Was tun bei Shitstorms, Rufmorden und Kampagnen?
Eine saloppe Aussage des Geschäftsführers, ein Sub-Sub-Sublieferant verstößt gegen die hierzulande geltenden guten Sitten oder ein Produkt hat einen Mangel und die Reklamationsabteilung war nicht zu 150 Prozent kulant – und schon bricht der Sturm los.
Schnell finden sich Mitstreiter, die sich im Sinne der guten Sache solidarisieren. Plötzlich steht ein Unternehmen am Pranger: in den sogenannten sozialen Netzwerken, auf Bewertungsplattformen und, wenn man Pech hat, auch in relevanten Zeitungen und Magazinen, schließlich verkauft sich Empörung derzeit gut. Das Unternehmen sieht sich genötigt, sich zu rechtfertigen, noch bevor es die Chance hatte, die Sachlage zu klären, geschweige denn etwas erklären zu können. Nicht selten scheinen die Vorwürfe, Aktionen und Beschuldigungen konzertiert, so, als hätte die Meute im Netz nur auf den Fehler gewartet, der sich schnell zu einem Kollektivangriff ausweitet. Die viel zitierte Mücke wird schnell zum sprichwörtlichen Elefanten, der einzelne Fehler zum Sinnbild dafür, dass das ganze Unternehmen, ja das System schlecht und unmoralisch ist. Aus dem einen "normalen, menschlichen“ Fehler wird ein Skandal. Shitstorms folgen einer Dynamik, einer ansteigenden Spirale der Aggression. Diese gilt es zu erkennen und zu unterbrechen – und dabei den Aggressoren nicht auf den Leim zu gehen.
Keine Reaktion ohne Analyse
So schwer es fällt, nicht sofort zu reagieren, wenn sich die geballte Empörung im Netz bahnbricht und falsche Behauptungen plötzlich in der öffentlichen Wahrnehmung als wahr erscheinen, es hat Sinn, zunächst einmal intern den ganzen Vorgang aufzuklären. Auch wenn Medienanfragen mit engen Antwortfristen auf das Unternehmen einprasseln, zunächst gilt es, Zeit zu gewinnen und die Sachlage zu analysieren.
Bei dieser Analyse muss es zunächst darum gehen, genau herauszufinden, was genau passiert ist, wo gegebenenfalls eigenes Verschulden vorliegt und wie sich der Fehler zukünftig vermeiden lässt. Das ist die Sachebene, die wichtig ist, um überhaupt etwas Sinnvolles sagen zu können und um, wenn nötig, Besserung zu geloben.
Doch zur Analyse gehört wesentlich mehr: Wer sind die Aggressoren? Haben diese das Potenzial, die Reichweite und die Relevanz, das Thema weiter zu eskalieren, es gegebenenfalls sogar über Tageszeitungen und Fachmedien zu streuen? Wie weit kann der Konflikt gehen? Wo lauern weitere Gefahren, weitere Versäumnisse und was kann schlimmstenfalls passieren? Können Kunden oder Lieferanten involviert werden und vielleicht Probleme machen? Welche Akteure müssen informiert und im Kommunikationskrieg berücksichtigt werden? Sind neben Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern vielleicht auch Verbände im Spiel und könnten zur Gefahr werden? Zu denken ist hier an Gewerkschaften, Verbraucherverbände, Interessengruppen oder Institutionen? Wer ist potenziell auf derselben Seite und könnte als Verbündeter agieren und sekundieren? Alle diese Fragen auf der taktischen Ebene gehören ebenso analysiert und bedacht. Erst dann ist an eine Reaktion zu denken. Denn: Jede Antwort, auch die erste im Affekt, wird später wahrscheinlich Teil der weiteren Eskalation, Argumentation und Berichterstattung. Die meisten Fehler werden am Anfang gemacht. Nicht selten sind die ersten Statements regelrechte Brandbeschleuniger.
Kommunikation konzertieren
Nach der Analyse sollte eine Reaktion erfolgen. Dabei gilt zu verhindern, dass jeder im Unternehmen zum Akteur wird. Es muss entschieden werden, wer spricht und nach außen hin sichtbar wird. In der Regel sollte das der Pressesprecher sein oder ein Beauftragter, der sich sowohl mit dem Unternehmen und dem Sachverhalt auskennt als auch im Umgang mit Medien und Meinungsbildnern geschult ist. In der Regel sollte nicht der CEO auftreten, um dem Thema nicht mehr formales Gewicht zu geben als nötig. Der CEO sollte nur sehr selten vor Kamera und Mikrofon treten oder Stellung beziehen, und nur dann, wenn es unbedingt nötig ist und es im Sinne der Sache oder der Marke geboten erscheint.
