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Management > Interview mit Annika von Mutius

„Wir automatisieren Headhunting-Prozesse“

Empion setzt bei der Personalsuche vor allem auf das Zusammenspiel von KI-Modellen. Das spart Zeit und ist genauer als klassisch neue Mitarbeiter zu finden.

Annika von Mutius
Das US-Magazin Forbes zählt Annika von Mutius zu den 30 unter 30 in Europa, denen es Großes zutraut. Die Co-Geschäftsführerin von Empion hat ihre Doktorarbeit in Wirtschaft über Spieltheorie geschrieben. Gemeinsam mit Larissa Leitner gründete sie in Berlin Empion, das künstliche Intelligenz für die Personalsuche nutzt.Bildquelle: Empion

Das Gespräch führte Thorsten Giersch.

Du stammst aus einer Unternehmerfamilie. Warum spreche ich heute mit einer Gründerin und nicht mit einer Nachfolgerin?

Ich bin die dritte Generation eines Familienunternehmens für Drahtverarbeitung. Allerdings habe ich mich nie unternehmerisch gefühlt, also habe ich weder darüber nachgedacht, das Familienunternehmen zu übernehmen, noch ein Start-up zu gründen. So begann ich meinen beruflichen Weg zunächst auch in der Academia. Erst während meiner Zeit im Silicon Valley und als ich meine heutige Mitgründerin Larissa kennenlernte, änderte sich das.

Die Geschichte musst du erzählen.

Eigentlich habe ich einen klassischen Economics-Hintergrund und bin dann im Studium an der WHU immer mehr in die Mathematik „abgedriftet“. Die Mathematik ist sehr theoretisch. Schon damals reizte es mich, die Modelle auch datengetrieben anzuwenden. Ich sprach dazu mit einem Entrepreneurship-Professor, der mir den Kontakt zu einem Investor vom MIT vermittelte. So kam ich über einige Zufälle zu meinem sehr spannenden Job bei einem Robotics-Unternehmen im Silicon Valley. Das war für mich damals der erste Kontakt mit einem Start-up und es war faszinierend. Ich konnte dort die mathematischen Modelle mit Predictive-KI-Systemen anwenden. Das war für mich eine sehr aufregende Zeit. Dann lernte ich Larissa Leitner kennen.

Was haben deine Eltern gesagt?

Seit der Gründung von Empion vor zwei Jahren spreche ich tatsächlich mit meinem Vater auch viel mehr über sein Unternehmen. Interessanterweise kann ich mir auch die Nachfolge im Familienunternehmen seit der Start-up-Gründung deutlich besser vorstellen. Meine Eltern haben mich beide immer wahnsinnig unterstützt. Auch wenn unsere Art, ein Unternehmen zu bauen, sich sehr von unserem Familienunternehmen unterscheidet, was nicht immer ganz nachvollziehbar für sie ist.

Was bringen dir die Gespräche mit deinem Vater?

Er hat bei vielen Themen eine ruhigere Haltung als ich, um die ich ihn ein klein wenig beneide. Das beginnt bereits bei ganz normalen Themen wie Krankheitstagen. Wir sind bei Empion nun rund 30 Personen. Das führt zwangsläufig zu krankheitsbedingtem Ausfall, über den ich mich konsequent immer und immer wieder ärgere. Da hilft es mir riesig, mit meinem Vater zu sprechen, weil er mir mit seiner ruhigen Art zeigt, dass sich die Aufregung bei manchen Themen einfach nicht lohnt. 

Apropos Personal. Was ist die Idee hinter eurem Unternehmen?

Im Prinzip automatisieren wir Headhunting-Prozesse. Das heißt, wir quantifizieren Werte, Unternehmenskultur, Skills, Persönlichkeitsmerkmale, um eine möglichst individuelle Jobsuche zu demokratisieren und für den Massenmarkt zugänglich zu machen. Wir matchen Unternehmen und Bewerber somit nicht nur auf Basis der Skills, sondern eben besonders auf Basis der Werte von Mensch und Unternehmen. Unternehmen werden also erst aufgrund der Kultur von Bewerbern gefunden. Besonders spannend übrigens für Unternehmen, die vielleicht nicht zu den bekannten Arbeitgebermarken zählen. 

