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Finanzierung > Finance Summit

Kapitalmarkt braucht Raum zur Entfaltung

Matthias Voelkel auf dem ersten Stuttgart Finance Summit: Die Aktienrente sollte verdoppelt werden.

Matthias Voelkel bei seiner Eröffnungsrede beim Finance Summit. Bildquelle: Börse Stuttgart

„Finanz trifft Realwirtschaft. Das ist Jing und Jang.“ So hat Matthias Voelkel, CEO der Gruppe Börse Stuttgart den Geist des ersten Stuttgart Finance Summit auf den Punkt gebracht. Rund 850 Vertreter aus Industrie, Banken, Bausparkassen, Versicherungen, Politik und Start-ups tauschten sich im Stuttgarter Haus der Wirtschaft über die bestimmenden  Themen in der Finanz- und Realwirtschaft aus. Das Interesse sei so groß gewesen, dass man am Ende sogar die Türen schließen musste, so Gastgeber Voelkel zur Eröffnung der Veranstaltung. Der Veranstalter Gruppe Börse Stuttgart verstehe sich dabei als Dienstleister für Investoren, Finanz- und Realwirtschaft. „Wir sind Treiber für den Kapitalmarkt – wenn man uns arbeiten lässt.“ Ohne einen starken Kapitalmarkt werde auch die Finanzierung von nachhaltiger Transformation und Digitalisierung nicht gelingen. 

Die Herausforderungen für Finanz- und Realwirtschaft seien groß, komplex und interdependent. „Da reichen keine Silolösungen. Wir müssen miteinander reden. Dann handeln“, betonte Voelkel und fügte kritisch hinzu: „Wir reden unsere Lage als Land immer noch schön. Mittelmäßige Leistung und wenig Momentum.“ Die Politik erfahre zwar einen „Perfect Storm“ mit Krieg, hohen Energiepreisen und Inflation. Gleichwohl müsse man hinterfragen, ob es nicht doch auch strukturelle Probleme gäbe. So stehe Deutschland beim BIP pro Kopf ziemlich weit hinten unter den wichtigsten Industrienationen. Beim Vermögen pro Kopf nehme die Bundesrepublik Platz 16 ein. „Wir sind also nicht so wohlhabend, wie wir glauben“, so Voelkel.  „Wir müssen uns auf unseren Markenkern zurückbesinnen. Und der ist Leistung.“  Dieser Kern dürfe nicht weiter erodieren.

Der Verleger Wolfram Weimar war ebenfalls der Ansicht, dass die aktuelle Situation unterschätzt wird. „Die Lage ist dramatischer als sie wahrgenommen wird. Wir erleben eine historische Zäsur“, betonte der aus vielen Talkshows bekannte Politikbeobachter. In Deutschland koste der Krieg in der Ukraine jährlich drei Prozent Wachstum. „Während die Welt in die KI-Ära aufbricht, wird Europa von einem Krieg zerrissen und blockiert.“ Kritisch sieht Weimer auch die Entwicklung in China. Im Hauptexportland der Deutschen finde ebenfalls ein tiefgreifender Wandel statt. „China hat den wirtschaftlichen Zenit überschritten und das trifft uns auch“, warnte Weimer mit Verweis auf die dortige demografische Entwicklung. „Jeden Tag schrumpft das Land um 10.000 Menschen.“

Die deutsche Politik reagiere hochproblematisch auf all diese Entwicklung, so Weimer weiter. Das Verhältnis zu Paris, London und Rom sei frostig und die Beziehungen zu Polen geradezu feindlich. „Doch wir brauchen eine aktive, verbindende Außenpolitik.“ Die Politik müsse endlich die Kraft finden, die anstehenden Aufgaben zu lösen.

Dazu zählt für Voelkel beispielsweise eine Stärkung des Kapitalmarkts in Deutschland. Die Bürger sparten sich arm. „Teilhabe am Kapitalmarkt ist wichtig. Im Moment haben weniger als 20 Prozent der Deutschen Aktien.“ Zwölf Milliarden Euro für die Aktienrente pro Jahr könnten nicht mehr als ein Anfang sein. „Dabei darf es nicht bleiben. Wir haben eine Börse in Schweden. Dort liegen 85 Milliarden Euro in der Aktienrente investiert“, erklärte Voekel und forderte eine Verdoppelung der jährlichen Zahlung in Deutschland. Hürden für Privatanleger beim Zugang zum Kapitalmarkt müssten abgebaut werden. „Private Anleger müssen am Wachstum teilhaben können. Gleichzeitig kommen die Unternehmen so an bessere Finanzierungsmöglichkeiten. Nicht zuletzt für Investitionen in Digitalisierung und Nachhaltigkeit.“

Tatsächlich kommt der Finanzwirtschaft eine besondere Rolle bei der Transformation der Unternehmen zu nachhaltigen Geschäftsmodellen zu. Die Branche versteht sich hier als Treiber und Katalysator. Vorgaben zu Nachhaltigkeit prägen aber auch die Arbeit und Ausrichtung der Finanzwirtschaft selbst. So ergeben sich für Bausparkassen neue Marktchancen, gleichzeitig beeinflussen die neuen Vorgaben die Finanzierung von Projekten. Auch die Bonitätsprüfung hat durch die ESG-Kriterien der EU ein zusätzliches Element bekommen, das neue Prozesse und Bedingungen verlangt.

Enorme Bedeutung hat auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz. KI ermöglicht enorme Produktivitätsgewinne und hat das Potenzial, viele Geschäftsmodelle und Prozesse nachhaltig zu verändern.  „Wir haben allein bei der der Gruppe Börse Stuttgart über 100 mögliche Anwendungen identifiziert. Mir müssen uns von diesem Kuchen ein großes Stück abschneiden“, so Voelkel. 

Der Stuttgart Finance Summit ist auch eine Bühne, auf der sich junge aufstrebende Unternehmen präsentieren können. In diesem Jahr haben 25 Start-ups die Gelegenheit beim parallel laufenden Venture Day genutzt, um ihr Geschäftsmodell Investoren und potenziellen Partnern vorzustellen. Die Gruppe Börse Stuttgart engagiert sich intensiv für das Start-up-Ökosystem. Über die Finanzplatzinitiative Stuttgart Financial werden Innovationen und junge Unternehmen im Fintech-Bereich gefördert. 

Christian Ricken, Vorstandsmitglied der LBBW und Aufsichtsratschef der Gruppe Börse Stuttgart, bemängelte, dass die Chancen klein geredet werden. Unter den G7 liege Deutschland bei der Wettbewerbsfähigkeit insgesamt auf Platz drei hinter den USA und Kanada. Allerdings mit sinkender Tendenz, räumte er ein. „Eine alternde Bevölkerung ist weniger innovativ“, warnte Ricken. Deutschland müsse mehr in Innovationen investieren. Denn die seien eine entscheidende Standortstärke. Der jetzt stattfindende Strukturwandel werde dazu führen, dass einige aus dem Wirtschaftsgefüge ausscheiden. Anderen müssten an deren Stelle treten können und bräuchten entsprechende Rahmenbedingungen. Für Ricken steht fest: „Der Finance Summit ist genau die Schnittstelle, wo die Zukunft beginnt.“

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