vorzubereiten. Denn in einem komplexen, sich immer schneller verändernden Umfeld müssen Unternehmer strategisch planen und die richtigen Entscheidungen treffen. Ob Rohstoffpreise, Wechselkurse und Gesetzesänderungen, schwer vorhersehbare und quantifizierbare Faktoren wie die Eurokrise, Terrorgefahren und Umweltkatastrophen oder schlicht und einfach das Wetter: Die Gegenwart taugt immer weniger als Indikator künftiger Entwicklungen. Vielfach werden Pläne schneller überholt, als sie geschrieben wurden.

Pionier Shell

In den Siebzigerjahren wurde der Ölkonzern Shell zum Pionier der Szenarioplanung. Eine eigene Planungsabteilung erarbeitete unterschiedliche Szenarien für den Fall einer Ölknappheit sowie entsprechende strategische Antworten. So war das Unternehmen beim Eintritt der ersten Ölkrise vorbereitet und ging besser als die Konkurrenz daraus hervor. Nach Jahren in der Versenkung ist das Thema heute aktueller als je zuvor. Trotzdem planen auch die wenigsten Mittelständler mehrgleisig über Szenarien. „Viele Mittelständler halten Szenarioplanung für wichtig, aber weniger als 20 Prozent wenden sie auch tatsächlich an“, schätzt Peter Bartels, als Vorstandsmitglied bei PwC zuständig für Familienunternehmen und Mittelstand. Dabei kann der Verzicht auf mehrgleisige Planungen schnell Probleme hervorrufen.  So geschehen bei einem Konzern, der vor Krisenbeginn expandieren wollte: „Dort wurde trotz der veränderten Situation noch Monate später investiert und eingestellt, weil der Plan nur ein Ziel vorgab und die Unternehmenssteuerung zu träge und unflexibel war“, erinnert sich  Oleg Brodski, Partner im Bereich Business Performance Management bei der Beratungsgesellschaft Ernst &Young.

Szenarioplanung wird mittelstandsfähig

Es besteht jedoch Hoffnung auf Besserung: „Die Suche nach Sicherheit bietenden ‚Was-wäre-wenn-Lösungen‘ ist gewachsen“, bestätigt Mario Rüdel von der Walter Fries Unternehmensberatung. Auch die Methodik hat sich weiterentwickelt. Dank IT-Unterstützung und spezieller Software könnten heute mehrere Szenarien in kürzester Zeit berechnet werden, erklärt Brodski. „Dadurch öffnet sich die Szenarioplanung für den Mittelstand.“ Betroffen sind Unternehmen, die einem großen Veränderungsprozess unterliegen. „In der Biotechnologie ist Szenarioplanung überlebenswichtig“, bestätigt Bartels. Auch für international tätige und rohstoffabhängige Betriebe wie Maschinenbauer oder Chemieunternehmen ist mehrwertige Planung hilfreich. Branchenübergreifend sinnvoll sind Szenarien dann, wenn eine Änderung des Geschäftsmodells bevorsteht. So war bei Mittelständler Getränke Gathof die mögliche Fusion mit einem langjährigen Geschäftspartner der Auslöser. Daran schlossen sich weitere Fragen nach der Wahl des Standorts und den auszufüllenden Geschäftsfeldern an.

Das Beispiel schildert ein sogenanntes Lenkungsszenario, das unternehmerische Optionen wie die Einführung eines Produkts oder den Bau einer Produktionsstätte berücksichtigt. Im Gegensatz dazu behandeln Umfeldszenarien externe, nicht vom Unternehmen beeinflussbare Rahmenbedingungen wie Gesetzesänderungen oder den Markteintritt eines Wettbewerbers. Zusammen bilden Umfeld- und Lenkungsszenarien eine Matrix, innerhalb derer finanzmathematische Simulationsmodelle die Auswirkungen auf Unternehmenskennzahlen berechnen und vergleichen.

Geeignet für: Unternehmen mit volatilem Geschäft; international tätige Betriebe mit hohem Rohstoffaufwand; Firmen, bei denen eine Änderung des Geschäftsmodells ansteht

Voraussetzungen: Finanzplanung für 3-5 Jahre, historische Datenbasis

Ausgestaltung: maximal 5 Szenarien, die möglichst unähnlich sind; Identifizierung der wichtigsten Treiber; Einbindung verschiedener Bereiche

Kosten: Implementierungskosten für mehrere Szenarien beginnen im mittleren
fünfstelligen Eurobereich und können bei komplexer Geschäftsstruktur
schnell ansteigen; überschaubare laufende Kosten

Vorteile: Flexibilität und Handlungsgeschwindigkeit; Entscheidungshilfen und Handlungsoptionen; besseres Verständnis des eigenen Geschäftsmodells; günstigere Kreditkonditionen; besserer Zugang zu neuen Eigenkapitalgebern

Risiken: hohe Kosten; liefert nur Wahrscheinlichkeiten

MuM-Urteil: Für größere Mittelständler mit den entsprechenden Voraussetzungen und Merkmalen in regelmäßigen Abständen sinnvoll; kleinere Unternehmen sollten vor spezifischen Änderungen einzelne Szenarien durchspielen

Kosten und Nutzen

Zahl und Auswahl der Szenarien sind abhängig von Struktur und Komplexität des betrachteten Unternehmens. „Man könnte problemlos 100 Szenarien berechnen, aber im Kopf nicht verwalten“, erklärt Brodski. Deshalb sei es wichtig, die Haupttreiber für den Unternehmenserfolg zu identifizieren und sich auf maximal fünf Szenarien zu beschränken, die einander möglichst unähnlich sind. Marktgeschehen, Nachfolge, Wechselkurse und Innovationsprozesse sind mögliche Ansatzpunkte.

Am Anfang des Prozesses steht eine genaue Analyse des Ist-Zustands. Grundlage ist die strategische Finanzplanung der kommenden drei bis fünf Jahre. Die Implementierung dauert zwei bis sechs Monate und die Kosten beginnen im mittleren fünfstelligen Eurobereich. Laufende Kosten für Software, Personal und Pflege sind dafür gering. Das Geld sei jedoch gut angelegt, sagt Brodski: „Ohne entsprechende Planung gehen Flexibilität und Handlungsgeschwindigkeit verloren.“ Dies sei in der heutigen Wirtschaftswelt ein Todesurteil. Mindestens einmal in drei Jahren sollte deshalb der Strategieprozess durchlaufen werden.