Wer den Arbeitsmarkt in Deutschland kennt, weiß, wie groß der Bedarf ist. Wie schafft eure Technologie das?

Wir wollen mit künstlicher Intelligenz einen Teil von dem ersetzen, was ein klassischer Headhunter tut. Ich sehe das immer gerne aus einer mathematischen Perspektive: Ein klassisches Interview hat mehr als zehn Millionen Interaktionsmöglichkeiten. Mit KI-basierten Technologien sind wir in der Lage, das auf ein Minimum zu reduzieren. So wirken unterschiedliche KI-Systeme zusammen: Prädiktive Systeme, generative Systeme und andere, die vielleicht weniger bekannt aus der Presse sind. Sie ermöglichen gemeinsam ein funktionales Produkt, um den Bewerber so individuell wie möglich anzusprechen und einen Arbeitgeber zu finden, der wirklich passt. 

Heißt auch: Der klassische Geschäftsführer wird weiter im Rahmen von Executive Search gesucht, aber eure Technologie kann den Rest übernehmen. 

Genau, wir haben zwar vereinzelt auch C-Level Positionen vermittelt, aber unser Schwerpunkt liegt sicherlich unterhalb der Gehaltsgrenze der klassischen Executive Search, also Positionen mit bis zu 130.000 Euro Jahreseinkommen. Wir sehen uns mit Personalberatungen wie Kienbaum oder I-Potentials daher auch nicht in Konkurrenz und freuen uns vielmehr über deren Investments in unser Unternehmen. Ganz grundsätzlich haben wir gelernt, dass Austausch und Zusammenarbeit mit anderen, mitunter auch großen Jobplattformen, uns bereichern. Sie erreichen zwar eine große Zielgruppe, jedoch wenig individualisiert und kaum an dem sich wandelnden Arbeitnehmermarkt orientiert. Auf der anderen Seite berücksichtigt die Executive Search zwar individuelle Bedürfnisse, ist kosteneffizient, aber sicher nicht für den großen Markt einsetzbar. Die Lösung dieses Dilemmas können nur KI-basierte Technologien sein. 

Werte sind erst einmal Worte. Vieles ist nicht klar definiert. Wie füttert ihr eure Technologie, damit sie die Worte versteht? 

Wenn Unternehmen ihre Werte selbst definieren, ist das in der Regel wenig differenzierend. Wir beginnen die Zusammenarbeit mit einer Kulturanalyse, die als neutrale Matching-Basis dient. Wir bewerten hier nicht zwischen guten und schlechten Unternehmenskulturen. Uns geht es darum, zu differenzieren und unterschiedliche Kulturen zu zeigen. Dafür befragen wir nicht nur die Geschäftsleitungsebene, sondern auch die Mitarbeiter. So entsteht ein authentisches Bild.

Führt ihr die Analyse auch bei euch selbst durch?

Sehr regelmäßig alle drei Monate. Als Gründerin denkt man immer, im eigenen Betrieb laufe es super und alle seien rundum glücklich. Aber das ist natürlich Quatsch. Und so sind wir selbst in unserem jungen Unternehmen jedes Mal wieder überrascht, wie sich die Meinung der Kollegen von unserer unterscheiden kann. Damit muss man umgehen können. 

Investoren vertrauen eurem Konzept.

Wir haben inzwischen rund neun Millionen Dollar Venture-Capital eingesammelt. Das ermöglicht uns nun starke Investments in unsere Technologie, um schneller zu wachsen. So sind wir auch attraktiver für Fachkräfte. Wir selbst stellen gerade viel ein. Es vergeht kaum ein Tag ohne Interview.

