Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Personal > Corporate Influencer

Der Hammer im Handwerk

Auch kleine und mittlere Betriebe profitieren von Corporate Influencern. Wenn sie einige Regeln beachten, läuft es besser als teures Marketing.

Influencerin fürs Handwerk
Ringlicht, Smartphone, Werkbank: Sandra Hunke begeistert als Influencerin fürs Handwerk. Bild: picture alliance/dpa | Friso Gentsch

Schöner kann eine Klempnerin kaum werkeln. Langes Haar umweht Sandra Hunke, wenn sie mit dem Schlaghammer vor der Kachelwand posiert wie sonst nur Lara Croft im Kinofilm „Tomb Raider“. Hunke ist eine der erfolgreichsten Corporate Influencerinnen des Handwerks. Auf Instagram folgen ihr 142.000 Menschen. Inzwischen modelt sie, wirbt für Sanitäranbieter und trommelt für mehr junge Frauen im Handwerk. „Liebe Rabaukinnen, ich zeige euch, wie schön das Handwerk ist“, spricht und schreibt sie. „Es macht viel mehr Spaß, einen Pool zu bauen, als darin zu liegen“. Hashtag „#dukannstallessein“.

Hunke arbeitet für Niklas Bader. Der Geschäftsführer der Badgalerie aus Paderborn könnte Hunkes Reichweite über klassisches Marketing für Nasszellen schwerlich bundesweit erzielen. Auch deshalb ist er begeistert: „Als wir sie als junge Gesellin einstellten, wussten wir nichts von ihren Social-Media-Aktivitäten. Für uns war ihre handwerkliche Kompetenz entscheidend. Heute freuen wir uns um so mehr, weil sie unser Unternehmen überregional bekannt macht und zugleich gegen das verstaubte Image der Branche antritt. Sie zeigt jungen Menschen, wie viel Spaß es macht, im Handwerk zu arbeiten.“

Man ahnt es: Seit die Anlagenmechanikerin für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, so die vollständige Berufsbezeichnung, live von der Baustelle berichtet, bekommt die Badgalerie mehr Bewerbungen. Das zeigt: Corporate Influencer sind ein wichtiger Hebel, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren – egal ob für Azubis oder Abteilungsleiter. Hunke erreicht als Role Model mit Instagram-Reels vor allem junge Menschen. Freunde der reinen Marketinglehre würden sie eher als Mitarbeiter-Markenbotschafter bezeichnen, in Abgrenzung zu Corporate Influencern. Die vernetzen sich beruflich.

Gezielt Influencer

So macht es das Karlsruher Unternehmen Schwabe: Der Hersteller pflanzlicher und homöopathischer Medikamente motiviert seine Mitarbeiter mit einem Corporate-Influencer-Program, ­LinkedIn zu nutzen. Auch um die Unternehmenstochter Schwabe Austria unter Apothekern und Ärzten sichtbarer zu machen, gingen deren Fach- und Führungskräfte strategisch geplant auf der Business-Plattform online. Aber ausdrücklich nicht mit der Stallorder, Werbung für ihren Arbeitgeber zu machen. Alle Beteiligten pflegen ihren ganz eigenen Stil.

An die Spitze setzte sich Fritz Gamerith als Managing Director. Nicht pro forma und mit Ghostwriter, sondern tatsächlich – was nicht die Regel auf dieser Hierarchiebene ist – mit eigenem Content. Seine Social-Media-Arbeitszeit ist gut investiert. Er baute seine Kontakte in die Pharmabranche und zu Gesundheitspolitikern signifikant aus. Die Projektverantwortliche Elisabeth Mondl berichtet: „Jeder der Mitwirkenden in dem Pilotprojekt hat sein oder ihr individuelles Netzwerk vergrößert.“ Sie freut sich: „Wir alle werden auf Veranstaltungen häufig und positiv auf unseren Online-Auftritt angesprochen. Unser Standing in der Branche ist gewachsen.“ Das wiederum habe das Wir-Gefühl im Unternehmen gestärkt – für sie ein weiterer, wesentlicher Erfolg des Projekts.

