„Wenn der Kunde nicht lacht, ist es kein Witz“
„Ich bin ein Buchhalter im Körper eines Künstlers“: Der Kabarettist Vince Ebert spricht im Interview über gute Unternehmer, Türgriffe in siebter Generation und den Drang zur Perfektion. Und darüber, wie seine eigene Qualitätskontrolle aussieht.
Sie halten häufig Keynotes vor Unternehmern. Wären Sie selbst ein guter Unternehmer?
Ja, unbedingt. Ich sehe mich auch als Unternehmer. Ich bin nicht nur der Hofnarr. Um mich herum gibt es ein Team von zehn bis zwölf Leuten. Die halten die „Marke“ Vince Ebert mit ihren verschiedenen Standbeinen am Laufen: mit dem eigentlichen Bühnenprogramm, aber auch mit Büchern, CDs oder eben Keynotes und Impulsvorträgen, die ich bei Unternehmen halte. Die Cashcow sind meine Programme. Wann ich bei wem und womit auftrete, ist hocheffizient durchgetaktet. Ich will meinem Publikum ein „Produkt“ anbieten, das mit keinem anderen vergleichbar ist. Zugleich streue ich das Risiko, falls mal eines der Standbeine wegbricht. Innerhalb der Marke Vince Ebert versuchen wir, alles auszureizen. Aber Sie können sicher sein: Ich achte darauf, dass ich mich nicht zum Mischkonzern entwickle.
Was überwiegt beim „Unternehmen Vince Ebert“: der Kommerz oder die Kunst?
Für mich ist das kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Obwohl ich mich primär als Künstler verstehe, denke ich unternehmerisch – und ich gehe mein Geschäft wahnsinnig konservativ an. So bin ich von zu Hause geprägt. Im Grunde genommen bin ich vom Kopf her ein Buchhalter – im Körper eines Künstlers.
Was können mittelständische Unternehmer von Kabarettisten lernen?
Einen gewissen Mut, etwas Nonkonformistisches zu machen, was in letzter Konsequenz den Leuten aber doch schmecken muss. Wenn Sie zu durchgeknallt sind, brechen Ihnen die Kunden weg. Ich glaube, dass Kunden zum einen Kontinuität wünschen, aber zum anderen immer wieder auch überrascht werden wollen und auf neue Impulse hoffen. Deswegen bin ich ein großer Kritiker von Algorithmen, weil die das überraschende Moment wegoptimieren und alles auf den Mainstream reduzieren. Das ist ein enormer Verlust an Ideen und Anregungen. Ein guter Unternehmer hat immer ein gutes Gespür dafür, was er den Leuten bieten kann, damit sie sagen: „Ach, komm, das hätt’ ich mir nie vorstellen können, aber jetzt, wo ich’s hab, find ich’s geil.“ Die Inspiration für neue Sachen kommt immer aus den Dingen, die Sie bislang noch nicht kannten. Gute Unternehmer sind vielseitig interessiert und lassen sich von allem Möglichen inspirieren.
Was ist für Sie Mittelstand?
Ich definiere Mittelstand weniger nach der Größe des Unternehmens als danach: Wer sitzt ganz oben? Im Mittelstand sind das meistens Leute, die persönlich haften. Das ist gut so, denn die gehen mit dem Geld besser um.
Sind Eigentümer also die besseren Unternehmer?
Ich glaube schon. Als Vorstand in einem Dax-Unternehmen sind Sie im Grunde genommen nur ein hochbezahlter Angestellter. Wenn Sie aber in der siebten Generation Türgriffe herstellen, denken Sie längerfristig. Dann wissen Sie: Das ist Ihr Unternehmen. Sie behandeln Ihre Mitarbeiter anders, Sie entwickeln Ihre Produkte anders, Sie gehen mit Ihren Kunden anders um. Das ist ein komplett anderes Denken.
Inwiefern?
Im Mittelstand wird die Wirtschaft von Leuten gemacht, die von der Faszination getrieben sind. Diese Faszination für ein Produkt oder eine Entwicklung fehlt bei Konzernen oft. Da hängen die Manager an ihren Excel-Listen, fragen den Controller und wollen alles absichern. Natürlich brauche ich meine Kennzahlen und muss wissen, wo ich hinwill. Natürlich müssen die Zahlen stimmen. Aber ich bin sicher: In Deutschland stehen wir als Volkswirtschaft auch deshalb so gut da, weil wir die Mittelständler haben. Die sind nämlich nicht nur zahlengetrieben, sondern sagen voller Begeisterung und mit diesem Leuchten in den Augen: „Ich habe da ein neues Flanschsystem entwickelt. Das ist viel besser als das alte – und das machen wir jetzt.“
Definieren Sie „Markt“?
Puuh … eine Spielwiese zum Herumprobieren.
Mehr Artikel unserer Serie „Macher“ finden Sie auf unserer Themenseite.