Vertraut ihr eurer eigenen Technologie nicht?

Doch, unbedingt. Aber sobald die Bewerber mit uns gematcht sind, starten wir in unsere eigenen Recruiting-Prozesse mit klassischen Scorecards und Gesprächen. 

Ihr wachst schnell, ist es eine schwierige Phase?

Es ist gerade alles etwas chaotisch. Eben noch waren wir ein Start-up, das sich ausprobieren durfte, plötzlich sind wir ein Unternehmen, das Strukturen braucht. Das verändert nicht nur Empion im Allgemeinen, sondern auch die Aufgaben von Larissa und mir. Meine größte Herausforderung ist wohl, ganz persönlich mit der schnellen Entwicklung von Empion mitzuhalten.

Stimmt die Legende, dass ihr Nachbarn von Angela Merkel wart? 

Tatsächlich wohnte sie direkt über uns in  Berlin-Mitte, an der Museumsinsel. Wir waren also hervorragend bewacht und freundeten uns sehr nett mit den Polizisten an (lacht). Doch der Platz reichte für uns nicht mehr. Ich saß beinahe nur noch auf dem Boden, weil ich keinen Sitzplatz hatte. Nach der letzten Finanzierungsrunde zogen wir in ein neues Büro am Hackeschen Markt um. Dort haben wir jetzt sogar richtige Möbel. 

Wie würdest du deinen Führungsstil beschreiben? Und wie ist es, mit so großen Namen zu kooperieren?

Führungsstil? Lernend. Und ich kann mir kaum etwas Schöneres als Fortschritt und Lernen vorstellen. Ich fühle mich nicht so chefinnenmäßig und manchmal sogar etwas verloren in der operativen Arbeit. Aber es ist großartig, dass wir schon recht früh mit so großen Unternehmen und so großen Namen zusammenarbeiten dürfen, und wir haben auch hier schon viel gelernt. Als wir zum Beispiel unseren ersten Banken-Kunden gewannen, hatten wir ein wahnsinnig schlechtes Sicherheitskonzept. Die Bank half uns damals dabei, banken-ready zu werden. Heute haben wir wohl das beste Sicherheitskonzept Berlins. Das heißt, mit jedem Vertragsabschluss und jedem Kunden lernen wir wahnsinnig viel hinzu.

Wenn die richtigen Bewerberinnen und Bewerber zu den richtigen Unternehmen kommen, sind sie dort glücklicher und bleiben länger. Ist das nicht schlecht für euer Geschäft?

Witzigerweise ja. Aber der Recruiting-Markt ist so groß, da müssen wir uns keine Sorgen machen.

Zudem gibt es den internationalen Job-Markt. Gerade der deutsche Mittelstand braucht Zuwanderung. Kann Empion da helfen?

Perspektivisch ja. Internationalisierung oder in diesem Falle Supranationalität ist sicher sehr reizvoll. Wir sind aktuell ausschließlich in der DACH-Region aktiv, jedoch bereits für US-Konzerne, sodass der transatlantische Sprung logisch ist. Internationalisierung ist jedoch nicht zu unterschätzen und der Fokus ist aktuell sehr wichtig.

Warum seid ihr damals zurück nach Deutschland? Hattest du nie Lust, im Silicon Valley zu bleiben?

Ich habe die Jahre dort riesig genossen, aber habe die Bay Area und die USA ganz allgemein als sehr kapitalistisch wahrgenommen. Es ging immer nur ums Geld, nicht mein Lieblingsthema. Ich empfinde Europa als deutlich werteorientierter, mit einem starken Verständnis für Traditionen. Gerade in Familienunternehmen finden wir doch sehr schöne Werte wie Bescheidenheit oder Demut. Und das sind wunderschöne Eigenschaften. Insofern bin ich sehr dankbar für die Zeit in den USA, doch ich lebe sehr, sehr gerne in Europa.

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