Aus Sicht von Schwabe Austria ist das Engagement auf LinkedIn sowohl Teil der eigenen digitalen Transformation als auch der Mitarbeiterentwicklung. Denn erst fünf, dann zehn, schließlich 15 Kollegen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen gingen gut gecoacht online. Mondl berichtet: „Die erste Generation teilt ihre Erfahrungen mit der nächsten Gruppe, die einsteigt. So ist eine immer weiter wachsende interne Community entstanden, die sich regelmäßig trifft und sich auch über schwierigere Themen wie etwa den Umgang mit negativen Kommentaren austauscht.“

Corporate Influencer oder Markenbotschafter aus dem eigenen Haus werden auch für kleine und mittlere Unternehmen immer wichtiger. Generell muss deren mediale Reichweite nicht gleich Tausende Follower umfassen. Auch Sandra Hunke hat mal klein angefangen. Jeder Influencer verbessert Sichtbarkeit und Image seines Arbeitgebers glaubwürdiger als teuer eingekaufte Werbegesichter. Gerade erst distanzierte sich der Discounter Aldi Nord von seinem Promi-Testimonial Jeremy Fragrance wegen dessen sexistischen Äußerungen.

Echte Corporate Influencer sind ein glaubwürdiger Weg zur Kundschaft und stärken deren Bindung an die Marke. Die einen erreichen ihre Zielgruppe mit Postings oder Videos auf Instagram, Tiktok, Youtube oder einem Blog.  Die anderen tauschen sich als Experten auf LinkedIn aus. Kerstin Hoffmann, Kommunikations- und Strategieberaterin, rät deshalb: „Jedes Unternehmen sollte sich heute mit dem Thema auseinandersetzen. Denn alles, was Mitarbeitende sagen oder tun, wirkt sich auf die Marke aus – sobald sie als Unternehmensangehörige erkennbar sind.“ 

Egal, ob der Chemiker aus Forschung & Entwicklung, die Sekretärin aus dem Einkauf oder die Auszubildende aus der Produktion, sie alle können nach außen authentisch und sympathisch kommunizieren. Was aber keineswegs bedeutet, dass sie per se extrovertierte Platzhirsche im Internet sein müssten. „Das ist eine häufige Fehleinschätzung“, weiß Hoffmann. „Nicht jeder Mitarbeiter-Markenbotschafter muss ständig eigene Beiträge schreiben oder gleich wie ein Social-Media-Profi agieren. Viel wichtiger ist es, zunächst zuzuhören und den Austausch zu pflegen. Menschen wollen mit Menschen reden, nicht mit gesichtslosen Marken.“

Für die Firma Gold wert

Jens Grefen ist Senior Executive Creative Director bei der Agentur Interbrand. Auf Deutsch: Er betreut den Markenauftritt von Topunternehmen. Nicht nur Konzernen empfiehlt er, nach dieser Art Influencer zu suchen: „Sie sind für jede Marke Gold wert, weil ihr Antrieb ein echtes Bedürfnis ist und sie mit ihrem Streiflicht ins Unternehmen eine direkte Ansprache der Zielgruppe erreichen.“ So schafft der Chemiker, der sich online aufrichtig über eine innovative Recyclinglösung seines Unternehmens freut, weit mehr Reichweite, als es das Projekt auf Seite 64 des Nachhaltigkeitsberichts im Unternehmen je könnte.
Eines aber dürfen Firmen nicht: Mitarbeitende auffordern, sie als Arbeitgeber öffentlich zu erwähnen. So entsteht ohnehin kein glaubwürdiger Inhalt. Follower strafen solche Multiplikatoren dann samt Arbeitgeber ab. Was Unternehmen aber dürfen, ist, Kollegen zu fragen, ob sie an einer Zusammenarbeit Interesse haben. Doch vor der erhofften Reichweite steht noch die richtige Strategie.

Es sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht: Jedes Unternehmen muss sich eigene Regeln für Social Media geben, sobald es sich auf Facebook, Instagram, in Blogs, auf Xing oder LinkedIn präsentiert. Diese Regeln gelten dann auch für die Markenbotschafter. Im nächsten Schritt muss der Betrieb seine Ziele festlegen: Welche Zielgruppe soll erreicht werden? Welcher Kollege hat die entsprechende Zielgruppe? Welche Inhalte dürfen auf keinen Fall Thema sein? „Die Auswahl dieser Kollegen sollte sehr sorgsam stattfinden“, rät Grefen. „Zudem brauchen Firmen Geduld, um diese Leute im Internet aufzubauen.“ Soll heißen: Kollege Influencer braucht nicht nur Unterstützung in Form von strategischen Grundlagen, technischem Wissen, praktischen Tipps und ehrlichem Feedback.