Es gilt zu verhindern, dass Abteilungsleiter oder andere Personen des Managements zitiert werden oder als Quelle fungieren. Das gilt auch für jeden anderen im Unternehmen. Es spricht nur und ausschließlich der, der dazu auserkoren ist. Nur so kann verhindert werden, dass Spekulationen ins Kraut schießen, jemand aus Unwissenheit Fehler macht oder potenzielle Informanten oder Aggressoren aus dem Unternehmen selbst die eigene definierte Kommunikationspolitik unterminieren.
Im Sinne der Marke des Unternehmens und der Kongruenz von Botschaften ist zudem darauf zu achten, dass nur abgestimmte Aussagen und festgelegte Formulierungen genutzt werden. Glaubwürdigkeit entsteht vor allem durch Wiederholung und Konsistenz in den Aussagen.
Transparenz herstellen
Vermieden werden sollten Unwahrheiten und Intransparenz. Wenn man etwas noch nicht weiß, sollte man das offen sagen. Was unbewiesen ist, sollte nicht inhaltlich kommentiert werden. Nichts ist schlimmer, als wenn andere die vermeintliche Wahrheit herausfinden bevor man selbst die Gelegenheit hatte, diese zu veröffentlichen oder, noch schlimmer, wenn man der Un- oder Halbwahrheit überführt wird. Nirgendwo gilt der Spruch, wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, mehr als im Auge die Shitstorm-Orkans.
Sinnvollerweise wird auf der Website des Unternehmens oder in den relevanten Medienkanälen zum Thema Stellung genommen, in Form von FAQs, einer Pressemeldung oder einem abgestimmten Statement. Wichtig: Die eigenen Kunden, Mitarbeiter und wichtige Stakeholder sollten vom Unternehmen selbst informiert werden. Nichts wäre schlimmer, als wenn die wichtigen Zielgruppen, die naturgemäß einen zeitnahen Anspruch auf relevante Informationen haben, von Problemen aus der Zeitung oder zufällig durch einen Post erfahren würden. Die Frage, wer wann und durch wen in der Hierarchie informiert wird, ist zwingender Teil auch der Analyse und Konzertierung. Nur wer aktiv in den eigenen Reihen informiert, kann verhindern, dass weitere Gerüchte entstehen und plötzlich Nebenkriegsschauplätze aufgemacht werden. Rufmorde und Shitstorms zielen immer darauf ab, der eigenen Reputation zu schaden und die wirtschaftliche Basis zu zerstören. Es hat also immer Sinn, die eigenen Kunden und wichtige Geschäftspartner selbst zu informieren, auch, um die Deutungshoheit über den Sachverhalt zu behalten.
Shitstorms folgen Mustern und kommen in Wellen
Häufig geht es harmlos los. Ein, zwei Unzufriedene machen auf sich aufmerksam, üben Kritik oder drohen. Das ist heutzutage nicht selten und wird deswegen von Unternehmen auch erstmal ignoriert. Das kann der richtige Weg sein. Allerdings sollten alle Kanäle, insbesondere die sogenannten sozialen Netzwerke, mittels eines Monitorings beobachtet werden. Insbesondere ist zu beobachten, ob ein negativer Beitrag häufig kommentiert, geteilt oder verbreitet wird und vor allem von wem. Wenn sich selbst ernannte Aktivisten beteiligen, ist der Weg zur viralen Empörung meist nicht mehr weit. Spätestens nachdem die erste Aggressionswelle gemangt worden ist, sollten Unternehmen darüber nachdenken, eine Presseabteilung zu schaffen, die auch das Social-Media-Management übernimmt und alle Kanäle professionell überwacht. Denn: Vorsorge ist besser als Nachsorge. Und: Wer einmal im medialen Fokus der Aufmerksamkeit war, wird wahrscheinlich auch zukünftig unter besonderer Beobachtung stehen. Ein Shitstorm kommt selten allein. In der Regel folgen mehrere Wellen mit zunehmenden Amplituden.
Shitstorms können jeden treffen. Es gibt kein "zu klein“, "zu unwichtig“ oder "zu spezifisch“ mehr. Aufgrund der zunehmenden Aggression und Fragmentierung der Gesellschaft, der Politisierung der Wirtschaft und der allgemeinen Empörungs- und Skandalisierungskultur, ist heute fast jedes Unternehmen gut beraten, eine eigene Pressestelle aufzubauen – oder, zumindest jemanden mit Medienkompetenz im Unternehmen zu schulen.
Über den Autor:
Falk S. Al-Omary begleitet Unternehmen in der Markenentwicklung und Markenführung sowie in der Krisenkommunikation und im Reputationsmanagement. In Unternehmen übernimmt als wahlweise die Funktion des Pressesprechers, des Head of Communications oder des CMO. Weitere Infos hier.