Was folgt daraus für den mittelständischen Unternehmer?
Das Wichtigste für ihn ist, eine gute Balance aus Effizienz und Kreativität zu finden. Sie brauchen eine effiziente Struktur, damit das Geld reinkommt. Aber Sie müssen auch herumspinnen können und brauchen Mut, Gewohntes radikal zu hinterfragen. Die größte unternehmerische Herausforderung ist meines Erachtens: Wie viele Experimente gehe ich ein, die erst einmal ineffizient sind und Geld verbrennen – sich aber auf lange Frist auszahlen und damit neue Kohle erwirtschaften, mit der ich meine Mitarbeiter bezahlen und wieder neu herumspinnen kann?
Wie schafft man diesen Spagat?
Das ist ganz schwierig. Dafür gibt es keine Formel. Wenn Sie eine Zahl haben wollen, würde ich sagen: 10 bis 15 Prozent herumspinnen und den Rest so gut strukturieren, dass es läuft. In meinem Job ist das ziemlich simpel: Wenn ich eine Idee habe, probiere ich sie auf der Bühne aus. Ich sitz ja direkt am Kunden und merke, ob das Publikum mitgeht oder eben nicht. Das direkte Feedback ist für mich auch Qualitätskontrolle: Wenn der Kunde nicht lacht, ist es kein Witz.
Wie innovativ ist der deutsche Mittelstand?
Wir Deutschen machen uns gerne nieder und reden uns schlecht. Aber eigentlich sind wir ein Volk von Tüftlern und Bastlern. Wir wollen immer hinter die Dinge blicken und sie im Detail besser machen. Mit dieser Einstellung, diesem Drang zur Perfektion, verdient sich unsere Wirtschaft im Moment dumm und dämlich.
Wie wichtig ist Humor für die Wirtschaft?
Man sagt immer: Je mehr Witze über den Chef gemacht werden, umso humorloser geht es im Unternehmen zu. Witze sind im Grunde genommen etwas Anarchistisches. In streng hierarchischen Unternehmensstrukturen sind sie daher verpönt. Das ist schade, denn Humor fördert persönliche Urteilskraft, Kreativität und unorthodoxes Denken.
Wird in der Wirtschaft zu wenig gelacht?
Nein, jedenfalls nicht grundsätzlich. Bei meinen Auftritten erlebe ich die beste Stimmung immer in den konservativsten Branchen. Wenn ich bei Banken und Versicherungen auftrete, lachen die sich tot. Weil sie sonst nichts zu lachen haben. Für dieses Publikum ist Humor eine Befreiung.
Der Frage, ob witzige Chefs die besseren Chefs sind, sind wir in diesem Artikel nachgegangen.
Sollte ein guter Unternehmer die große Bühne der Öffentlichkeit suchen?
Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, was mich stört. Es gibt viel zu wenig Vorstandsvorsitzende, die sich in der Öffentlichkeit klar und deutlich zu aktuellen Themen äußern – sei es die Energiewende, sei es die Finanzkrise oder sonst was. Ich möchte mehr Unternehmer in Talkshows sehen – auch und gerade von den großen Dax-Konzernen. Die machen das nicht, weil sie sich gegenüber ihren Aufsichtsräten oder Aktionären nicht angreifbar machen wollen. Aber wenn ich ein Unternehmen mit 100.000 Mitarbeitern leite und dafür 8 oder 10 Millionen Euro Jahresgehalt bekomme, sähe ich es als meine Verantwortung an, zu bestimmten Themen, die gesellschaftspolitisch nicht laufen, Stellung zu nehmen. Sonst überlassen Sie die öffentliche Diskussion den Dampfplauderern. Unternehmer müssen nicht kamikazemäßig alles raushauen, was sie denken. Aber sie könnten und sollten sich klarer positionieren. Hintenrum Lobbyismus zu betreiben finde ich feige. Kapitalismus ist mehr als nur Geldverdienen. Marktwirtschaft basiert auf gegenseitigem Respekt, auf Vertrauen und auf Ehrlichkeit.
Der Weg von der Wissenschaft führte auf die Kabarettbühne
Vince Ebert (Jahrgang 1968) ist Physiker, Kabarettist, Moderator und Autor. Er wuchs im bayerischen Odenwald auf und studierte an der Universität in Würzburg Physik. Nach seinem Diplom-Abschluss arbeitete Ebert drei Jahre lang in einer Unternehmensberatung im Bereich Big Data, bevor er aus seiner Passion seine Profession und sich als Kabarettist selbständig machte. Aktuell tritt er mit seinem Programm „Zukunft is the Future“ auf. Neben seiner Bühnentätigkeit hält er Vorträge, unter anderem zu Wirtschaftsthemen. Seit 2011 präsentiert Ebert im Fernsehen die Sendung „Wissen vor acht“.
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