„AR-Technologie aus Deutschland ist State of the Art“
Augmented Reality erobert den Unternehmensalltag. In einem Livestream-Webinar befragte „Markt und Mittelstand“-Chefredakteur Christian Preiser den AR-Experten Alexander von Merzljak und Lars Blanz, Produktmanager bei Brother International, zum Thema.
Wo wird Augmented Reality (AR) in der Unternehmenspraxis bereits eingesetzt?
Lars Blanz (Produktmanager bei Brother International): Gängige Anwendungsbereiche für AR in Unternehmen sind der Support für Montage, für Aufgaben bei der Fernwartung oder auch die Pick-by-Vision bei der Kommissionierung. Unser eigenes System – der Airscouter-– kommt häufig zum Einsatz, wenn Laufwege etwa im Lager verkürzt werden sollen. Oder wenn verhindert werden soll, dass sich der Anwender bei seiner Tätigkeit von der eigentlichen Arbeit abwendet, etwa weil er auf einen Monitor blicken muss. Denken Sie etwa an das Arbeiten mit einem Endoskop oder das Ausmessen von Leiterplatinen.
Alexander von Merzljak (freier Autor und AR-Experte): Es gibt bereits eine ganze Reihe an Anwendungen. Aus meiner Sicht lassen sie sich in vier Gruppen zusammenfassen: in den industriellen Bereich – in den Themen wie F&E, Produktion, Assembling oder auch Logistik fallen –, in den Bereich Handwerk und in die Textilindustrie. Der letzte, stark wachsende Anwendungsbereich für AR sind Drohnen. Da geht es um die Sicherheit und die Überwachung von Industrieanlagen ebenso wie um Umweltschutz und um landwirtschaftliche Einsätze.
Wird AR auch im Bereich der Mitarbeiterschulung eingesetzt?
Banz: Dafür ist Augmented Reality gut geeignet. Bislang läuft das Onboarding in Unternehmen oft so ab: Ein besonders erfahrener Mitarbeiter nimmt den Jobeinsteiger unter seine Fittiche und schult ihn. Das ist aufwendig und bindet Ressourcen. Denn der alte Hase kann in der Zeit, in der er sich um den Neuling kümmert, keiner anderen Tätigkeit nachgehen. Wenn das Anlernen und Schulen des neuen Mitarbeiters durch den Einsatz eines Head-Mounted-Displays und AR unterstützt wird, spart das Unternehmen Zeit und erhöht seine Produktivität.
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Gibt es bestimmte Branchen, die AR-affiner sind als andere?
Blanz: Bei der Nachfrage nach unserem eigenen Produkt stelle ich fest: Gerade bei Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe ist der Bedarf an AR-Lösungen hoch. Aber natürlich bekommen wir auch Anfragen aus anderen Branchen.
Hängen die Neugierde und Bereitschaft, AR einzusetzen, vom Grad der Digitalisierung des Unternehmens ab?
Blanz: Eindeutig ja. Das Interesse und die Bereitschaft, AR-Technologie einzusetzen, sind in Unternehmen, die ihre Digitalisierung schon weiter vorangetrieben haben, häufig deutlich höher.
von Merzljak: Da bin ich mir ganz sicher! Eine der Voraussetzungen für den Einsatz von Augmented Reality in Unternehmen ist allerdings, dass die dafür erforderlichen Daten in der nötigen Qualität und Aufbereitung vorliegen. AR muss in die unternehmensweite Digitalisierungsstrategie eingebettet werden.
Wie schnell erlernen Mitarbeiter den Umgang mit AR-Technologie?
Blanz: An das Tragen und Nutzen eines Head-Mounted Displays muss man sich erst gewöhnen. Aber erfahrungsgemäß geht das schnell. Dass Anwender mit einem solchen System überhaupt nicht zurechtkommen, ist die absolute Ausnahme. Neue Technologien werden von ihren Nutzern immer dann akzeptiert, wenn sie unmittelbare persönliche Vorteile bringen. Das gilt auch für die Augmented Reality.
Kostet die Implementierung von AR-Technologie Geld – oder spart sie?
von Merzljak: Sicherlich muss das Unternehmen Geld in die Hand nehmen und investieren, wenn es AR einführen will. Wie hoch dieser Aufwand ist, hängt auch davon ab, wie weit die Digitalisierung beziehungsweise die damit verbundenen Implementierungsprozesse fortgeschritten sind. Neben den Kosten für die Anschaffung der Brillen sind gegebenenfalls Investitionen in die IT-Infrastruktur und zusätzliche Beratungskosten erforderlich.
Apropos Kosten: Wie viel kostet eine AR-Brille?
Blanz: Die meisten Head-Mounted-Displays kosten zwischen 1.000 und 2.000 Euro. Das ist der Preis für die reine Hardware. Zusätzlich können auf den Kunden Kosten durch Software und Systemintegration zukommen. Wie viel das konkret ist, hängt vom Anwendungsfall und der Projektgröße ab.
Servicetechniker und Monteure kennen ihre Maschinen typischerweise sehr genau. Wozu also eine solche Zusatzausrüstung wie AR?
Blanz: Tatsächlich kennt nicht jeder Monteur alle Maschinen wie seine Westentasche. Um ein Profi mit einem großen Fundus zu werden, benötigt es einige Jahre Erfahrung. Gerade bei einer hohen Produktvarianz kann AR eine enorme Erleichterung sein – für den langjährigen Monteur genauso wie für den neuen Mitarbeiter. Mit Head-Mounted-Displays und einer geeigneten Videokonferenzsoftware lassen sich Wartungs- und Reparaturarbeiten gerade im Remote-Support deutlich schneller durchführen. Das reduziert die Stillstandzeiten bei Maschinen. Hinzu kommt eine erhebliche Zeit- und Kostenersparnis: Denn der Techniker vor Ort kann sich von einem Spezialisten anleiten lassen, ohne dass dieser extra anreisen muss.