„Wer ein Corporate-Influencer-Programm auf die Beine stellen will, muss sich für Organisation, Projektleitung und Betreuung genügend Ressourcen zur Verfügung stellen. Daher gilt es, von vornherein zu kalkulieren, wie viel Aufwand auf Dauer möglich ist. Nur so lässt sich das Programm realistisch planen und durchhalten“, sagt Kerstin Hoffmann. Auch die Frage, ob und wie die Botschafter für ihren zusätzlichen Einsatz belohnt werden, muss je nach Aufwand geklärt werden.

Als Nächstes folgt der Testlauf. Entscheidend für den Erfolg der ersten Influencer ist die nötige Freiheit. Denn ohne sie gibt es keine Authentizität. Interbrand-Manager Grefen sagt: „Da muss der Chef auch mal loslassen können. Es setzt das Fundament, aber die Mitarbeitenden entscheiden innerhalb des gesetzten Rahmens, worüber sie berichten.“ Beraterin Hoffmann ergänzt: „Je heterogener diese Gruppe zusammengesetzt ist, desto besser. Von den kritischsten Kollegen lernt man am meisten.“

Weil sich Rahmenbedingungen ändern, müssen die Postings oder Videos der neuen Influencer regelmäßig gecheckt und im Zweifel im Sinne der Unternehmensstrategie nachgeschärft werden. Denn es gibt auch Fallstricke. Kerstin Hoffmann bringt ihre Erfahrung aus vielen Projekten so auf den Punkt: „Der größte Fehler ist es anzunehmen, man könne von vornherein alle Fehler vermeiden. Wo Menschen kommunizieren, machen sie nun einmal nicht immer alles richtig und perfekt.“ Aber die Fehlerquote lässt sich verringern. Es gilt: „Erst denken, dann schreiben.“ Die Beraterin berichtet: „Es kommt nur dann zu schwierigen Situation, wenn vorab keine Strategie für den Auftritt entwickelt oder die Mitarbeitenden nicht gut vorbereitet wurden.“

Und wenn es mal zum Shitstorm kommt, etwa weil sich eine Kollegin im Ton vergriffen oder ein Kollege versehentlich allzu Internes ausgeplaudert hat? Dann gelte für kleine und mittlere Unternehmen dasselbe wie für einen Konzern im Deutschen Aktienindex (Dax), ist Markenprofi Grefen überzeugt. „Offen damit umgehen, denn Aussitzen funktioniert im Internetzeitalter schon lange nicht mehr.“ Hat sich der Sturm gelegt, bleibe im besten Fall im öffentlichen Bewusstsein hängen: Diese Firma kommuniziert transparent und hat nichts zu verbergen. Der US-Sportartikelhersteller Nike hat dieses Vorgehen perfektioniert. Aktuell fordern amerikanische Konservative lautstark den Boykott des Unternehmens, weil Nike mit dem Transgender-Model Dylan Mulvaney wirbt. Die Diskussion schlägt hohe Wellen. Aber Nike zeigt Haltung und punktet damit bei seiner Stammkundschaft.

Wirklich glaubwürdig sind die Social-Media-Aktivitäten eines Unternehmens erst, wenn auch der Chef oder die Chefin online ansprechbar ist. Zu ihren Führungsaufgaben gehört es heute, sich im Netz zeitgemäß etwa mit Kunden auszutauschen. Aber Achtung! Merkt die Community, dass hier Ghostwriter aus der Marketingabteilung im Namen des Chefs fabulieren, wendet sie sich mit Grauen ab.

Nicht jeder Oberste im Organigramm muss online aber so agil sein wie Tim Höttges, Chef der Deutsche Telekom und längst selbst eine Marke. Höttges postet nicht nur Dienstliches von unterwegs und Niedliches von seinen Dackeln Anton und Otto. Auf Youtube bastelt er im geschmacklich herausfordernden Weihnachtspulli und klingglöckchenunterlegt auch gerne mal das letzte Geschäftsjahr nach. Hauptsache, Aufmerksamkeit.

Ähnliche Artikel