Was muss eine gute AR-Brille können? Welche Eigenschaften muss sie besitzen?
Blanz: Was eine AR-Brille leisten können muss, hängt vom spezifischen Anwendungsfall ab. Was aber immer eine wichtige Rolle spielt – gerade wenn es um die Akzeptanz der Technologie beim Nutzer geht –, sind Ergonomie und Tragekomfort.
Müssen die auf dem Markt erhältlichen AR-Systeme einer bestimmten Norm entsprechen – oder macht jeder Hersteller, was er will?
Blanz: Einspruch! Der Hersteller macht natürlich nicht das, was er will. Sondern er richtet sich danach, was der Markt und der Kunde verlangen. Eine DIN oder ähnliches gibt es für AR-Brillen aktuell nicht. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin empfiehlt jedoch, wie bei jeder Bildschirmarbeit, regelmäßig Kurzpausen einzulegen.
Augmented Reality benötigt eine bidirektionale Onlineanbindung. Wie steht es da um die Einhaltung aller datenschutzrechtlichen Vorgaben?
von Merzljak: Die neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bestimmt den rechtlichen Rahmen. Das heißt konkret: Im Unternehmen ist der Datenschutzbeauftragte dafür verantwortlich, ob und wie eine AR-Brille eingesetzt werden darf. Bevor AR im Unternehmen eingesetzt wird, muss eine sogenannte Datenschutz-Folgenabschätzung durchgeführt werden. So verlangt es Artikel 35 der DSGVO. Auch der Betriebsrat muss hinzugezogen werden, denn der Einsatz einer AR-Brille ist „mitbestimmungspflichtig“. Hat die Folgenabschätzung die betriebliche Zustimmung erhalten, muss die zuständige Datenschutz-Aufsichtsbehörde über den Einsatz der AR-Brille informiert werden.
Mitarbeiter, die mit AR-Brillen arbeiten, lassen sich leicht „tracken“. Wie gehen die AR-Nutzer mit diesem „Big Brother“ im Nacken um?
Blanz: Diese Frage beschäftigt den einen oder anderen Betriebsrat in der Tat. Doch im Regelfall wird AR nicht allzu kritisch gesehen. Denn die meisten AR-Systeme dienen der Prozessoptimierung und erleichtern so den Nutzern ihre Arbeit. Hinzu kommt: Wenn Unternehmen erste Gehversuche in Richtung AR unternehmen, können sich die Mitarbeiter daran freiwillig beteiligen – müssen es aber nicht.
Wo können sich Mittelständler über die Möglichkeiten eines AR-Einsatzes im Unternehmen informieren?
von Merzljak: Am einfachsten und unkompliziertesten ist es, sich auf einschlägigen Messen oder Konferenzen umzusehen: etwa der „Internet World Expo“ in München oder der Konferenz „Digility“ in Köln. Aber auch die regionalen Industrie- und Handelskammern geben Infos zu Einsatzmöglichkeiten von Augmented Reality.
Was die Digitalisierung der Wirtschaft angeht, gilt Deutschland als weit abgeschlagen. Trifft das auch auf die Augmented Reality zu?
Blanz: Nein, ganz im Gegenteil. Das Interesse und die Nachfrage nach AR-Systemen sind in den unterschiedlichsten Branchen sehr stark. Gerade im internationalen Austausch mit anderen Brother-Niederlassungen haben wir festgestellt, dass Augmented Reality in Deutschland – und darüber hinaus in ganz Zentraleuropa – ein Thema ist, mit dem sich die Unternehmen intensiv beschäftigen.
Woran liegt das?
von Merzljak: Die deutsche Wirtschaft und das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung haben die Potentiale von Augmented Reality schon ziemlich früh erkannt. Bereits im Jahr 1999 gab es erste Kooperationsprojekte. Aktuell haben einige Münchner AR-Agenturen unter anderem für Apple und für Ikea wegweisende AR-Anwendungen entwickelt. Insofern kann man guten Gewissens sagen: AR-Technologie und Technik „Made in Germany“ sind „State of the Art“.
Stichwort Zukunft: Wie wird sich die AR-Technologie in den nächsten fünf Jahren entwickeln?
Blanz: Allein in den vergangenen Jahren hat AR rasante Fortschritte gemacht. Sowohl die Hardware als auch die Software sind dank der gestiegenen Nachfrage nach solchen Systemen deutlich leistungsfähiger geworden. Trotzdem steht AR noch relativ am Anfang: Die Technik muss sich erst noch am Markt etablieren und integrieren. Ich glaube, in fünf Jahren werden Augmented Reality, Markt und Nutzer deutlich weiter sein.von Merzljak: Da sehe ich genauso. Die AR-Brillen werden sich durchsetzen. Ihr Einsatz wird für uns ganz selbstverständlich sein. Die Vorteile von Augmented Reality werden unsere Arbeit an der Mensch-Maschine-Schnittstelle verbessern. Womöglich werden die „Smart Glasses“ auch in unserem alltäglichen Leben eine zunehmend wichtige Rolle spielen und es mit ihren vielfältigen Inhalten erheblich bereichern.
Sehen Sie hier das vollständige Webinar im Video.
Dieser Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 04/2018, die am 6. April 2018 erscheint. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.